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Julia Logothetis, Portrait Margarete SchütteLihotzky, Öl auf Leinwand 1999. — Margarete Schütte-Lihotzky, geboren am 23. Jänner 1897 in Wien, starb in ihrem 103. Lebensjahr am 18. Jänner 2000 in Wien an einer Grippe. Mit ihr ist eine der ganz Großen des antifaschistischen Widerstands und der modernen Architektur von uns gegangen. Sie war 1930 mit einer Gruppe fortschrittlicher Architekten von Frankfurt in die Sowjetunion gegangen, ging von dort angesichts drohender Verfolgung 1937 nach Paris und 1938 zu Clemens Holzmeister in die Türkei. Ende 1940 kehrte sie nach Wien zurück, um Verbindungsfäden zwischen dem Widerstand in Österreich und dem Ausland neu anzuknüpfen. Doch schon im Jänner 1941 wurde sie zusammen mit dem später hingerichteten Erwin Puschmann verhaftet, im September 1942 zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt (statt des erwarteten Todesurteils). Sie überlebte das Zuchthaus und die Tuberkulose danach, erhielt aber als bekannte Kommunistin kaum Bau- und Planungsaufträge in Wien. (Oft bedauerte sie, daß ihr Talent in Österreich wenig genutzt wurde, obwohl sie, als sie als Architektin nicht mehr arbeiten konnte, vielfach geehrt und gewürdigt wurde.) Ihr autobiographischer Bericht „Erinnerungen aus dem Widerstand“ (Wien: Promedia 1994) schließt mit den Worten: „... Eine Minute Dunkel macht uns nicht blind ...“ Margarete Schütte-Lihotzky (1897 - 2000) Stolz und amüsiert über ihr hohes Alter Julia Logothetis, Portrait Prive Friedjung, Öl auf Leinwand, 1999. — Auch die in Wien lebende, 1898 geborene Prive Friedjung hat ihre „Erinnerungen einer jüdischen Kommunistin aus der Bukowina“ unter dem Titel „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ (Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 1995) sehr spät geschrieben und veröffentlicht. Seit 1924 in Wien, wurde die Sowjetunion ihr Exilland, aus dem sie trotz der stalinistischen Verfolgungen, die auch Angehörige ihrer Familie trafen, als politisch engagierte Frau 1947 nach Wien zurückkehrte. Ende November 1999 porträtierte ich Margarete Schütte-Lihotzky in ihrer Wohnung in Wien und erfuhr, durch ganz alltägliche Anlässe, wie sorgfältig die damals schon Erblindete mit den Dingen ihres Lebens umging, mit dem Lichtdesign ebenso wie mit Kamm und Bürste ihrer Mutter, die sie immer noch benützte. Ich war erstaunt über ihre Geistesgegenwart und Intensität im Gespräch, ihr Interesse an der Musik meines Vaters Anestis Logothetis und über ihre Freude an meinem Besuch. Sie bedauerte, mein Porträtbild nicht mehr sehen zu können, erklärte mir aber, aus dem Gedächtnis, die Bilder in ihrer Wohnung. (Unter anderen viele Arbeiten von Axl Leskoschek.) Ihre erste eigene Arbeit als Möbeldesignerin stand da, ein Schmuckkasten, sie öffnete ihn und schloß ihn mit verschmitztem Lächeln. Oft wirkte sie leicht und unbeschwert wie ein junges Mädchen, bezauberte mich mit ihrem Charme, Witz und scharfen Verstand. Bei einem weiteren Treffen erzählte sie mir von der Frau Rapoport aus Berlin und auch darüber, daß sie sich die Weihnachtszeit mit dem Ehepaar Rapoport (Mitja, Universitätsprofessor, ein Jugendfreund Jura Soyfers) auf dem Tulbingerkogel verbringen wolle. Ich hätte sie gern besucht, da sie mir ein Buch von Frau Rapoport besonders empfohlen hatte, „Meine drei Leben“. Wir plauderten über Architektur und über den Maler Georg Eisler, dessen Familie Margarete Schütte-Lihotzky gut gekannt hat. Ich freute mich schon auf die Feier ihres 103. Geburtstages — sie ihrerseits war über die Tatsache ihres hohen Alters stolz und amüsiert zugleich. Julia Logothetis 39