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den Nationalsozialismus zu überleben, dann hat er dafür geschrieben, daß andere nicht ähnliches erlitten. Aber so sicher bin ich, unter uns gesagt, gar nicht, daß hier das Hauptmotiv für sein Schreiben liegt. Ich komme darauf zurück. Klar und unbestritten dürfte sein: Der Schoß ist fruchtbar noch, und die Phänomene wirken weiter. Mich hat - verzeihen Sie, wenn ich jetzt einmal in erster Linie von meinem Schreiben rede — das Phänomen Nationalsozialismus in meinem Denken und meiner Haltung zu anderen Menschen nicht unwesentlich mitgeprägt. Geboren ein paar Monate nach Kriegsende, bin ich aufgewachsen unter Erwachsenen, die entweder Täter waren oder Opfer oder Mitläufer oder Menschen, die nichts sehen und nichts wissen wollten. Heute noch ertappe ich mich dabei, daß ich mich, wenn ich einen kennenlerne, der zwanzig oder mehr Jahre älter ist als ich, frage, ob ich’s nicht am Ende mit einem Täter zu tun habe. Der Verdacht ist bis zum Beweis des Gegenteils immer da. Und die Frage, wie angeblich ganz normale Menschen zu Tätern der uns bekannten Art werden können, hat mich mein literarisches Leben lang beschäftigt. Ich hab einmal in einem Hörspiel über den Tod des Dichters Federico Garcia Lorca den für mich gar nicht paradoxen Fall beschrieben, wie einer jenen politischen Umständen, mit denen er sich als Dichter, als ein Mann des Geistes, nicht wirklich beschäftigen wollte, zum Opfer gefallen ist. Ich selbst habe, seit ich erwachsen bin, politisch oft sehr klar Stellung bezogen und mich hier oder dort, in lokalem Rahmen, auch in politische Vorgänge eingemischt — und dabei nicht selten zwischen dem Autor Wippersberg und dem Bürger gleichen Namens unterschieden. Der Bürger hatte immer das Gefühl, er müsse etwas dafür tun, daß aus jenem noch fruchtbaren Schoß nicht wieder etwas krieche. Das war für mich nicht automatisch auch die Aufgabe des Autors. Gegen etwas anschreiben, was mir nicht gefällt, das ja, das war vermutlich immer ein starkes Motiv fürs Schreiben überhaupt, aber mit — nennen wir’s — Propagandaliteratur hatte ich nichts im Sinn. Ich war vielmehr immer der Ansicht und bin es noch, daß sich die Haltung eines Autors, besonders auch seine politische, möglichen Lesern übermittelt, ob der Autor das nun will oder nicht. Allein in der Art, wie er Personen zeichnet und entwickelt, vermittelt sich, behaupte ich, schon seine spezifische Art des politischen Denkens. Will er bestimmte Aussagen dann sozusagen noch unterstreichen, wird’s oft schon zu dick für meinen Geschmack. Diese Überlegungen waren vor allem auch in jenen Zeiten wichtig für mich, als meine Kinder Kinder waren und ich für sie ein paar Kinderbücher geschrieben hab. Nichts habe ich dabei strikter zu vermeiden gesucht als den pädagogischen Zeigefinger, der da plötzlich — rot gefärbt oder nicht — zwischen den Seiten herausspringen könnte. Aktuellen gesellschaftlichen Themen hab ich mich (in der einen oder anderen Fernseharbeit zum Beispiel) — wenn überhaupt — mit den Mitteln der Satire genähert. Politische Literatur im engeren Sinn, das war einfach nicht das, wo‘s mich hingezogen hätt. Bis vor zehn Jahren etwa, als ein Rechtsruck in ganz Europa und besonders auch in Österreich einfach nicht mehr übersehen oder bagatellisiert werden konnte. Da hat der Bürger meines Namens schon ein bißchen Angst gekriegt. Ich glaube ja im Sinne dessen, was ich ganz am Anfang gesagt hab, nicht daran, daß Faschismus oder Nationalsou zialismus einfach wiederkommen würden, ich neige auch nicht dazu, jeden, der anders denkt als ich, gleich faschistoid zu nennen, aber daß da autoritäres und antidemokratisches Gedankengut plötzlich wieder salonfähig und in der politischen Praxis durchaus wieder wirksam wurde, das hat mir — naja, wie gesagt — schon Angst gemacht. Und wie da etwas, was wir schon nur mehr in Subkulturen existent glaubten, auf einmal wieder an die Offentlichkeit kam und dort Zustimmung fand, das hat mich auch als Autor plötzlich sehr interessiert, ich fand in diesen Entwicklungen auf einmal auch literarische Stoffe. Die erzählende Literatur hat ja nach meinem Verständnis unter anderen die Aufgabe, sich mit den Befindlichkeiten und den Entwicklungen einer bestimmten Zeit zu beschäftigen. Dazu gehören gerade unter den skizzierten Umständen auch die politischen Aspekte. Und hier kommt dem politisch interessierten Bürger endlich einmal zugute, daß er den Beruf des Schriftstellers ergriffen hat: Indem er sich — darüber schreibend - ausführlich Zeit für diese Themen nehmen kann, hofft er, daß ihm dabei selber manches klarer wird. Rücksprung auf: vorhin Gesagtes: Franz Kain, wie ich ihn kannte, wollte vor allem erzählen, er war - jeder, der je mit ihm an einem Wirtshaustisch gesessen ist, weiß es — ein geborener Erzähler. Und er hat — wie denn nicht! — einfach auch gerne von jenen Dingen erzählt, die ihn beschäftigt und zum Beispiel politisch interessiert haben. Politisches wird einem politisch denkenden Autor zum literarischen Stoff. Na, no na. Ich beobachte, was in diesem Land geschieht. Und ich denke weiter, ich versuch mir vorzustellen, was sich daraus entwickeln könnte. Daraus sind meine letzten beiden Romane entstanden. Ich behaupte in beiden Fällen nicht, daß es schon so weit ist, aber ich fürchte, daß es so weit kommen könnte. Ich beschreibe dann — als Autor — den schlimmstméglichen Fall. Und ich hoffe als Bürger, daß er nicht eintritt. Einer der wenigen Fälle, wo ich mir wünsche, daß ich unrecht hab. Man kann diese zwei Romane und einen dritten, der in Arbeit ist, vermutlich politische Literatur nennen — ich selber nenne es nur mit einer gewissen Scheu so, weil der Begriff hierzulande immer einen seltsamen Beigeschmack hat von Kassandra-Ruf und pathetischer Warnung. Im angelsächsischen und auch im romanischen Sprachraum geht man ja viel unverkrampfter mit zum Beispiel spannender Literatur um, die sich auch politischen Themen zuwendet. Diesen Traditionen fühle ich mich denn auch stärker verbunden als solchen aus dem deutschsprachigen Raum. Ich bin kein Politiker, auch kein Politologe, auch kein Leitartikler, ich bin Schriftsteller. Meine Aufgabe ist es, gute Geschichten zu erzählen, gute Geschichten gut zu erzählen, wenn möglich. Daß das, auch wenn man es politische Literatur nennen kann, eine wirklich gute Geschichte wird, das ist mir mindestens so wichtig wie die politische Analyse, von der ich ausgehe. Vor dem anderen freilich will ich mich gar nicht drücken. Wenn man, wie ich das zuletzt getan hab, über sehr aktuelle politische Entwicklungen schreibt, dann ist das, weil ja auch eine bestimmte Sicht transportiert wird, nämlich meine, eine Art von Einmischung. Zu der stehe ich natürlich, ob ich damit — worüber ich mich freuen würde - tatsächlich etwas erreichen kann, bezweifle ich sehr. Das Interesse der Österreicher an zeitgenössischen österreichischen Romanen ist, fürchte ich, nicht stark genug, um damit politische Wirkungen zu erzielen. Andererseits aber, und das kennt jeder von uns, kann man ei