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Macht und Kraft und Wille bedeuten - auch wenn du in Amerika sein solltest!“ „Also auch gegen Amerika wollt ihr ziehen, wie?“ „Lache nur, lache! Allen Lächlern wird das Lachen vergehen! Niemand wird dem Nationalsozialismus widerstehen, und schon gar nicht diese alten und morschen Demokratien!“ „Und das sagt ein ehemaliger Revolutionär, ein Philosoph, ein Spinozaverehrer?“ „Und du hast noch immer nicht begriffen, daß der Nationalsozialismus an sich Revolution bedeutet?“ „Revolution? Eine Besudelung, eine niederträchtige Besudelung dieses heiligen Wortes, das ist der Nationalsozialismus — sonst nichts!“ „Du magst schimpfen wie du willst, Robert, bist ein Betroffener und somit ist dir alles zu verzeihen...“ „Ich verzichte auf deine billige Hochherzigkeit...“ ys» Wir werden die Welt zunächst sehr gründlich zersetzen, damit Platz für das Neue kommt. Vielleicht sind wir noch nicht das Neue selbst, aber seine Wegbereiter sind wir ganz sicher!“ „Es ist widerwärtig mit einem Gebildeten diskutieren zu müssen, der sich dem Betrug verschrieben hat. Wie liebe ich da noch den einfachen Mob, der es nicht besser versteht, und der mit Begeisterung bei der Sache ist, weil er die Juden ungestraft ausplündern und verprügeln darf, und der noch als Held geehrt und als Mitglied einer besonderen Rasse gefeiert wird! Ihr aber, die ihr dem Mord noch die Mauer macht, wissend daß es ein Mord ist, ihr, die ihr lachend die Menschheit wieder in die Massengrube führt und derweilen noch diese Mordvorbereitungen wissentlich stützt, ihr, ihr, ihr seid das ganz große Unglück dieser Zeit, das wahrhaft Böse!... Verzeih mir!... So, und jetzt erst kann ich dir danken für alles, was du getan hast, um mich vor deinen Parteifreunden zu retten!“ „Ich weiß, daß ich dir als ein vollendeter Mephisto erscheine‘, meinte Doktor K. Er lächelte, aber es war nur der Ansatz zu einem Lächeln. „Du bist also ganz fest davon überzeugt, daß nur Schlechtigkeit die Triebfeder meiner Handlung ist?“ „Wir wollen aus dem Persönlichen ins Allgemeine gehen“, sagte Ascher, der seine Ruhe wiedergefunden hatte. „Dem einfachen Manne, dem Simpel, dem Fanatiker oder dem wirklich Fanatisierten gestehe ich den Milderungsgrund der ehrlichen Gefühle zu. Aber, wohlgemerkt: nur als Milderungsgrund! Das Verbrechen bleibt deshalb doch ein Verbrechen. Aber dem Treiben der Gebildeten, der sich zu dem Verbrechen bekennt, liegen nur Gewinnsucht, Schlechtigkeit oder bestenfalls träge Feigheit zugrunde. Oder habe ich ein Motiv vergessen?“ Doktor K. schwieg und Ascher fügte hinzu: „Es wäre denn, es handelt sich um einen gebildeten Dummkopf. Auch dieser darf dann auf den Milderungsgrund Anspruch erheben!“ „Könnt ihr einander kein gutes Wort zum Abschied geben?“ fragte Eva. „Freilich, es mag schwer sein, für Sie, Doktor Ascher. Aber hat sich Ihr Freund im großen und ganzen nicht doch als anständiger Kerl erwiesen?“ „Persönlich sozusagen. Und dafür habe ich ihm auch gedankt. Doch gerade wegen seiner persönlichen Anständigkeit bleiben sein Handeln und seine Lebensführung doppelt und dreifach schlecht. Sie sagten es vorhin selber, Eva... Dieser Mann hier, der nächtelang über Spinoza diskutieren konnte, der ein glühender Verehrer Heinrich Heines war, dieser Mann ein Nazi!... Na ja, Sie haben recht, Eva, wir wollen einander gesittet adieu sagen. Vielleicht darf ich das mit einem Gedicht Heines, den du einst so liebtest... Ein Jahrtausend und schon länger Dulden wir uns brüderlich! Du, du duldest, daß ich atme, Daß du rasest, dulde ich!“ „Ich könnte dir ja zum Abschied in Erinnerung rufen, daß du nie viel für Heine übrig hattest, daß er dir, dem Juden, zu weich, zu sentimental, zu spielerisch, zu oberflächlich, zu feuilletonistisch war. Kannst du dich entsinnen? Waren es nicht schöne Zeiten, da wir nur derlei Sorgen hatten?“ „Es waren immerhin die Zeiten des letzten Weltkrieges, der ja wahrscheinlich doch nur eine Idylle war gegen den, den ihr nun anzuzetteln im Begriffe seid...“ „Leb wohl, Ascher!“ sagte K. Er war aufgestanden und reichte dem Freunde von einst die Hand. „Leb wohl, und wenn du mir überhaupt noch zu glauben vermagst, dann glaube mir, daß ich dir alles Gute wünsche. Ich bin froh, daß du hinauskommst. Die nächsten Tage dürften nicht angenehm werden für die Juden, weder hier noch irgendwo im Reich...“ „O, hat die deutsche Volksseele bereits den Befehl bekommen, überall und zur gleichen Zeit zu kochen zu beginnen?“ Sie reichten einander die Hände. Ascher fühlte einen starken Druck, und er wußte nicht wie ihm geschah, aber auch er drückte die ihm dargebotene Hand kräftig. Als Eva, die den Gast noch bis zum Tor geleitete, wieder ins Zimmer trat, dämmerte es draußen bereits. Sie bereitete Ascher ein Lager auf dem Divan und unbarmherzig fegte sie alle Lieblingspuppen ihrer Mutter, das Dorchen, das Lieschen, Fiffi und Elschen auf den Boden. Ascher aber wollte Eva an der Hand festhalten; sie machte sich energisch frei. „Sie müssen ein paar Stunden schlafen!“ sagte sie. Aber er konnte nicht schlafen. 15