OCR
Da war er auch dabei, der Kaltenbrunner, bei diesen noblen Bergsteigern, werden sie jetzt sagen, und einen Arierparagraphen haben sie auch schon gehabt und einen ganz schönen Antisemitismus. . Er hat ihn nicht erfunden, er hat ihn vorgefunden, der Antisemitismus war schon lange vor ihm da. Der Arierparagraph stammte noch aus der Monarchie und den wilden Zeiten DeutschÖsterreichs. Ihn hat er nie bedrückt, dieser Paragraph, er hatte eine eigene Waage. Er hat mit ihnen verkehrt wie mit allen anderen auch, überlegen natürlich, aber mit einer Überlegenheit, die aus der größeren Erfahrung kommt. Tatsächlich ist die Geschichte des Antisemitismus in den deutschen und österreichischen alpinen Vereinen im allgemeinen und in den deutschnationalen, völkischen österreichischen Sektionen des Alpenvereins im speziellen eine bis heute kaum wahrgenommene bzw. verdrängte. Den völkischen Radikalismus brachten Leitfiguren wie Eduard Pichl - einer der besten Bergsteiger Anfang dieses Jahrhunderts, dessen Tourenbuch Erstbegehungen in den Ost- und Westalpen aufwies — auch in jenen Alpinvereinen Österreichs zum Durchbruch, die ihren „erzwungenen Abwehrkampf“ gegen „Unterjochung und Aussaugung“ durch das Judentum nicht schon vor dem 1.Weltkrieg begonnen hatten. Im August 1920 nahm der ÖGV (Österreichische Gebirgsverein), am 28. Jänner 1921 die ASW (Akademische Sektion Wien des DÖAV), „die arische Elite“ (Rainer Amstädter) den Arierparagraph in die Vereinsstatuten auf. Am 27. Jänner 1921 konnte Pichl bei der Hauptversammlung der mitgliederstärksten Sektion Austria des DÖAV den Arierparagraph durchsetzen, danach ging auch der „christliche“ ÖTK (Österreichische Touristen Klub) mit ihrem „Vereinsdichter“ Ottokar Kernstock daran, „den unerwünschten Zuwachs an volksfremden, nichtarischen Elementen zu verhindern“ (Reichspost, offizielles Organ der antisemitischen Christlich-Sozialen Partei, 12. April 1921). Als Alois Rohrauer, ein Sensenschmied aus Spital am Pyhrn, Gründer und Ehrenobmann des TVN sowie ÖTK-Mitglied, seine jüdischen Bergfreunde vom ÖTK bei der a. o. Hauptversammlung am 29. April 1921 verteidigte, kam es zum Tumult. Von dieser Rede Rohrauers schrieb der jüdische Alpenverein Donauland noch 1927: Als im Oesterreichischen Touristen-Club, dem Beispiele Austrias folgend, die sittliche Forderung nach Hinauswurf der Juden erhoben wurde, ging der alte Rohrauer in die Versammlung, die diesen deutschen Belang beschließen sollte. Aber das bekam ihm übel! Denn wo jene Sittlichkeit am höchsten, ist die Rohheit am nächsten. Als Rohrauer gegen die beabsichtigte Kulturschande mutige und entschlossene Worte fand, wurde er von der alpinen Bubeska niedergebrüllt und aufs ärgste beschimpft, und man mußte froh sein, daß es nicht zu Tätlichkeiten kam. Dies gleichsam nur als Fußnote, detaillierte Informationen über die Faschisierung des Alpinismus in der Zwischenkriegszeit bietet das Buch Der Alpinismus. Kultur — Organisation — Politik von Rainer Amstädter. Erwähnen möchte ich jedoch in diesem Kontext noch Folgendes: Nach dem Ergebnis der „Volksabstimmung“ im April 1938 organisierte Pichl einen sogenannten „Weiheabend“ der Wiener AV-Sektion unter dem Motto „Daheim im Reich“. Im Massenandrang tausender Alpenvereinsmitglieder waren auch Sey8-Inquart und Vertreter der Führung des DAV anwesend. Als namhafte Vertreter derer, die den Alpenverein auf seinem „großdeutschen“ Weg zum Nationalsozialismus tatkräftig unterstützten, erschienen Oswald Menghin als Unterrichtsminister des Kurzzeitkabinetts Seyß-Inquart, der Burgtheaterdirektor Mirko Jelusich, Domprobst Wildenauer und — der Führer des SS-Oberabschnitts Österreich und spätere Chef der Gestapo Ernst Kaltenbrunner (!). Der Abend schloß mit einer Hitler-Lobrede, vorgetragen von Burgschauspieler Werner Krauss, der Hitler mit Jesus und seinen Jüngern verglich (Amstädter, a. a. O., S. 461). x Irritierend wirkte damals auf uns der Name des Sees, welcher der Erzählung zum Titel verhalf. In Wirklichkeit gibt es nicht einen Ödensee, sondern einen Kleinen und einen Großen Ödsee, und die liegen nicht auf dem Hochplateau des Toten Gebirges, sondern leicht erreichbar am Fuße der Nordabstürze, genauer gesagt unterhalb von Schermberg, Hochplatten- und Hetzaukogel unweit des Almtalerhauses auf zirka 700 m Seehöhe. Später, versehen mit mehr Wissen über die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in der sogenannten und vielbeschworenen „Alpenfestung“ und nachdem ich einen Vortrag von Peter Kammerstätter über die Widerstandsbewegung WILLY-FRED gehört hatte, erschien mir Kains Erzählung in einem neuen weil veränderten Licht und ich rekonstruierte, daß es sich bei dem beschriebenen Aufstiegsweg um jenen von Altaussee über den Hochklapfsattel in Richtung Augstwiesen und Wildenseealmen handeln müsse und der nahegelegene Wilden See unterhalb des Rinner Kogels als Auslöser oder Assoziationsbrücke für den Titel der Erzählung gedient haben dürfte. Il Zurück zur Geschichte, die ich heute für einen seiner besten Kurzprosa-Texte halte. Sie ist auch formal anders angelegt als die übrigen, und ich vermute, daß auch Kain sich der Qualität derselben bewußt war: Hintergrund der Geschichte ist der historisch verbürgte Versuch des Gestapo-Chefs Dr. Ernst Kaltenbrunner, die ersten Wochen nach Kriegsende im Toten Gebirge auszuharrten, in der Hoffnung, daß auch eine neue, zukünftige „Ordnung“ auf Männer und Rechtsanwälte mit politischer Erfahrung nicht verzichten könne. Kain läßt den „Helden“ seiner Erzählung darüber ausdauernd reflektieren. An einer Stelle heißt es: Natürlich ist in der ersten Zeit nicht an große Prozesse und Vertragswerke zu denken, wahrscheinlich werden sie ihn sogar eine Zeitlang internieren. Aber dann wird ein ungeheurer Nachholbedarf einsetzen, wobei man auch im Hintergrund mitwirken kann, als Ratgeber, der nicht genannt sein will. Und später kommen die gediegenen alten Verbindungen wieder zum Tragen, zuerst die von vorgestern und dann auch die von gestern, denn sie sind zählebig. Dieses Sinnieren beim Gehen gewinnt an mehreren Stellen den Charakter einer Rechtfertigung vor seinem eigenen Gewissen, ein Hervorkehren der aus seiner Sicht positiven „Leistungen“ der letzten Jahre, in denen er sich — nach seiner Selbsteinschatzung — moderater verhalten habe als manche „Kameraden“, die eine große Zeit mit einer zügellosen verwechselten. Diese Überlegungen und Projektionen wurden ja, wie wir wissen, tatsächlich für viele hochrangige Nationalsozialisten und „Wirtschaftsführer“ des Dritten Reichs Realität, d.h. sie kamen straflos oder nur mit einem geringen Strafausmaß davon und saßen bald wieder in leitenden politischen und/oder wirtschaftlichen Positionen. Auch in Linz respektive OÖ stieß Franz Kain - nicht zuletzt aufgrund seiner Redakteurs-Tätigkeit — immer wieder auf Männer, denen skrupellos und z. T. mit Leichtigkeit eine zweite Karriere gelungen war. Facettenreich geht er in seinem Roman Das Ende der ewigen Ruh darauf ein, in dem er aus 8 verschiedenen Blickwinkeln das Treiben der Altund Neofaschisten in einer Industriestadt im Dunstkreis eines Wirtshauses fokussiert. An historisch gesicherten Fakten liegt weiterhin vor: Kaltenbrunner ließ sich am 7. Mai 1945 mit seinem persönlichen Adjutanten Scheidler und zwei weiteren SS-Männern vom Jäger Fritz Moser, der seit 1944 Mitglied der Widerstandsbewegung des Oberen Salzkammerguts war, auf eine Jagdhütte in der Nähe der Wildenseealmen bringen. Unmittelbar vorangegangen war — und darauf wird auch in Kains Erzählung rückblickend im inneren Monolog Kaltenbrun