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zuhalten. Vor allem wird deutlich, wie wechselhaft und zerbrechlich die Situation des Exilfilms war. Was ist eigentlich ein Exilfilm? Asper gibt hierfür Antworten, die sich aus dem genauen Studium der biographischen und historischen Verwicklungen ergeben. In Frankreich, wohin Ophüls geflohen war, glaubten einige Journalisten, es genau zu wissen, es gab Hetzartikel in der Presse gegen die „Emigrantenfilme“. Ophüls, der zunächst dachte, die NS-Herrschaft würde nur von kurzer Dauer sein, fühlte sich in dieser frühen Phase nicht unbedingt als Exilant, mehr wie ein Reisender, der „internationale Erfahrungen (...) sammeln“ (285) konnte. Er wollte aber natürlich sofort in Frankreich drehen. In seinem „Remake“ der „Liebelei“ (unter dem Titel „Une Histoire d’amour“, 1933) finden sich synchronisierte Szenen des ursprünglichen Films, etwa mit Gustaf Gründgens, neben neugedrehten, in denen wiederum französische Schauspieler mit Akteuren wie Magda Schneider und Wolfgang Liebeneiner spielten, die sich beide der NS-Filmpolitik angeschmiegt hatten, aber für die Dreharbeiten zu dem von ihnen verehrten Regisseur nach Paris gekommen waren. Den nächsten Film („On a volé un homme“, 1933) drehte Ophüls mit einer französischen Besetzung für die amerikanische Fox Europa-Gesellschaft. Deren Produktionschef Erich Pommer war ebenso im Exil wie der Mitautor des Drehbuchs Hans Wilhelm, der Ausstatter Max Heilbronner oder die Komponisten Bronislaw Kaper und Walter Jurmann. „Emigrantenfilm“: Pommer rechtfertigte sich gegenüber der Presse, daß kein französischer Regisseur frei gewesen sei. In dieser schwierigen Situation nahm Ophüls 1934 ein Filmangebot aus dem faschistischen Italien an. Da der Antisemitismus in Italien seitens der Staatsmacht vorerst noch keine Rolle spielte, und Ophüls nicht als politischer Flüchtling galt, war dies für ihn möglich. Für den Film „La signora di tutti“, den Ophüls im Auftrag der neugegründeten Firma ,,Novella“ drehte, schrieben wiederum zwei deutsche Exilanten, Hans Wilhelm und Curt Alexander, das Drehbuch. Der Druck allerdings, den die deutschen Stellen auf die Filmfirma wegen der Beschäftigung jüdischer Exilanten ausübten, machte weitere Projekte zunichte. Mit der Bewußtwerdung der Exilsituation wuchs bei Ophüls der Wunsch, Franzose zu werden. Er liebte das Land, die Sprache, die Kultur, und hatte als gebürtiger Saarländer auch günstigere Möglichkeiten, zugleich wollte er damit den Presse-Kampagnen gegen die Tätigkeit ausländischer Künstler im Film begegnen. Langsam und besonders nach dem Sieg der Volksfront (1936) konnte Ophüls Frankreich tatsächlich als seine Heimat betrachten. Abgesehen von einer Filmproduktion in Holland sowie einem desillusionierenden Versuch in der Sowjetunion, konzentrierte sich Ophüls fortan auf Arbeitsmöglichkeiten in Frankreich. Die bevorzugte 52 Orientierung am literarischen Stoff hatte nun eine wesentliche Funktion hinzubekommen. Mit seinem ,,Werther“-Film (1938) beispielsweise verfolgte Ophiils die Absicht, das Werk der Vereinnahmung durch die Nazis zu entreißen und eine Geschichte zu erzählen, in der, wie Asper analysiert, Werther „nicht aus Liebesgram, sondern (...) an der gesellschaftlichen Ordnung“ (371) zugrunde geht. Es ist eine der Qualitäten der vorliegenden Biographie, daß in ihr die vielfältigen Aktivitäten des Protagonisten nicht zu einer einzigen bruchlosen Identität gerinnen. Ophüls Arbeiten, so läßt sich erkennen, waren stets mit einem Team von Exilanten geleistet und von einem antifaschistischen Impetus durchdrungen, zugleich aber durch die Eigentümlichkeiten der jeweiligen Genres geprägt. Eine Lesung der Texte von Carl von Ossietzky anläßlich der Ossietzky-Feier der Liga für Menschenrechte (1938) folgte anderen Gesetzen als ein ans Sentimentale streifender Film wie „sans lendemain“ (1939), der - in einem französischen Ambiente, das aber die Erfahrungen der Exilanten widerspiegelt — die Parallelen von „bürgerlicher Welt und krimineller Halbwelt‘“ thematisiert, ein historischer Film über Franz Ferdinand („De Mayerling ä Sarajewo“, 1939/40) oder die antifaschistische Radioarbeit für den französischen Rundfunk. Die Besetzung Frankreichs durch HitlerDeutschland war der große Bruch in der Exilsituation von Max Ophüls. Inzwischen französischer Staatsbürger und Soldat der französischen Armee geworden, aber deswegen flüchtet Ophüls mit seiner Familie in den unbesetzten Teil Frankreichs. Er sieht sich, abgerissen von seinen Arbeitsmöglichkeiten, nun tatsächlich als Flüchtling, der, zutiefst depressiv, ständig eine Cyankali-Kapsel bei sich trägt und vorerst vergeblich versucht, alle notwendigen Visa für die Ausreise in die USA zu erlangen. Die Rettung erfolgt durch Freunde und Bekannte aus der Weimarer Republik und der Wiener Zeit: Mitglieder des Ensembles verschaffen Ophüls die Einladung zu einer Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus, Heinrich Schnitzler ist einer derjenigen, die der Familie die Einreise in die USA ermöglichen. Aber die Filmindustrie der USA unterschied sich erheblich vom System in Frankreich, wo die Produzenten als Patriarchen agierten. Es dauerte Jahre, bis der stets von Ideen berstende Ophüls in den USA nach zahlreichen Demütigungen mit Filmen wie „The Exile“ (1947), „Letter from an Unknown Woman“ (1947/48), ,,The Reckless Moment“ (1949) doch noch zu einem „Hollywood-Director“ wurde. Ophüls Rückkehr aus dem Exil war eine Rückkehr nach Frankreich, er ist also im Exil geblieben oder hat etwas, das man gemeinhin „Wahlheimat“ nennt, gefunden. Der Riß in seinem Leben blieb, innerlich und äußerlich. In Frankreich konnte er arbeiten, wurde aber als deutscher Exilant angesehen und deshalb auch angegriffen. Der deutschen und österreichischen Kultur fühlte er sich verbunden, eine Rückkehr war ihm allerdings nicht möglich. Es wurden ihm in Deutschland auch nur wenige Projekte angeboten. Der Riß ging durch seine Arbeiten, die ihr eigenes Maß hatten und in ihrer Qualität den Schablonen der meisten deutschen und österreichischen Nachkriegsfilme spotteten. Wenn man heute einen Film wie „La ronde“ (nach Schnitzlers „Reigen“, 1950) sieht, dann ist darin eine Verbindung von Satire und Traurigkeit zu entdecken, die nichts mit der trivialen Sehnsucht nach der guten alten Zeit zu tun hat. Die Melancholie des Rückblicks ist vielmehr vom Wissen um den Riß zwischen dem durchaus kritisch gestalteten Leben im Fin de sciecle und den mörderischen Verwüstungen durch den Nationalsozialismus gezeichnet. Seine Theaterarbeit in Deutschland hätte Ophüls gerne mit einem deutschen „Klassiker“ wieder aufgenommen, um der Vereinnahmung durch die Nazis eine von demokratischem Geist durchdrungene Inszenierung entgegenzusetzen. Die Ressentiments der Intendanten, bei denen Ophüls anfragte (Barlog und Gründgens waren unter ihnen), verhinderten dies. Gründgens, bei dem dazu der Neid auf alle seine Gastregisseure den Spielplan stets mitdisponierte, drängte Ophüls auf ein Feld, das er, seinen nur als Rivalen betrachteten Kollegen herabsetzend, mit dem Terminus „Nebenwerk“ beschrieb. Für ein solches „Nebenwerk‘“ hielt Gründgens auch Beaumarchais’ „Der tolle Tag“, und es war diesem bornierten Irrtum zu verdanken, daß Ophüls am Hamburger Schauspielhaus einen vielleicht weit kräftigeren Kontrapunkt als geplant setzen konnte. Das vorrevolutionäre Werk bot ihm alle Möglichkeiten, seine alten Themen - Politik und Erotik, Zeitbezug und Historie - mit Elan in Szene zu setzen und die Erfordernisse der Bühne ebenso zu berücksichtigen, wie deren Grenzen durch Hinzufügung filmischer Mittel zu überschreiten. Was als neuer Beginn gedacht war, wurde zur letzten Arbeit, kurz nach der erfolgreichen Premiere starb Ophüls im März 1957 in einem Hamburger Spital. Er hatte sich davor gefürchtet, in Deutschland sterben zu müssen. Max Ophüls war stets bemüht, seiner Existenz den Anschein von Leichtigkeit zu verleihen, auch als Erzähler seines Lebens führte er mit Elegance die Leser an den Katastrophen und Kämpfen, damit aber auch an der Substanz seines Werkes vorbei. Mit Helmut G. Asper haben der Regisseur und sein Werk nun ihren Erzähler gefunden. Peter Roessler Helmut G. Asper: Max Ophüls. Eine Biographie. Berlin: Bertz Verlag (edition arte) 1998. 735 S., davon 64 Photoseiten. 0S 496,-/DM 68,/SFr 62,