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Alfredo Bauer Vor Luegers Standbild „Meine Gedanken vor Kaiser Josefs Standbild“: das war schon im vorigen Jahrhundert ein beliebtes Aufsatzthema an österreichischen Mittelschulen. Als dann der Erste Weltkrieg ausbrach, da rückten die Denkmäler der Heerführer mehr in den Vordergrund: Feldmarschall Radetzky, Prinz Eugen, Erzherzog Karl. Dabei warf man ungeniert den Henker der Achtundvierziger-Revolution mit den Verteidigern gegen Türken und Franzosen in einen Topf. Was mich betrifft, machte ich mir vor allem beim Denkmal des berühmten Bürgermeisters Lueger meine Gedanken. Immer wenn ich vorbeikam, blieb ich stehen und schaute hinauf. Was dem großen Mann da oben aufgefallen sein muß. Denn mir schien es, als hörte ich seine Stimme. „Wünschen Sie was, Herr Nachbar? Sicher kenne ich Sie; ich komme nur im Moment nicht auf Ihren Namen.“ Politiker machen das mit Vorliebe. Mit möglichst vielen Leuten persönlich bekannt zu sein, ist ihnen jedenfalls von Nutzen. Bei den Wahlen und überhaupt. „Mich kennen Sie nicht, Herr Bürgermeister“, entgegnete ich. „Aber meinen Großvater haben Sie gut gekannt. Mittler. Dr. Alfred Mittler. Gemeinderat. Sie erinnern sich?“ „Mittler! Und ob ich mich erinnere!“ rief das Stadtoberhaupt a.D. „Ein Jud, wie alle diese Liberalen. Aber trotzdem ein sehr anständiger Mensch. Wissen S’, gegen die Juden hab i eigentlich gar nix. Des hab i immer g’sagt. Hab sie auch immer in Schutz g’nommen. Wer a Jud is, hab i g’sagt, des bestimm i! Ihr Herr Großvater wird Ihnen das bestätigen. Aber die Leut‘, wissen S‘, die Leut‘ mögen die Juden halt net. Darauf muaß i als Stadtoberhaupt Rücksicht nehmen.“ Mir kam die Wut hoch. Er will nicht, aber er muß! Das kennt man. „Da gab es eben“, sagte ich, „noch kein Antidiskriminationsgesetz. Sonst würden Sie sich mehr moderieren in Ihren Äußerungen.“ „Aber! Aber!“ Er ging nicht ab von seinem bieder-verlogenen Ton. „I moderier mi eh. Ihr Herr Großvater hat ja oft genug mit mir und meiner Partei g’stimmt; Jud hin, Jud her. Des hat er ihnen vielleicht gar net erzählt. Wenn‘s nämlich darum ging, Wien und ganz Österreich deutsch zu erhalten. Des hat er ebenso gut begriffen wie i. Die Hauptgefahr, des hab i immer g’sagt, san eh net die Juden, sondern die Böhm‘. Sehen S’, vor fufzig Jahren war Prag eine deutsche Stadt. Jetzt is’s zu hundert Prozent tschechisch. Warum? Weil ma die Böhm‘ hat gewähren lassen. Böhmisches Kronrecht! Deutsche und Tschechen gleichberechtigt! Alsdann, des gibt’s bei mir net. Sonst is‘s in Wien bald so weit wie jetzt in Prag.“ Er machte eine Pause, während der ich überlegte, ob es denn überhaupt einen Zweck hatte, ein solches Gespräch fortzusetzen. „Ihr Herr Großvater“, sagte er schließlich, „und ob der das verstanden hat! War beim Deutschen Schulverein, und hat auch viel Geld ’bracht für die deutsche Sache, hauptsächlich von Juden, des hab i immer anerkannt. Aber wissen S’, das mit den deutschen Schulen, mir geht das doch zu langsam. ’s nutzt nix: von Staats wegen muß durch’ griffen werden. Wer in Wien ‚s Heimatrecht haben will, der muß deutsch können. Oder er muß sich schriftlich verpflichten, daß er ’s in spätestens zwei 26 Jahren können wird. Und daß er öffentlich nie a andere Sprach’ sprechen wird als Deutsch. Handelt er dem zuwider, dann wird er abg’schoben. Nach Böhmen, nach Mähren, oder wo er sonst früher heimatberechtigt war. Ganz legal geht das. Gerichtlich. Da gibt’s keine Wiirschtl!“ „Wäre das so schlimm gewesen“, fragte ich leise, „wenn auch Wien zweisprachig geworden wäre?“ Gleich darauf bereute ich es, die Frage gestellt zu haben. „Ihr Herr Großvater sollt’ Sie hören!“ rief der Bürgermeister. „Das Kulturerbe zu bewahren, ist unsere Pflicht. Das hab i immer g’sagt. Das deutsche Kulturerbe! Und da sollen wir uns eine Sprachen-Mischkulanz gefallen lassen?“ „Der Hitler hat schon gewußt, warum er Sie so bewundert hat“, sagte ich grimmig. „Hitler?“ fragte er. „Der Name muß mir entfallen sein. Sonst kann ich mich, wissen S’, recht gut auf mein Personengedächtnis verlassen.“ Es war ihm sichtlich unangenehm, sich an einen Menschen nicht zu erinnern. Noch dazu an einen, der sein Bewunderer sein sollte. „Hitler, Adolf“, erläuterte ich. „War in Wien zu Ihrer Amtszeit. Aber da war er noch sehr jung. Später hätten Sie dann schon von ihm gehört. Hätten vielleicht sogar sein Buch gelesen, in dem er ... Aber er ist ja dann noch viel radikaler geworden als Sie, Gott sei’s geklagt! Gegen die Juden, gegen die Tschechen, und überhaupt.“ „Ich radikal!“ rief Lueger empört. „Wer sagt denn das? Gegen die Juden und gegen die Tschechen? Wer a Jud is, des bestimm i! Des hab i immer g’sagt. Und laßts mir meine Böhm’ in Ruh! Des hab i aa immer g’sagt. Imag kein’ Streit. Osterreicher san mir alle. Wegen dem haben s’ mir ja meine liebe Weanerstadt anvertraut. Weil i waß, was der kleine Mann braucht und was er will. Er will sei’ Ruah haben. Und die Juden, die Böhm’ und die Ausländer überhaupt, die schaffen Unruh’. Des hab i immer g’sagt.“ Er räusperte sich. „Da hat mi neulich einer Antisemit g’nannt. A so a Unrecht! Für mi san s’ alle gleich. Sogar die Juden! Sogar die Böhm’. Des hab i immer g’sagt. Richten Sie ’s Ihrem Herrn Großvater aus. Der waß eh, wann ieam a paar Mal Saujud g’sagt hab, so is des net so g’meint g’wesen. Meine Verehrung! Und wenn S’ wieder amal hier vorbeikommen, Herr Nachbar, so bitt ich, ungeniert ... Für Sie hab i immer Zeit, des können S’ glauben. Für Sie und für jeden Wiener. Is mei Pflicht als Bürgermeister. Pfiat Gott!“ Der Arzt und Schriftsteller Alfredo Bauer, der zuletzt für MdZ (Nr. 2/1998, S. 20) über den in Zagreb mittlerweile zu 20 Jahren Gefängnis verurteilten Ustascha-Kriegsverbrecher Dinko Sakié schrieb, lebt seit 1939 in Buenos Aires. Zuletzt erschien 1997 von ihm “Geliebteste Tochter. Marie Louise von Habsburg. Tochter Kaiser Franz I., Gattin Napoleons, Regentin von Parma und Piacenza. Ein Lebensroman” bei der Edition Atelier in Wien. (Was Sakic betrifft, bleibt abzuwarten, ob er nicht allzubald unter irgendeinem Vorwand wieder auf freien Fuß gesetzt wird.)