OCR
Edith Haider August 1995. Gedichte UND DU, was hast du denn gedacht — so geh ich mit mir ins Gericht, was hast du damals gedacht, als du die Haßparolen sahst über zersplittertem Glas? Aber ich war doch ein Kind — so will ich mich reinwaschen, und ich habe mir nichts gedacht. Gewiß, du warst noch ein Kind, erkläre ich mich für schuldig, doch kanntest du die Gebote und sprachst dein Gebet. ALLES IST AUFGERÄUMT. Die hölzernen Pritschen sauber in Reih und Glied. Es riecht nach Holz und nach Teer — gute Gerüche im Grunde. Nein, so kann es nicht gewesen sein — und ich habe gedacht, ich würde noch etwas finden — das Mysterium des Grauens vielleicht — habe mir angemaßt, ich würde nachempfinden, was nur erlebt werden kann und erstorben. IN ÖFEN sollte man Brot backen, sollte das täglich Brot backen, um das wir beten sollten. Jene hier — unvorstellbar der Zweck, dem sie dienten, unvorstellbar, daß es Menschen waren, die hier einschossen, was nicht Brot war. In Öfen sollte man Brot backen — oder Gott sollte verwehren das täglich Brot. — “AUCH DINGE HABEN IHRE TRÄNEN” so sagen die gestreiften Gewänder, nebeneinander aufgereiht wie zum letzten Appell, die Schmerzfalten der Krägen herabgesackt, mühsam um Haltung bemüht der geschundene Leib. “Auch Dinge haben ihre Tränen — laßt uns weinen um die, die uns bewohnt haben.” Und klagend recken sich die Ärmel empor, schlagen gegen die Brust, fallen herab in stummer Betrübnis. “Auch Dinge haben ihre Tränen” und kein Mittel gegen die Willkür. “Auch Dinge haben ihre Tränen” - Motto (nach Vergil) der Bilderausstellung von Herbert Friedl, den Opfern des KZ-Mauthausen zum Gedächtnis HENKERSHAKEN AN DER WAND — verrostete Brausen im Gasraum — aber lang verklungen der Schrei. Im Sonnenlicht glänzen die Bilder, blumenumkränzt, schöne, feste Gesichter, nicht zernagt noch von den Ratten der Verzweiflung. Um wen soll ich weinen — um dich — um dich — oder um dich? Ich wende mein Gesicht und weine: um meine Kinder und um mich. — 23