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sende Juden werden heute nachts im Wienerwald Unter¬
schlupf suchen. Alle Juden sind doch gleich gescheit...“

„Ja, nur vergißt du in deiner Klugheit, daß auch die Nazis so
gescheit sind wie wir, ja daß sie noch weit geriebener sind
als wir Juden und daß sie uns daher bestimmt hier suchen
werden...“

„Na, dann sind wir halt verloren, ob wir alleine gehen oder
zu zweit oder zu dritt...“

„50? Du Oberkluger! Meinst du?“ fragte Jakob Fischel
gereizt.

„Müssen wir denn immer miteinander streiten? Auch in
solch einer Situation? Und vor einem Fremden, den wir soeben
erst kennengelernt haben?“ fragte Doktor Emil Gans.

„O, das macht gar nichts! Bitte, legen Sie sich keinerlei
Zwang auf!...‘
schon recht dunkel geworden, ich glaube wir könnten es wa¬
gen, ein paar Schritte gemeinsam zu gehen. Nachher wollen
wir dann jeder wieder unseren eigenen Weg einschlagen...“

Die drei Männer kamen, langsam ausschreitend, in ein Ge¬
spräch. Sie sprachen nur flüsternd miteinander, als könnten sie
in dem dichten Wald belauscht werden, und immer wieder
blickte sich einer von ihnen vorsichtig um. Sie sprachen über
dies und das, und gar bald war Doktor Ascher über die äußeren
Verhältnisse seiner beiden Weggefährten einigermaßen infor¬
miert. Doktor Gans war Ingenieur, Statiker seines Zeichens, er
war in einer der bedeutendsten Flugzeugfabriken in leitender
Position gewesen, ja recht eigentlich betrachtet war er es noch
immer. Die Nazi hatten ihn stillschweigend auf seinem Posten
belassen und hätten es am liebsten auch weiter so gehalten,
wenn nicht er selber immer wieder um seine Entlassung gebe¬
ten hätte. Er wollte ins Ausland, aus man ihm lockende Ange¬
bote machte. Aber die Nazis ließen ihn nicht ziehen, verwei¬
gerten ihm hartnäckig seinen Paß, sie hatten ihm endlich sei¬
nen Wunsch erfüllt und aus dem Dienst entlassen, aber sie
sandten ihm Konstruktionspläne und Berechnungen nach Hau¬
se, wofür sie ihn generös entlohnten. Seit ein paar Tagen aber
hatte sich das wohlwollende Verhalten seiner Vorgesetzten
plötzlich geändert und war ins Gegenteil umgeschlagen, sodaß
Doktor Gans es für zweckmäßig gefunden hatte, sich für al¬
le Fälle während der gefährlichsten Tage in Sicherheit zu
bringen.

Doktor Gans war mit Jakob Fischel verschwägert, einem
Mann, von dem nicht viel mehr zu sagen ist, als daß er ein gut
gehendes Wirkwarengeschäft im Stadtzentrum sein Eigen hat¬
te nennen können. Aus seinen Worten war zu entnehmen, daß
er sich für einen sehr tüchtigen Kaufmann hielt, keiner in sei¬
ner Branche, so behauptete er oft, hätte billiger eingekauft und
eine feinere Witterung für den Geschmack und die Mode be¬
sessen denn er... Inzwischen war es immer dunkler geworden
im Walde, man konnte jetzt wirklich nicht mehr weiter wan¬
dern, und so entschlossen sich die drei Männer ein Plätzchen
zu suchen, wo sie nächtigen konnten. Aber sie waren so sehr
müde und die Dunkelheit war so undurchdringlich, daß sie sich
niederließen wo sie gerade standen. Jakob Fischel, der Tüchti¬
ge, öffnete seinen Rucksack und entnahm ihm eine warme De¬
cke. „Ja, ja, man muß an alles denken“, sagte er. Und dann
nahm er eine Tüte mit Äpfeln und offerierte seinen Kamera¬
den. „Ich verlasse niemals das Haus, ohne etwas zum Essen bei
mir zu haben. Man kann nie wissen.“ Ich kann sein Gesicht
nicht sehen, dachte Ascher, aber ich bin überzeugt, daß es jetzt
im Triumphe leuchtet... Dann streckten sie sich hin. Es war un¬
bequem und hart, und so müde sie auch waren, sie konnten

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nicht schlafen. Doktor Ascher träumte mit halbgeschlossenen
Augen vor sich hin. Er sah Eva, Koffer packend, er sah seine
einstmalige Kanzlei, er sah sich über die Familiengeschichte
gebeugt, er sah sich im Konzertsaal sitzend, Evas Vater diri¬
gierte, und er hörte ganz deutlich Beethovens Neunte, Ton für
Ton... Aber er hörteauch einen tiefen Seufzer, und der war von
Jakob Fischel. Und er hörte die dunkle, singende Stimme des
Doktor Gans, der vor sich hinsagte: „Ja, ja!“ Und wieder nur:
„Ja, ja!“ Sonst nichts. Aber dennoch bewegten diese kleinen
Worte das Herz Aschers mächtig und tief.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte er.

„Können Sie sich selber helfen?“ fragte Doktor Gans
zurück.

Ascher schwieg.

„Ich bin verheiratet... zwei Kinder... Mädchen...“

„Meine arme Schwester!“ seufzte Jakob Fischel.

Ascher versuchte dem Gespräch eine andere Wendung zu
geben, er wollte die wehmütige Stimmung seiner beiden Ge¬
fährten zerstreuen, also sprach er von den vielen Tausenden
und Hunderttausenden, ja Millionen Juden, die das gleiche
Schicksal zu tragen hätten. Bald war das schönste Judenge¬
spräch im vollen Gange.

„Es scheint, als würden wir nie zur Ruhe kommen!“ sagte
Doktor Gans. „Die Geschichte vom Ahasver, dem ewigen Ju¬
den, dürfte die wahrste aller Legenden sein... Und es war schon
so hell gewesen, schon schien uns der Weg offen...“

„Wie meinen Sie das?‘ fragte Ascher.

„Der Zionismus... Nach zwei Jahrtausenden der Judenwan¬
derung war er doch die einzige und erste positive, schöpferi¬
sche Idee. Endlich hatte man es eingesehen, daß den Juden
nichts anderes helfen könnte als eine einheitliche politische
Leitung, ein Judenstaat. Und jetzt? Man hat die Araber gegen
uns aufgewiegelt, man will uns alles, was wir dort aufgebaut,
wieder entreißen und wegnehmen... Denken Sie doch um wie¬
viel weniger Elend heute unter uns Juden wäre, wenn wir unse¬
ren eigenen Staat hätten, und wäre er auch nicht in Palästina,
sondern irgendwo in der Welt. Irgendein Winkelchen in der
Welt, das unser wäre und in dem man jetzt ruhig leben
dürfte...“

„Mein Schwager ist nämlich ein alter jüdischnationaler
Couleurstudent...‘“, sagte Jakob Fischel.

„50?“ fragte Ascher eifrig. „Wie alt sind Sie, Doktor
Gans?“

„Achtunddreißig!“ sagte Gans. Auch er fragte interessiert:
„Warum? Sind Sie auch Zionist?“

„Nein..., das heißt, ich weiß das nicht so ganz genau. Mein
Vater war ein Freund Theodor Herzls. Ich kann mich noch gut
an ihn erinnern, er schenkte mir einmal einen herrlichen Fu߬
ball, und auch Ansichtskarten schickte er mir, aus der ganzen
Welt, aus London, Paris, Petersburg, Holland, Ägypten, auch
aus Palästina...“

„Warten Sie, dann sind Sie ein Sohn Doktor Rudolf
Aschers, nicht wahr?“

„Ja.“

„Lebt Ihr Vater noch!“

„Nein, er starb vor über zwanzig Jahren...“

„Und Sie sind der Ascher, der die Affaire mit dem deutsch¬
nationalen Couleurstudenten hatte, mit... wie heißt der Kerl
nur?“

„Er hieß Prieger. Heute wäre er vermutlich ein strammer
Nazi, aber er ist auch schon lange tot, so viel ich weiß. Aber
wieso wissen Sie so gut Bescheid um die Sache?“