Unsere Geschichte hat viele Würgmale, die allen Versuchen,
sie glatt zu hobeln, widerstehen.
Franz Kain
Sowohl um den am 27. Oktober 1997 in Linz verstorbenen
großen österreichischen Erzähler Franz Kain zu ehren, als
auch aus dem Bedürfnis, die heute fast peinlich berührende
Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Faschismus zu
stellen, lud die Theodor Kramer Gesellschaft (zusammen mit
dem Neuen Forum Literatur und dem Institut für Wissenschaft
und Kunst) zu einem Kolloquium von Schriftstellerinnen und
Schriftstellern. Vorangegangen waren eine gelungene Lese¬
aufführung von Kains frühem Stück „Um eine Mutter‘ durch
das Erste Wiener Lesetheater und Vorträge von Erik Adam
(‚Anmerkungen zu Franz Kains literarischer Auseinanderset¬
zung mit dem Faschismus“) und Richard Wall. Das Kollo¬
quium wurde von Erich Hackl und Konstantin Kaiser vorbe¬
reitet; außer ihnen nahmen die AutorInnen Anna Mitgutsch,
Barbara Neuwirth und Walter Wippersberg teil. In der Einla¬
dung wurde das Thema folgendermafen angerissen:
Erinnerlich ist Bertolt Brechts Geschichte von dem Herrn
Egge, der den Agenten der Tyrannei wortlos bei sich aufnimmt
und verköstigt und „Nein!“ erst sagt, als dieser verstorben ist.
Die alte Frage war, ob man nach Faschismus und National¬
sozialismus einen Menschen in den Umrissen eines Österrei¬
chers darstellen kann.
Franz Kain, geboren 1922 bei Bad Goisern in Oberöster¬
reich, gestorben 1997 in Linz, wurde im „Ständestaat“ und im
NS-Staat gleichermaßen als Widerstandskämpfer verfolgt. Im
Gefängnis begann er zu schreiben. Man kann sein Werk neben
das von Michael Guttenbrunner und das von Fred Wander
stellen: Gemeinsam ist ihnen nicht nur die persönliche Erfah¬
„Ich beobachte, was in diesem
Land geschieht“
Schreiben gegen den Faschismus: Ich bin, als ich den Veran¬
staltungstitel gehört hab, ein bißchen erschrocken. Passe ich da
überhaupt herein?
Ich glaube nicht, daß ich auf die Frage „Was machen Sie ei¬
gentlich den ganzen Tag?“ antworten würde: „Naja, ich
schreib gegen den Faschismus.“
Mir ist auch vieles, was mit dem Kürzel Antifa- beginnt,
suspekt.
Und dann vor allem auch dies: Der Faschismus ist für mich,
wenigstens was unsere Weltgegend angeht, ein historisches
Phänomen - verwandt, aber nicht identisch mit dem ebenfalls
historischen Nationalsozialismus. Kann man gegen histori¬
sche Phänomene anschreiben?
Hat denn eigentlich Franz Kain, um auf den Namenspatron
unserer Veranstaltung zu rekurrieren, gegen den Faschismus
geschrieben? Er hat zuerst unter dem Austrofaschismus, dann
unter dem Nationalsozialismus gelitten, er hatte alle Mühe,
rung von Widerstand und Verfolgung in der NS-Zeit, sondern
auch das Anschreiben gegen die physische und geistige Ver¬
nichtung, auch nach der NS-Zeit.
Die Moderatorin der Diskussion, Siglinde Bolbecher, wies
auf einige Anlässe hin, heute wieder über Schreiben gegen den
Faschismus zu sprechen. Politisch nicht genehme Literatur
werde wie die Literatur des Exils zunehmend wieder an den
Rand gedrängt. In Bezug auf das Exil sei es, als würde die De¬
vise befolgt, den für kurze Zeit geöffneten Sargdeckel endlich
zu schließen. Die Debatte um Martin Walsers Attacke gegen
die ‚Gedenkkultur‘ und seine Forderung, das Gewissen als Pri¬
vatangelegenheit zu handhaben, habe deutlich die Verengung
des Horizonts gezeigt. Damit einher gehe der Wunsch nach ei¬
ner neuen, ungetrübten Intellektuellen-Identität. Die Frage
stelle sich, ob ein Schreiben gegen den Faschismus möglich
sei, das den Faschisten nicht als Monstrum perhorresziere und
das unter dem nationalsozialistischen Regime Geschehene
nicht als unnennbares Grauen anonymisiere. Ein Schreiben
aus antifaschistischer Motivation ist heute auch ein Schreiben
gegen Erwartungshaltungen, die sich aus einem entleerten Ge¬
genwartsbewußtsein speisen. Trotzdem: um das Fehlende oh¬
ne Idyllisierung darzustellen, bleibt die Schwierigkeit, die
Spuren des Widerständigen als offene und reale Lebensmög¬
lichkeit zu gestalten.
In vorliegendem zwölfseitigen Supplement, das den Zeit¬
schriften der Theodor Kramer Gesellschaft und des Neuen
Forums Literatur, Mit der Ziehharmonika und 99, beigelegt
wird, sind die Ergebnisse des Franz Kain-Kolloquiums doku¬
mentiert. ‘
Im Oktober 2000 soll in Zusammenarbeit mit dem Adalbert
Stifter-Institut des Landes Oberösterreich ein Franz Kain¬
Kolloquium zu einem anderen Thema in Linz stattfinden.