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Sead Muhamedagié Kroatiide. Ein Triptychon August 1995 In dieser schrecklichen Stunde Kroatien in aller Munde; in dieser schwiilen Nacht glänzt die Soldatentracht, des Fernsehens fiese Kraft, der Torheit miese Macht: Bellum nostrum croaticum! Weit weg ist Mutter Serbien, es will ja gar nicht sterbien, geschweige denn die kiihnen Westserben, die lautstark fiir das Morden werben, das Weltkartenspiel schlicht verderben und daran unmöglich sterben: Oh felix mater, Serbia! Und das Niemandsvolk Bosniaken, die in aller Welt düsteren Baracken ihr elendes Dasein treiben, dem Verhängnis ausgeliefert bleiben, von Allah so gut wie verlassen, von der Welt oft im Stich gelassen: In Bosniam te ducant angeli! Die Friedensmetzger plappern Platitüden, doch meinesgleichen schmiedet Kroatüden, den Krieg verfluchend, gen Himmel rufend: Libera me, Domine, de stultitia nostra, amen! September 1995 Der Siegestaumel beherrscht die Szene, aufgegebene Urlaubspläne mögen bald in Vergessenheit geraten; auf den Straßen umjubelte Soldaten, noch gestern Stürmer, jetzt schon Diplomaten, die ihre Sache meisterhaft verstehen, frisierte Wahrheit, die wir dauernd sehen: Gott, bewahre Kroatien! Spaß beiseite, man muß weiter leben, nach welchen Werten soll man nunmehr streben. Der Rausch des Sieges entpuppt sich schnell als Sucht, auf lange Sicht des Krieges faule Frucht. Was sagt die Welt, wer hat den Überblick, wem droht der Kerker, wen erfüllt das Glück? Gott, erleuchte Kroatien! Ein Teil der Wahrheit sind Flüchtlingskolonnen, wer hat gesiegt, wer hat die Schlacht gewonnen? Wer rühmt sich dessen, was man Ehre nennt, wer löscht das Feuer, wer zu Hilfe rennt? Wer schützt die Opfer, die dem Tod entrinnen, wer tränkt die Viecher, die sich stets verirren? Wo sind die Hirten, wo die Wölfe weilen, wo sind die Kräfte, die die Seele heilen? Gott, erlöse Kroatien! Amen! Ende November 1996 Mehr als ein Jahr ist verstrichen, der Krieg ist dem Frieden gewichen, es werden noch Orden vergeben, nicht leichter wird dadurch das Leben, was kann uns hier noch begliicken, wenn leere Brieftaschen bedriicken, Kroatien, besinne Dich! Der Staatsfiirst halt lautstarke Reden, er hadert mit Feinden und Fehden, fern bleibt das versprochne Eden, gleich sind ihm Gegner und Feinde, wem traut denn jetzt die Gemeinde: wem droht das Los der Krankheit, wann schlägt die Stunde der Wahrheit: Kroatien, entscheide Dich! Amerika schenkt keinerlei Genesung, nach der Allmacht folgt wohl die Verwesung! Die Historie kennt doch ihre Pfade; wann endet die Aufklärungsparade? Die Heimat bedarf frischer Geister; wozu noch die altverdienten Meister? Kroatien, verjünge Dich! Am Banus-Platz großes Gedränge; was will denn die Menschenmenge? Die Null umgeben von den Einsen, wer zieht noch so gute Bilanzen? Ein Sender, den recht viele lieben, stumm wär’ er beinahe geblieben, er betreut nicht nur die Jugend, kritisch befragt er die Tugend, er zeigt uns, wo jetzt wir leben, er äußert, wonach wir streben: Kroatien, ernüchtere und öffne dich, Amen! Der kroatische Dichter Sead Muhamedagid, Übersetzer Theodor Kramers ins Kroatische, hat diese Verse selbst in deutscher Sprache verfaßt. Muhamedagid, geboren 1954 in Skokovi, studierte Germanistik und Slawistik und lebt als Übersetzer und Schriftsteller in Zagreb. 25