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der Geschichte zu schicken. Zuviel für hier. Bis 1927 blieb das Museum davon ausgeschlossen, ins Verzeichnis der Sehenswürdigkeiten Wiens auch nur aufgenommen zu werden. Bis es 1938 zur Zerschlagung durch die Nationalsozialisten und 1949 zu ersten Wiederbeginn-Schritten kam, war alles von der Art, auf die man sagen möchte: „Sag Kaddisch drüber und kratz Laub drauf.“ 1993 endlich wurde die Mesusa — im Beisein von Jerusalems Wiener Bürgermeister Teddy Kollek - angeschlagen. Seitdem hört man es knistern und wachsen, manchesmal in Proportion zu den Problemen, mit denen sich jede Einrichtung herumschlägt, in der sich Offizielles (die Republik Österreich, das Land Wien) und Privates (Stiftung, Spenden) zusammentun. Aber das brauchen Besucher nicht zu wissen. Im Erdgeschoß bereits stehen sie vor einer Auswahl aus einer einmaligen Sammlung (mit dem Nichtgezeigten fast 10.000 Gegenstände), die Max Berger s. A. im Gedenken an seine ermordete Familie dem Museum vermachte. Emsig trug er Zeugnisse aus den Tagen vor der Shoa zusammen. Es gibt zehn Objektgruppen vom Psomenbixl (Besamim) zum polierten Yad (Thora-Zeiger), von der Thora-Krone bis zum Kiddusch-Becher. Langmütiger Kunstsinn vermag feine Unterschiede festzustellen, sofern man was davon versteht. Was aber, wenn nicht? Mit dem Antwortfinden auf diese Frage befassen sich die Beiträge in zwei Hauspublikationen, deren Inhalt dem Besitzer schnell teuerer wird als der Preis. „Papier ist doch weiß?“ heißt das eine Buch und das andere, direkter, „Jüdisches Museum Wien“. Unschlüssige, nie zum Schluß durchdringende Definitionen eines Post-Holocaust-Optikums füllen die Aufsätze. Man wird gereizt. Man möchte mitdebattieren. Julius H. Schoeps, Felicitas Heimann-Jelinek, Karl Albrecht-Weinberger, Werner Hanak, und die weiteren Äußerungen zum Thema: Alles bedeutungsvoll. Soll ein Museum zum „Fenstergucken“ auffordern, zum Neugierstillen, wie es bei „den Juden“ hergeht? Kann es den ganz Kenntnislosen mehr als Oberflächen vermitteln? Die Besucherzeit ist immer kürzer als die Reihe der Fragen, und die Beine werden müde. Was verwahrt das Kästchen vom Mohel? Was tut ein Schofar? Vielleicht leistet Konkretes fürs Aufzeigen jüdischer Kultureinflüsse das Beispiel des Glühlampen-Fabrikanten Johann Kremenezky (1850 - 1934). Er stellte gläserne Leuchtzylinder her in der Form von bunten Äpfeln und Birnen, Pfirsichen, Nüssen, Aprikosen, alles so, als könnten sie in der Sukkah vom Laubdach hängen! Der Anschluß der Tradition ans moderne Leben. Der aber ab 1941 zum Gleis-Anschluß des Aspangbahnhofes im 3. Bezirk wurde, wo das Transportziel Theresienstadt und „Generalgouvernement“ hieß. Um wie viel näher liegt Wien diesen Mordstätten als Washington D.C., London, Paris, geographisch gesprochen. Nach dieser fundamentalen Katastrophe ein Museum gerecht zu interpretieren, dazu gibt es moderne Möglichkeiten, nützliche und fragwürdige. Wien griff zu den Transmissions-Hologrammen, 21 davon in der Abteilung Historie. Da wäre es besser „ohne reale Objekte“ auszukommen, die Installation zeige Eingebundenheit, das Medium verriete Konzeption, und wie das Vokabular noch läuft. Bin ich, 1934 zur Welt gekommen, wirklich so ein alter Klachel, daß mir die Gänsehaut ‚cool‘ über den Rücken läuft vor einer Technik, die ‚Gedächtnisstützen in Form von Abkürzungen‘ verspricht? Verströmten die Leiber derer, die zerlumpt auf Bettbänken lagen, nicht bis ganz zuletzt vorm Getötetwerden menschliche Wärme? Gilt das der smarten Gegenwart nichts? Nancy Spero, die das Wandbestempeln erfand — das Museum zeigt Beispiele davon im Auditorium — mag das mit ihren amerikanischen Landsleuten geschichtsangemessen finden. Es geht ums geschwinde Surrogat auf gekalkten Wänden. Mir fehlt da das für mich Wichtigste am jüdischen Leben — das feindferne Beeinandersein. Das Sich-Nahe-Sitzen (für fromme Menschen in der Synagoge) auf zerschlissenem Sofa mit Mutter und Vater und allen. Auch ohne großwohlständig zu sein, ging das und geht — das jüdisches Beisammensein. Wie bringt man das in einem Museum zu Gesicht? Es gibt die Museumsbibliothek, das Lernen durch Lesen also. (Das Ende 1999 fertig werdende Shoa-Denkmal auf dem Wiener Judenplatz ist ein Beton-Kubus, nach außen Buchrücken zeigend.) Die Bibliothek liegt in der Seitenstettengasse, geöffnet montags bis donnerstags. Alles darinnen elektronisch service-orientiert. Sie steuert Materialien zu Ausstellungen bei, die vorn im Eskeles-Palais mit Werklesungen verbunden sind. Zu „Themenausstellungen“, geht es mit Namen wie Marc Chagall, kamen bis zu 100.000 Besucher. Zwischen 1932 und 1935 zählte die Bibliothek 35.000 Besucher. Ihr Bestand war intakt. Jetzt sind es im Jahresschnitt, sagte mir Ronald Grosz, um die 500 Benutzer der Spezialbücherei, selten ein Gemeindemitglied darunter, meistens Studenten. Wo das Geld nicht zu Ankäufen angebotener Nachlässe reicht, muß zum Bestandergänzen gebettelt werden. (Ronald Grosz sagte es jüdischer, aber er meinte gebettelt.) So ist es halt in der modernen Zeit, in der es schöne jüdische Museen gibt. Arno Reinfrank, geboren als Aron Wisotzky 1934 in Mannheim: Vom Fußbodenwischer im Londoner East End bis zum Chefredakteur einer Frankfurter Jugendzeitschrift, vom Lokalreporter bis zum langJährigen Generalsekretär des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland reicht seine Lebens- und LiteraturerJahrung. Verfasser von mehr als drei Dutzend Gedichtbiichern, Prosabdnden, dazu von Theaterstücken, Hörspielen, einer Vielzahl von Zeitungsbeiträgen. Reinfrank lebt seit 1955 in London. Zuletzt erschienen: Lyrisches Eroticon, 46 galante Gedichte, Chemnitzer Verlag 1999; Im Garten der Verrückten, Gedichte aus fünf Jahreszeiten, Brandes & Apsel- Verlag, Frankfurt/M. 1999. Auszeichnung für Harry Zohn Der Literaturwissenschaftler, Essayist und Übersetzer Harry Zohn, emeritierter Universitätsprofessor an der Brandeis University (Massachusetts), langjähriger Brieffreund Theodor Kramers (und natürlich seit ihrer Gründung Mitglied der Theodor Kramer Gesellschaft) wird am 25. November 1999 vom Wiener Stadtrat Dr. Peter Marboe der Ehrenring der Stadt Wien verliehen. Geboren 1923 in Wien, mußte er 1939 nach London, 1940 in die USA flüchten. Er studierte Anglistik, Pädagogik und Germanistik und promovierte 1952 mit der Dissertation „Stefan Zweig as a mediator in modern European literature“. Befreundet mit Friderike Zweig und vielen anderen österreichischen ExilschriftstellerInnen wie Alfred Farau, kommt ihm große Bedeutung als Übersetzer (Karl Kraus, Arthur Schnitzler u.a.) und Vermittler österreichischer Literatur in den USA zu. Er publizierte auch wichtige Bücher über den Beitrag, den „Österreichische Juden in der Literatur“ (so sein schon 1961 erschienenes erstes lexikalisches Werk) leisteten. Auch als Herausgeber der Buchreihe „Austrian Culture‘ beim Peter Lang-Verlag hat er Hervorragendes geleistet. In Zwischenwelt 7 (= Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft, das Anfang 2000 vorliegen wird, ist er mit dem Aufsatz „Iheodor Kramer, wie ich ihn erlebte“ vertreten. 29