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Zu einigen neuen Untersuchungen über das Judentum in der deutschen Literatur Der vom Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main herausgegebene Sammelband über die deutsche Nachkriegsliteratur und den Holocaust entwickelt ein sehr differenziertes und nachdenkliches Bild. Der Band geht, wie es im Vorwort heißt, von einem objektiven Gegenüber jüdischer und nichtjüdischer Autoren aus. Bestritten wird damit das von den deutschen Schriftstellern nach 1945 konstruierte, einheitliche Erfahrungskontinuum zwischen Opfern und Tätern. Als die Ausnahme zu dieser Regel wird von Holger Gehle (dem Gerhard Scheit allerdings widersprach) das Werk Ingeborg Bachmanns gewertet, das jedem Versuch der Einfühlung in Opfer oder Täter widerstand und Auschwitz laut Klaus Briegleb „als die absolute Täuschungs- und Trennungsstätte, von der aus zwei Kollektive eine neue Geschichte und ein neues Erkennen beginnen müssen“, begriff. Ein Beispiel für diese differenzierte Lesart unbestrittener Hauptwerke deutscher Literatur ist der Beitrag von Thomas Sparr über Paul Celan und Nelly Sachs. Die fragwürdige Rezeption Celans, unter der der sensible Dichter selbst sehr gelitten hat, wird mittels der Abstraktionen des Kritikers Hans Egon Holthusen auf den Punkt gebracht und von Peter Szondi in einem Leserbrief formuliert: Hans E. Holthusen aber, der einst ebenfalls die SS-Uniform trug, darf im Literaturblatt der FAZ (vom 2. Mai 1964) behaupten, der Ausdruck ‚Mühlen des Todes‘ sei bei Paul Celan das Zeichen einer „Vorliebe für die ‚surrealistische‘, in X-Beliebigkeiten schwelgende Genetivmetapher“ gewesen. Diese Koinzidenz ist kein Zufall: weder beim Dichter, dem der einstige Euphemismus noch gegenwärtig ist, noch beim Kritiker, der die Erinnerung an das, was gewesen ist, durch den Vorwurf der Beliebigkeit zu vereiteln trachtet. Bei Nelly Sachs wurde das Judentum dagegen laut Sparr zu einer repräsentativen, Versöhnung stiftenden, aber nicht weniger abstrakten Größe stilisiert. Das Beispiel für das Scheitern eines gutgemeinten Diskurses ist Alfred Anderschs Roman Efraim. Die Mystifizierung des Holocaust, die sich in immer wieder variierten Sätzen wie „Wer mir Auschwitz erklären möchte, ist mir verdächtig“, manifestiert, wird von heutigen Lesern kritisch gewertet, obwohl sie auch bei einem so berühmten und im Deutschen ebenfalls viel gelesenen Autor wie Eli Wiesel zu finden ist. Mit seiner Verweigerung, über Auschwitz nachzudenken, lenkte er, wie Ruth Klüger anmerkte, von der banalen Wahrheit ab, „daß die Nazis wirkliche Menschen und leibhaftige Deutsche waren“. Andere Autoren wie etwa Heinrich Böll thematisierten die Shoah nur am Rande. Peter Weiss wiederum nannte in seinem berühmten Stück Die Ermittlung über den Auschwitz-Prozeß die jüdischen Opfer nicht beim Namen. Noch signifikanter ist die Verdrängung bei den von Jochen Vogt analysierten sogenannten „Väterbüchern‘“, zu deren Autoren Ruth Rehmann, Elisabeth Plessen, Christoph Meckel, Sigfrid Gauch und Günter Seuren gehören. Hannes Stein widmet sich im letzten Beitrag der neuen jüdischen Literatur, die er einerseits als ein willkürliches semantisches Produkt entlarvt, für die er andererseits aber doch ein gemeinsames Kriterium feststellt, nämlich das Urvertrauen in die Erzählbarkeit der Welt. Er fragt sich: „Woher nehmen nun die jüdischen Schriftsteller den naiven und beinahe leichtsinnigen Glauben, es sei noch möglich, etwas Neues mitzuteilen? Die Antwort scheint offenkundig zu sein: Die Juden waren schon immer ein Volk von Geschichtenerzählern.“ Als ein ihn beeindruckendes Beispiel einer Erzählung über die jüdische Heimatlosigkeit zitierte Stein übrigens ausführlich den ihm persönlich unbekannten Schriftsteller Vladimir Vertlib, was in der MdZ nachdrücklich vermerkt sei. Zumindest in Klammer wäre allerdings die deutsche Tnart zu hinterfragen, die österreichische Literatur noch immer unter die deutsche Literatur zu subsumieren, als ob das Wort deutsch keine Doppelbedeutung hätte und der „Anschluß“ nach wie vor aufrecht wäre. Dies erinnert aber auch daran, daß eine systematische Untersuchung der österreichischen Nachkriegsliteratur über ihre Auseinandersetzung oder ihre Verdrängung der Shoah nach wie vor ein wichtiges Desiderat ist. Für die Literatur der ehemaligen DDR ist eine solche Untersuchung dagegen 1994 in dem dafür entlegenen Verlagsort Amsterdam erschienen. Der Autor Paul O’Doherty dissertierte zu diesem Thema an der Universität Nottingham und recherchierte für das Buch auch lange vor Ort. O’Doherty beginnt mit einer selbstverständlichen, nur scheinbar widersprüchlichen und von ihm im Verlauf des Buches viel zu positiv gewerteten Feststellung: „Jewish issues were never a central concern either of SED culture or of politics in the GDR. AntiZionism was an integral part of the SED’s philosophy ... this study will show that Jewish issues were discussed again and again in the literary and cultural life of the GDR, though less frequently in political affairs.“ O’Doherty analysiert das Werk von 19 Autoren, darunter Willi Bredel, Anna Seghers, Stephan Hermlin, Bruno Apitz, Arnold Zweig, Franz Fühmann, Johannes Bobrowski, Peter Edel, Jurek Becker, Fred Wander, Stefan Heym und Giinter Kunert. Sein Ziel ist es, zu zeigen, daß deren Bücher „both mainstream GDR and an important and much neglected part of post-1945 German-Jewish culture“ sind. Allerdings muß auch er zugeben, daß viele staatliche Posten für engagierte atheistische Marxisten reserviert waren und daher von praktizierenden Juden nicht angetreten werden konnten. Einige Seiten weiter erwähnt er verschiedene „pinpricks“ (Nadelstiche), nämlich das Aufführungsverbot für eine Moskauer jüdische Theatergruppe in Berlin während eines Staatsbesuchs von Yassir Arafat oder die Alternative, vor die Peter Honigmann 1979 gestellt wurde, entweder einen Vortrag über Albert Einsteins Judentum vor der jüdischen Gemeinde zu halten oder aber seine Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften zu verlieren. Aber zu hinterfragen wäre, ob er mit seiner Wortwahl diese Schikanen nicht eigentlich verharmloste. Obwohl er antizionistische Werke von Autoren wie Friedrich Karl Kaul und Rudolf Hirsch zumindest erwähnt, wenn auch nicht analysiert, ergibt sein zusammenfassender Befund ein viel zu einseitiges Bild: „I have attempted in this study to establish that there was a strong German-Jewish element in GDR culture and that this element was both important and mainstream in a GDR context. Ihave argued that the existence of this literature negates the claim that German-Jewish culture effectively ceased to exist after 1945.“ Er übersah u. a., daß Fred Wander oder Günter Kunert die DDR verließen und das Verhältnis der anderen Autoren zu ihrem Staat weit komplexer und problematischer war, als die einfache Formel vom mainstream vermuten ließe. Überaus nützlich ist dagegen seine im Anhang abgedruckte ausführliche Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur. Eine sehr beeindruckende und gelungene Darstellung der deutsch-jüdischen Literatur legte dagegen der Mainzer Literaturwissenschaftler Dieter Lamping, der Herausgeber der 1992 publizierten Anthologie Dein aschenes Haar Sulamit vor. Über Autoren wie Joseph Roth, Alfred Döblin, Franz Kafka und andere schrieb er: Lampings Untersuchung liegt das Verständnis jüdischer Literatur als „jüdischer Literatur in deutscher Sprache“, dem Selbstverständnis jener Autoren folgend, die eine jüdische Identität erkennen lassen, zugrunde. Als ein wichtiges Merkmal seiner Beschäftigung mit jüdischer Literatur bestimmt Lamping die Trauer: „Denn erst wenn wir wissen, was wir zerstört haben, wissen wir, was wir verloren haben.“ Die Beschäftigung mit jüdischer Literatur ist in Deutschland außerdem befrachtet mit den Lasten der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Furcht, mit Kategorien wie „jüdischer Schriftsteller‘ in rassistische Zuschreibungen der NS-Zeit zu verfallen, führte zu einer Tabuisierung des Themas. Die einseitige Rezeption der jüdischen Holocaust Literatur in jiddischer oder hebräischer Sprache im deutschen Sprachraum kann auch Lamping nur benennen. Mit den darüber längst fälligen und notwendigen Untersu49