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Rom, dem Lyriker und Literarhistoriker Walter Zettl, ist eigentlich kein Geheimnis. Zettl selbst führt sein Jugendwerk kommentarlos unter seinen Buchpublikationen an. Und Zettl hat sich, bin ich informiert, um die Gewinnung von Robert Musils Nachlaß für Österreich verdient gemacht. Gerade jetzt wurde Zettl wieder ein Sammelband von Aufsätzen zu Johannes Urzidil gewidmet, und bei der Präsentation sprach der vielgerühmte, aus Prag stammende Peter Demetz. Mir tut‘s nur weh, daß man über den gewiß geläuterten SA-Sturmführer Zettl in diesen Zusammenhängen einfach nie sprach, selbst wenn man mir Zettl einst als einen ausgewiesenen Freund der Exilliteratur empfahl. Mir geht das alles zu reibungslos. In einer zum Millenium der ersten urkundlichen Erwähnung Österreichs 1996 erschienenen Literaturgeschichte schreibt Zettl ausgerechnet über „Dichtung und Schrifttum in Österreich zwischen den beiden Weltkriegen“, natürlich ohne über seine eigenen Erfahrungen in dieser „Übergangsepoche“ ein Wort zu verlieren. Indirekt spielt Zettl auf sein Jugendwerk vielleicht dadurch an, daß er die allgemeine Anschluß-Stimmung im Österreich der Zwischenkriegszeit stark betont: Kann man einem jungen Menschen, der sich leidenschaftlich heim ins Reich sehnte, das, was auch einem Staatskanzler Karl Renner ein Anliegen war, denn vorwerfen? Das Engagement des ehemaligen Sturmführers für den aus seiner böhmischen Heimat vertriebenen Urzidil ist löblich; aber das Urzidil-Federl, das sich Zettl an den Hut gesteckt hat, ist ja nicht mißgestalt. Es geht nicht um Bestrafung, sondern um Ächtung einer Haltung. Wenn man allerdings Walter Zettls Gedichte liest und den Zeitpunkt der Publikation bedenkt, wird man die Möglichkeit, daß Zettl Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unverjährt sind, begangen hat, nicht von vornherein ausschließen können. Zumindest darf in Ansehung der sich in Zettls SA-Gedichten manifestierenden lyrischen Begabung davon ausgegangen werden, daß sich Zettl noch andere Verdienste um den Nationalsozialismus erworben haben muß: Solche Gedichte sind auch damals nicht publiziert worden, weil man sie schätzte, sondern um den Verfasser zu ehren. Ein mit 1936 datiertes sei hier zitiert. Ostmark, wir rufen! Es gärt im Land und Blutsaat reift. Weh dem, der nicht die Zeit begreift! Ostmark, Ostmark, wir rufen! Noch drückt das Joch die Schultern wund, doch kündend öffnen wir den Mund: Ostmark, Ostmark, wir rufen! Schon dröhnen Trommeln durch die Nacht: Wir treten an den Marsch zur Macht. Ostmark, Ostmark, wir rufen! Der Verfasser, geboren 1919 in Wien, war damals ziemlich Jung, war, wie in einem Nachwort ausgeführt wird, „der jüngste SA-Sturmfiihrer der Ostmark“, hatte eine Gruppe ,,verwegener Burschen aus Erdberg ... von einem tollkiihnen Streich zum anderen geführt“, war im Wiener Polizeigefängnis Elisabethpromenade inhaftiert gewesen, stand ab Sommer 1938 als „Gaustellenleiter“ und „NSG-Schriftleiter des Gaupresseamtes Niederdonau in Parteidienst, bis ihn 1939 der Reichsarbeitsdienst einberief“, und bei Kriegsausbruch die Wehr12 macht. In seiner offiziellen Biographie behilft sich Zettl damit, daß er den Reichsarbeitsdienst in das Jahr 1938 vorverlegt. Was das Auftreten einer Gruppe „verwegener Burschen“ von der SA im Frühjahr 1938 in Wien.bedeutete, etwa für eine von ihr ‚besuchte‘ jüdische Familie, läßt sich mit drei Worten sagen: Mord, Plünderung, Terror. Sollte ich von Walter Zettl mehr Nachdenklichkeit fordern? Oder von den Herren Universitätsprofessoren Zeman, Strelka, Demetz, wie immer sie heißen, die mit Zettl liebenswürdigen Umgang zwischen gemeinsamen Buchdeckeln pflegen? Oder soll ich mich mit der Maxime bescheiden: Das Individuelle und das Anonyme haben sich hier zu einer Identität vereinigt, mit der Zettl selbst und seine Freunde ein Auslangen finden - ? Vielleicht ist diese Anmerkung über Walter Zettl im besten Fall indiskret und ganz unnötig, weil jeder doch weiß, daß es Nazis gegeben hat und sogar solche, die Gedichte geschrieben haben, feinsinnige Nazis also. Und die Eingeweihten haben ohnehin davon gewußt. Betrachtet man dennoch die Unterschiede in den alt gewordenen Buchwelten des Stuwerviertels, erfährt man, daß es hier nur zwei Rassen von Bücherlesern gegeben hat, politische Rassen nämlich: solche die den Nationalsozialismus ohne Umschweif von sich gewiesen haben, und solche, die ihr Leben lang daran genagt haben, ob an Hitler nicht doch etwas dran gewesen sei. Nennen wir erstere, politisch unkorrekt, aber historisch konkret: Kommunisten, und letztere, ebenso ungerecht, doch nicht willkürlich: Faschisten. Mag sein, daß in der Wirklichkeit alle möglichen politischen Überzeugungen geteilt worden sind, in den Buchwelten hat es nur sie gegeben: Kommunisten und Faschisten. Auseinandergerissen wird, was sie mit Mühe zusammengetragen und vermutlich mit noch größerer Mühe studiert haben, teils gläubig gleich Kindern den Zeilen nacheilend, teils Wort für Wort gegen das Buch und gegen den Gang der Welt, in der dieses Buch nicht zu widerlegen war, protestierend. In unserem Stuwerviertel ist alle Tage Buchmarkt, man muß sich die staubigen Schachteln nur zeigen lassen in den Souterrain-Gewölben der Altwarenhändler. Man darf sich damit nicht zu viel Zeit lassen, denn das dürftig eingerichtete Geschäft, das man aufsuchen wollte, kann schon wieder zugesperrt sein, ehe man dazukommt, den Altbücherbestand durchzusehen. Ganz anders in Innsbruck: Bei jenem Bücherbasar hatten die Angestellten der eingesessenen Buchhandlungen der Stadt das kleine Vergnügen, einmal in etwas improvisierter Form unter freiem Himmel ihre Ware feilzubieten. Natürlich mußte das alles gut vorbereitet, mußten die Bücher alle mit Preisen fehlerlos ausgezeichnet sein, daß nicht ein Ungeschick den mittelständischen Handel um den Ertrag seiner Mühen bringe! Und eingesessen waren die Buchhandlungen jahrzehntelang, ja manchmal jahrhundertelang. Weiter durch den Innsbrucker Burggraben gelangt man zur Hofburg, an der „Schwarzmanderkirche“ mit dem Grabmal Maximilian I.‘ vorbei, wo man all die in Bronze gegossenen, fadengebundenen, schweinslederberückten Herrschergestalten finden und die Methode studieren kann, alles höchst individuell und ohne jede historische Wahrheit darzustellen. Wie sagt der Herr zu seinem Sklaven oder zu dem, den er dafür hält: „Erinnern Sie sich nicht, sondern arbeiten’S. Die Familienchronik führ ich mir selber.“ Teilweise erstveröffentlicht in der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ (Salzburg).