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vende Inschrift „Ich danke dem Herrgott für diese Stunde, die jetzt bald kommt“. Von ebenso prognostischer Kraft sind auch die lichteren Bilder des Zyklus, die der Befreiung, Idyllen voller Lampions und wehender Trikoloren. „Mulhouse en liesse/Mulhouse jubelnd“, entstand 1943 und gleicht, wie Fotos zeigen, der späteren Befreiungsfeier vor dem Rathaus auf verblüffende Weise; „Et le röve se réalisa/Und der Traum verwirklichte sich“, eine anmutige, bukolische Szene an einem trikoloren Bach, die Elsässerinnen in Tracht unter wehenden blauweißroten Wimpeln zeigt, ist 1939 entstanden und wurde 1942 nochmals überarbeitet: jetzt trägt die kleine Brücke, die den Bach überquert, die Jahreszahl 1943... Der „Salon der Träume“ wurde zu Lebzeiten Steibs nur ein einziges Mal öffentlich gezeigt, 1945 im Rathaus seines Heimatortes Brunstatt. Der Erfolg beschränkte sich auf den ersten Tag, an dem, wie überliefert ist, 2.000 Personen die Ausstellung besuchten. Joseph Steib starb 1966, die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens hat er nicht mehr gemalt. Niemand erkannte die Bedeutung seiner Bilder. Der Katalog der Brunstatter Ausstellung verzeichnete 57 Bilder; etwa zwanzig davon verkauften die Erben Anfang der achtziger Jahre anscheinend an einen Militaria-Händler — der vielen Hakenkreuze wegen. Sie sind verschollen. Daß inzwischen 29 Bilder wieder aufgefunden wurden, ist allein dem Spürsinn und der Geduld von Frangois Petry, Professor für Geschichte und Archäologie in Strasbourg und Landeskonservator für Denkmalpflege, zu verdanken, der Steibs Bedeutung zu Anfang der achtziger Jahre als erster erkannte. Die erste Ausstellung in Deutschland fand 1997 im Museum Charlotte Zander in Schloß Bönnigheim statt (Katalog, 16 S., im Wachterverlag Bönnigheim, Industriestr. 25-27, D-74357 Bönnigheim), es folgte im Juli/August 1998 eine Ausstellung anläßlich der Eröffnung des Felix-Nussbaum-Hauses in Osnabrück. Die Ausstellung in Koblenz — sie wird im nächsten Jahr auch im Münchner Stadtmuseum gezeigt — war die bisher größte und umfangreichste: Sie berücksichtigte nicht nur Steibs künstlerische Entwicklung vor und nach den Kriegsjahren, sondern stellte seine Bilder auch in den Kontext der Zeit. Francois Petry hat dazu einen ebenso gelehrten wie engagiert geschriebenen Katalog verfaßt, der alle ausgestellten Bilder abbildet, ausführlich kommentiert und das künstlerische Umfeld und die Tradition beschreibt, aus der sie stammen. Tomi Ungerer charakterisiert Steibs Eigenart in seinem Vorwort („Bravo Joseph‘) außerordentlich treffsicher: „Mit seinem beißenden Humor spuckt Joseph Steib auf seine Personen, die er mit seiner Bosch-Lampe erhellt, in einer apokalyptischen Fastnacht. Ein Visionär, die nicht so naiv war wie seine Malerei ... Seine Bilder sind erschütternd, sie spiegeln mehr als die Bilder jedes anderen Malers, den ich kenne, wider, was wir damals empfanden.“ (S. 5) Die Zitate sind entnommen dem Ausstellungskatalog: Francois Petry: Joseph Steib — Maler des Salon der Träume. Mit einem Vorwort von Tomi Ungerer. Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn. München: belleville Verlag Michael Farin 1999. 198 S. DM 38,— „Der letzte Auftritt“, Ölgemälde, 1943 31