er meint noch immer dasselbe. Nun wird nicht mehr, wie im
Faschismus, biologistisch begründet, nein, RasssistInnen ver¬
steigen sich dazu, den im Faschismus unterrepräsentierten
Aspekt der Kulturenverschiedenheit vorzutragen. Während
früher Menschen anderer Hautfarbe verächtlich gemacht wur¬
den wegen ihrer Hautfarbe, werden sie es heute wegen ihrer
„kulturellen Prägung“, die begründet ist in der für den Rassi¬
sten fremdartigen Kultur, der sie entstammen. Diese Argu¬
mentation eignet sich auch hervorragend, um unter dem Deck¬
mäntelchen des/der Verständnisvollen einen kuschelig un¬
schuldigen Platz zu finden.
Wie aber ist der Begriff des Faschismus noch zu verstehen?
Jedenfalls als ein Versuch, bestimmte Menschen herabzu¬
würdigen. War es früher mit dem Begriff des „Untermen¬
schen“ zackig unverblümt, wird der von der Neuen Kronen
Zeitung erst kürzlich geprägte und süffisant benützte Begriff
des „Gutmenschen“ ebenfalls zur Abqualifizierung von ein¬
zelnen Menschen bzw. einer Menschengruppe benützt und
dient den BenützerInnen zur Überhöhung des eigenen Stand¬
punktes. Sprache wird von faschistoiden Köpfen und Mündern
als Waffe zur Verletzung benützt, nicht als Aufforderung zur
Auseinandersetzung.
Was transportiert der Begriff Faschismus?
Der wesentliche Aspekt am Faschismus für mich und meine
Reflexion des eigenen Schreibens ist die Eigenbeschreibung
des Faschismus mittels eines Bildes der Reinheit und der dar¬
aus resultierende Anspruch auf Absolutheit. Die Diktatur der
faschistischen Reinheit ist - anders als etwa im Christentum —
aufs Diesseits ausgerichtet und merzt schnell und — wenn sie
die Möglichkeit dazu hat — konsequent aus, was dem Ideal
nicht entspricht. Das Gebot der Reinheit bedeutet einen Ver¬
lust der Vielfalt des Seins.
Auch das Ideal der Reinheit ist einem Wechsel unterworfen
gewesen, und die vom Staat verfolgten Reinheitsgebote ent¬
sprechen heute anderen Kriterien: unakzeptabel sind Fremde,
die sich ohne die Hilfe großen Kapitals in Österreich niederlas¬
sen wollen: Ohne Geld keine Existenzberechtigung, wenn man
im falschen Land geboren wurde. So arbeitet Schlögl für ein
Reinheitsgebot der Gegenwart und agiert die F im National¬
ratswahlkampf 1999 mit vielen plakatierten Slogans, „Stopp
der Überfremdung“ und „Stopp dem Asylmißbrauch“, auf ag¬
gressive Weise, unwidersprothen von den regierenden Partei
im Sinne eines neuen Reinheitsgebotes: Unrein sind jene, die
Hilfe brauchen.
Gedankenexkurs: Die Gentechnologie weist einen Weg in
die Zukunft, wo die Auslese dann nicht mehr unter den Leben¬
den stattzufinden hat, weil sie schon unter den noch Ungebore¬
nen getroffen wird. Dieser Aspekt einer Entwicklung liegt na¬
türlich nicht an der Gentechnologie als solcher, sondern im so¬
zialen Potential der Gesellschaften.
Was kann nun die Kunst, speziell die Literatur in diesem Zu¬
sammenhang leisten?
Kunst wendet sich an jene, die ohnedies schon motiviert
sind. Wer nichts tiber Faschismus wissen will, nimmt erst recht
kein Buch in die Hand. Lesen beruht auf einer ins Auferste ge¬
triebenen Freiwilligkeit.
Die Verbreitung von Literatur ist enorm beschrankt.
Dennoch: Beim Lesen eines Buches kann ein Gefühl der
Solidarisierung entsteht. Einerseits indem die Lesende er¬
kennt, daß durch den Inhalt eines Textes ihr persönlicher Wi¬
derstand gegen faschistoide Tendenzen geteilt wird — und das
in mehrfacher Hinsicht, da die Schreibenden ja eine ganze Ma¬
schinerie brauchen, um das Buch bis zur Lesenden zu bringen
—, zweitens, weil Literatur in Form von Lesungen bei Wider¬
standsveranstaltungen ein bewährter Unterstützungsfaktor ist
(z.B. StudentInnenstreiks, Umweltstreiks, Streiks von Femini¬
stinnen).
Lassen Sie mich zum Abschluß kurz die Frage anschneiden,
ob es ein „Thema“ gibt, das die Literatur aufgreifen muß, um
für mein Verständnis als „Literatur gegen den Faschismus“ zu
gelten.
Einerseits sehe ich die Möglichkeit, als Chronist des vergan¬
genen Verbrechens aufzutreten und in der Erinnerung an die
Schrecken eine Sensibilität aufrecht zu erhalten und auch eine
Gerechtigkeit der Geschichtsbetrachtung mitzuerzwingen.
Ich denke aber, daß es nicht prinzipiell nötig ist, die Vergan¬
genheit zu thematisieren, und ich denke auch, daß es nicht ein¬
mal nötig ist, festgelegte Themen wie Rassismus oder Natio¬
nalismus literarisch zu bearbeiten. In dem Augenblick, wo ein
Text die Widersprüchlichkeit der Gesellschaft als bedenkens¬
wert darstellt — und nicht als durch Gewalt lösbar, in dem Au¬
genblick, wo der Stellenwert von aus dem Rahmen fallenden
Elementen der Gesellschaft als würdig und wert dargestellt
wird, überall da also, wo dem Anspruch an Reinheit als Ideal
mit dem Anhängsel Vernichtung des Unreinen, entgegenge¬
sprochen wird, in welch poetischer Form auch immer, wird
Solidarität möglich gemacht. Und das ist die einzige politische
Kraft der Literatur.
Faschismus ist etwas, das nur aus einem patriarchalen Sy¬
stem heraus entstehen kann. Das klerikale System monothei¬
stischer Religionen gleicht dem faschistischen in vielem: so
gibt es ein Idealbild der Frau als Mutter in beiden Denkmodel¬
len, eine Unterwerfung unter eine starke männliche Verwal¬
tungsspitze und Verwaltungsstrukturen (Militär, Priestertum),
die Vernichtung des Widerständigen, Individuellen bis zur
Auslöschung der Existenz und das Verbrennen des Leibes.
Das Gebot der Reinheit wird einmal als Erlösung im Jenseits
gedacht, das andere Mal als Notwenigkeit im Hier und Jetzt
gefordert.
Während nun die klassische Definition des Faschismus in
einem Konsens von fast allen Medien benutzt wird und mit
Ablehnung belegt ist (Ausnahme: einige Kolumnen in der
Neuen Kronen Zeitung), werden die neuen Reinheitsgebote
selten in Hinblick auf ihre Wurzeln reflektiert. Gerade die
Auseinandersetzung mit den Massenmedien gilt nicht zu un¬
recht als wichtiger Punkt im Zusammenhang mit dem Beden¬
ken des Faschismus. Schließlich war der Faschismus die erste
politische Strömung, die mit Hilfe des Massenmediums Ra¬
dios („Volksempfänger“) seine Breitenwirkung erreichen
konnte.
Barbara Neuwirth, in Eggenburg (Niederösterreich) geboren,
aufgewachsen in Drosendorf. Lebt seit 1968 in Wien. Studium
der Geschichte und Ethnologie. Mitbegründerin des Wiener
Frauenverlags (jetzt: Milena Verlag); seit 1985 Lektorin und
seit 1989 Herausgeberin der wissenschaftlichen Reihe „Frau¬
enforschung“. Herausgeberin des „Frauenbuchs der Ränder“
(„Ich trage das Land“).
Bücher: In den Gärten der Nacht (Phantastische Erzäh¬
lung, 1990); Dunkler Fluß des Lebens (Erzählungen 1992);
Blumen der Peripherie (Erzählung, 1994); Im Haus der
Schneekönigin (Novelle, 1994); Empedokles Turm (Roman,
1998).