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Die Max OphülsBiographie von Helmut G. Asper Burgtheaterdirektor Franz Herterich, dem später die Chronisten des Hauses Umsicht zuschreiben sollten, merkte, daß ihm, dem allzeit Vorsichtigen, ein Fehler unterlaufen war. Er hatte einen Juden als Hausregisseur engagiert. Herterich, der, wie er stets betonte, privat nichts gegen Juden hatte, handelte öffentlich anders. Da er nun einmal gegen die antisemitischen Ressentiments der Ministerialbürokratie und einflußreicher Zuschauer verstoßen hatte, versuchte er den Neuengagierten zuerst mit undankbaren Inszenierungsaufgaben zu verstecken, um ihn dann per Kündigung unauffällig loszuwerden. Die antisemitischen Anspielungen des Theaterkritikers und späteren Nazi-Dichters Mirko Jelusich hatten hieran entscheidenden Anteil. Max Ophüls, dem dies widerfuhr, begnügte sich nicht damit, die privaten Reden des Direktors anzuhören, daß ‚wir in einer christlich-sozialen Republik leben“ und man halt „nicht gegen den Strom“ schwimmen könne, sondern gab den Vorfall einem Anwalt zu Protokoll und enthüllte in einem Interview mit dem Wiener Morgen die Hintergründe seiner Kündigung. Der Skandal von 1925/26 brachte für diejenigen, die sehen wollten, ans Licht, wie es an der Staatsbühne zuging. Für die österreichische Öffentlichkeit bekam bald das 150jährige Burgtheater-Jubiläum Priorität, für Max Ophüls aber hatte das Wiener Zwischenspiel Folgen. Mit Akribie und Leidenschaft hat Helmut G. Asper das Leben des Regisseurs nachgezeichnet. Das Buch könnte von seinem Umfang her eine ganze Epoche darstellen, und eigentlich tut es das auch. Der Autor vermochte die Biographie so zu schreiben, daß wir, über Ophüls lesend, vielfältige Kenntnisse über die Verwicklungen der internationalen Film- und Theatergeschichte von den 20er bis zu den 50er Jahren erhalten. Totalund Nahaufnahmen lösen einander ab, einmal ist Ophüls ins große Feld der Politik und Kultur gestellt, dann wieder sehen wir ihn im kleinen Film- und Theatermilieu mit dessen Intrigen und Genüssen. Meist fungiert der Autor als kundiger Erzähler, der das Persönliche mit dem Geschichtlichen verknüpft, manchmal führt er die reiche Ernte seiner Recherchen vor, indem er die Geschichte durch Abdruck der Briefe und Dokumente weiterlaufen läßt. Daß auch ein solches Werk Lücken hat, registriert man mit Staunen, aber Asper weist selbst auf diese hin, denn der Sohn Marcel Ophüls gab dem Autor zwar ausführlich Auskunft, las ihm auch zahlreiche Dokumente aus dem Nachlaß vor, ließ jedoch den freien Zugang zum reichhaltigen Material nicht zu. „Eine Biographie‘ heißt das Buch im Untertitel, und dieses Genre ist ja zur Zeit in einer seltsamen Paradoxie angesiedelt: Einerseits haben populäre Biographien am Buchmarkt Konjunktur, anderseits gibt es laute Stimmen — so manche tönen aus der Exilforschung -, die biographische Darstellungen als überholt bezeichnen. Aspers Buch ist dagegen ein zeitgemäßer Beweis für die Lebendigkeit des Genres, wenn man seine Möglichkeiten nur richtig erschließt, und dafür, daß es nicht darum geht, Leben und Werk von Menschen zu überholen, sondern beide in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Das Wiener Zwischenspiel war also, so erfährt man in der vielsträngigen Biographie, für Max Ophüls in mehrfacher Hinsicht folgenreich gewesen. Es bedeutete zunächst einen Knick in der energisch betriebenen Karriere des jungen Regisseurs und Schauspielers. Denn dieser hatte sich zuvor in Wuppertal mit aufsehenerregenden Inszenierungen vom „Klassiker“ über das Zeitstück bis zur Offenbach-Operette bemerkbar machen können, bei denen er stets die Texte bearbeitete sowie formbewußte und die Dramaturgie akzentuierende Bühnenbilder lieferte. Er, der noch zahlreiche Angebote von großen Häusern erhalten hatte, bevor er sich ans Burgtheater locken ließ, mußte, nachdem er in Wien seine Fähigkeiten kaum zeigen durfte, zunächst Engagements annehmen, die unter der bereits erreichten Ebene lagen. Auch arbeitete er fortan nicht mehr an staatlichen, sondern an privaten Theatern, die von jüdischen Direktoren geleitet wurden. Helmut G. Asper führt zugleich inhaltliche Veränderungen an. Das Erlebnis der antisemitischen Angriffe in Wien ließ Ophüls sich verstärkt auf seine jüdische Herkunft besinnen, was ihn zur intensiven Auseinandersetzung mit jüdischer Kultur und Tradition brachte. „Ophüls“, so Asper, „solidarisierte sich in den folgenden Jahren bewußt mit dem Judentum und auch mit anderen von der Gesellschaft verfolgten und geächteten Minderheiten“ (132). Er inszenierte eine große Zahl von Dramen jüdischer Autoren, besonders am Neuen Theater in Frankfurt, dessen Direktor Arthur Hellmer ihn hierin unterstützte. Politisch ging Ophüls weit nach links und drückte dies direkt in Inszenierungen aktueller Zeitstücke aus. Mit seinem Engagement begegnete er dabei couragiert den Widerständen seiner Direktoren, wie Paul Barnay in Breslau, der wiederholt den Angriffen von rechts nachgab. Eine Folge des Wiener Aufenthaltes wird man für Ophüls restlos als Gewinn bezeichnen dürfen: Er lernte hier seine spätere Frau, die Schauspielerin Hilde Wall, kennen, die diesen Mann (auch das erzählt der Biograph) in seiner Rastlosigkeit, den Wutausbrüchen als Kehrseite seines öffentlichen Charmes, seinen ständigen Liebschaften ein Leben lang aushielt und ihm, besonders in den verzweifelten Situationen des Exils, eine lebensrettende Stütze werden sollte. Max Ophüls verknüpfte Interessen, die in der darstellenden Kunst oft getrennt zu finden sind. Unterhaltung und Spannung verband er mit Intention, Pathos und hohem Anspruch, die stete Suche nach dem Neuen mit Bewußtsein um literarische und geschichtliche Tradition. Das machte ihn angreifbar oder geriet zur Quelle von Mißverständnissen: Seine „Klassiker“-Inszenierungen, unterhaltend und mit aktuellem Blick gestaltet, galten als zu respektlos, was ihm manche Regie-Möglichkeit auf diesem Gebiet verschloß. Die Filme wiederum, insbesondere die nach 1945 gedrehten, schienen manchen als rückwärtsgewandt, da er seine Stoffe aus der Literatur oder der Geschichte nahm. Beim Film, der ihm ab den 30er Jahren zum Hauptberuf wurde, hatte der Grenzgänger stets heftige Kämpfe mit den Produzenten auszufechten. Das hatte inhaltliche Gründe, denn auf ernsten wie boulevardesken Wegen begriff sich Ophüls als Autor seiner Filme und schrieb an den Drehbüchern mit. Sein Mitarbeiter und Freund George Annenkov bezeichnete ihn als den „anti-industriellsten Filmregisseur“. Er akzeptierte nicht die Arbeitsteilung der Filmindustrie, und dort, wo sie nicht zu umgehen war, unterlief er sie. Wenn er als Regisseur nicht das Recht hatte, seine Filme zu schneiden, dann drehte er eben die Szene nach intensiver Probe nur einmal, um sicher seine Version zu erhalten. Von den Filmen aus der Zeit vor dem Exil, die Ophüls meist im Auftrag von in Berlin situierten Produktionsfirmen, darunter der Ufa, drehte, kann man an „Liebelei“ (1931) — nach dem Stück von Arthur Schnitzler - am deutlichsten sehen, wie die Verbindung zwischen Literatur und Film hergestellt, die Vorlage dann jedoch radikal dem neuen Medium anverwandelt und auf die aktuellen politischen Entwicklungen bezogen wurde. Ophüls erkannte in Schnitzler, wie Asper formuliert, „den klarsichtigen Analytiker der bürgerlichen Gesellschaft“ (265). Er suchte, ein produktiver Nachhall seiner unerfreulichen Wien-Zeit, nicht das Rührselige, sondern das Modellhafte des Stücks. Durch die sozialen und thematischen Verschiebungen, die Ophüls vornahm, als er das Drama ins Epische des Films übersetzte (die Wiener Schnösel wurden beispielsweise zu aktiven Offizieren), konnten der Handlung die Bedrückungen durch den deutschen Militarismus und Nationalismus eingeschrieben werden. Der Film lief an, als die Nazis an die Macht kamen, Ophüls verbeugte sich noch bei der Premiere am 16. März 1933, bevor er ins Exil getrieben wurde. Während der Film in den Kinos Hitlerdeutschlands weiter gezeigt wurde, befanden sich zahlreiche jüdische Mitwirkende bereits auf der Flucht, ihre Namen hatte man einfach aus dem Vorspann geschnitten. Das Exil von Max Ophüls ist das thematische Zentrum des Buches, hier laufen alle Fäden zu einem komplexen Geflecht zusammen. Man erfährt, mit welcher Intensität Ophüls versuchte, seine vielfältigen Beziehungen zu ebenfalls exilierten Filmleuten weiter zu pflegen, alte Arbeitskontakte in der neuen Situation nicht abreißen zu lassen und an seiner Leidenschaft für Ensemble-Bildungen fest51