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Basil von ihm, und ihre Freundschaft ging in die Brüche. An der unmittelbar nach 1945 einsetzenden Diskussion um den „Fall Weinheber“ beteiligte sich Basil nur zögerlich. In diesem Zusammenhang zitiert Strigl einen Brief des Autors an Erich Fried vom 25.7. 1947: Ich war lange Jahre, bis etwa 1936, mit Weinheber intimst befreundet. Seine langsame Wandlung zum poeta laureatus der Nazis habe ich schon aus einiger Entfernung mitgemacht, denn unsere Beziehungen kühlten sich allmählich ab. 1937, im Herbst, habe ich Weinheber das letzte Mal gesehen und gesprochen. Immerhin verdanke ich es ihm, daß mich im Frühjahr 1938 die Gestapo — nach zwei Hausdurchsuchungen — im allgemeinen in Ruhe ließ [...] im Falle Weinheber bin ich zusehr Partei. Schließlich bezog er doch Stellung, indem er noch 1947 im Österreichischen Tagebuch eine schonungslose und nichts beschönigende Charakterstudie über Josef Weinheber veröffentlichte, gleichsam eine Studie über den „Fall und Unfall eines Großteils der deutschen und österreichischen Intelligenz“, wie Basil selbst schrieb. (Wiederabgedruckt in MdZ Nr. 2/1997, S. 27-29). Gerade am Beispiel der Weinheber-Diskussion unmittelbar nach 1945 wird Otto Basils eigener kulturpolitischer Standpunkt deutlich: „So wenig er in den 20er und 30er Jahren einen engstirnigen Lagerdenken huldigte, so wenig war er 1945 bereit, die Bilanz der NS-Herrschaft zu verfälschen.‘“ (Daniela Strigl) Christian Teissl Otto Basil und die Literatur um 1945. Tradition — Kontinuität — Neubeginn. Hg. von Volker Kaukoreit und Wendelin SchmidtDengler. Profile. Magazin des Osterreichischen Literaturarchivs Nr. 2/1998. Wien: Paul Zsonay Verlag 1998. 143 S. Zeit der Heldinnen Die Lebensgeschichten von elf außergewöhnlichen jüdischen Frauen, die in den letzten zwölf Jahrhunderten gelebt und gewirkt haben, hat die Schriftstellerin und Journalistin Gerda Hoffer ausgegraben, entdeckt und in dem Buch „Zeit der Heldinnnen“ wiederbelebt. Hofer folgt den Spuren von der legendären Berberkönigin Dahyia Cahena im 7. Jahrhundert, die den Kampf gegen die islamisch-arabische Eroberung des Berbergebietes in Nordalgerien anführte, bis hin zu Zohora Leviatov, die als erster weiblicher Fliegerleutnant in der israelischen Armee diente und 1948 im Einsatz um das Bestehen des Staates Israel fiel. Die Bezeichnung „Held“ ist heute abgegriffen. Das ,,Heldenzeitalter“ war schon fiir die patriachale Gesellschaft des alten Griechenlands eine vergangene, legendäre Epoche. Jedoch bis in unsere unmittelbare Gegenwart sind die schrecklichsten Heldendenkmäler errichtet worden. Die „Heldinnen“ in Gerda Hoffers Buch sind Frauen, die in einem traditionellen jüdischen Milieu heranwuchsen und maskuline Berufe ergriffen, in denen sie sich nicht nur bewährten, sondern außerordentliches zuwege brachten. Nicht einmal der vollständige Name ist von Sahrah bekannt, die 1419 als erste Frau die erzbischöfliche Lizenz erhielt, als Ärztin zu arbeiten. Abigal Minis, die 1740 mit ihrem Mann als Wirtschaftsflüchtling nach Nordamerika auswanderte und ein Geschäftsimperium aufbaute, investierte ihr Vermögen in die Versorgung und Ausrüstung der revolutionären Armee von Georgia. Man(n) nannte sie „Großmutter der Revolution“, ein zutreffenderer Titel wie „Kommissarin“ oder ,,Zahlmeisterin“ der Revolutionsarmee wäre wohl als ungehörig erschienen. Sie alle blieben vereinzelt, haben keine Schule oder Tradition aufbauen können. In ihrer Zeit waren sie Einzelkämpferinnnen, die die Fesseln der Erziehung, der Religion und allgemeinen Konvention sprengten. Aber auch die Frage nach möglichen Gemeinsamkeiten im Leben der Frauen drängt sich auf. Bei dem Symposium „Frauen im Exil“ (Wien 1995) bemerkte Gerda Hoffer: ». der Einfluß von Frauen stieg immer, wenn das Einkommen der Familie sank ... Und da Juden, durch ständige Ausweisungen und Verfolgungen, sich häufig in ökonomischen Zwangslagen befanden, ist es kein Zufall, daß Jüdinnen weit mehr als andere Frauen im Erwerbsleben standen ...“ (MdZ Nr. 4/ 1995, S. 16) Gerda Hoffer, Tochter des 1942 im englischen Exil gestorbenen österreichischen Romanciers Stefan Pollatschek, ist bis 1938 in Wien aufgewachsen. In den ersten Exiljahren in England in verschiedenen Brotberufen tätig, schloß sie ein Studium der vergleichenden Religionswissenschaft an der Londoner Universität ab. Nach dem Tod ihres Mannes übersiedelte sie 1978 nach Jerusalem. Der literarische Nachlaß ihres Vaters, das mehr als 1.000 Seiten umfassende Werk „Dr. Ascher und seine Väter“, war ihr Anlaß, sich mit der Geschichte des europäischen Judentums in Böhmen und Österreich auseinanderzusetzen. Daraus entstand „The Utitz Legacy“ (Jerusalem 1988), eine Geschichte ihrer eigenen Familie von „Simon, dem Hausierer“, der um 1580 lebte, bis zu ihrer Mutter Ilka Lion, die Wiens ersten Bridge Club gründete. (Neuaufgelegt unter dem Titel „Nathan Ben Simon und seine Kinder“, München: DTV 1996.) Die Geschichte der „Vorväter“ motivierte Gerda Hoffer, sich mit der Geschichte jüdischer Frauen auseinanderzusetzen. Das schlimmste, was einer Frau passieren kann, ist, mit Gefühl verstanden zu werden. Dieses Mißverstehen raubt den Verstand und die Geschichtlichkeit. Gerda Hoffer versteht sich als Dokumentaristin, mit der Aufgabe zu entmythologisieren und die patriachale Chronik aufzubrechen. Unspektakulär erzählt sie von stolzen, eigenwilligen, beharrlichen Frauen, ohne Abschweifungen zu besonderen weibliche Fähigkeiten, aber auch ohne aus der Gegenwart entnommene emanzipatorische Wunschvorstellungen, denen die Porträtierten dann doch nicht entsprechen könnten. Ihre Darstellung bleibt den Quellen verbunden: harte Archivarbeit, Quellen- und Dokumentenstudium, Zusammenschau verstreuter Publikationen, verfaßt in allen möglichen Sprachen dieser Welt. Neu gestellt werden die Fragen nach der besonderen Restriktivität der Gesetze des Judentums in Bezug auf das weibliche Geschlecht und die Frage nach dem Unterschied zwischen christlicher Funktionalisierung und Einschränkung des Entfaltungsspielraums. Im Bild der Frau, wie es sich im Nationalsozialismus zuspitzte, gab es für die selbstbestimmte Frau keinen Platz mehr — sie wurde ausgerottet, als Individuum und als Typus. Das von Absonderung, Vertreibung und Exil geprägte Leben hat jüdische Frauen auch immer zu hoffnungsvollen Aufbrüchen ermuntert und außerordentliche Kräfte freigesetzt, die Vorurteile zu überwinden und einen Ort gesellschaftlichen Wirkens zu erkämpfen. Siglinde Bolbecher Zeit der Heldinnen. Lebensbilder außergewöhnlicher jüdischer Frauen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999. 238 S. 47