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ren, war EEK zweifellos österreichischer Offizier. Als solcher wurde er auch 1914 einberufen, machte den Krieg tatsächlich mit, wurde (mehrmals) verwundet, ausgezeichnet und verlor seinen Bruder Wolfgang in der universellen Schlächterei. Am Ende des Krieges war er im Kriegspressequartier tätig, wo zahlreiche österreichische Schriftsteller versammelt waren. Sein direkter Vorgesetzter war Robert Musil. In einer Reportage: aus dem Jahre 1929 für die Arbeiter Illustrierte Zeitung machte EEK die Trennung deutlich, die zwischen der deutschen und der österreichischen Armee herrschte. Wie man weiß, lautete die Devise: „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“ In seiner Reportage erscheint die Devise leicht abgeändert: In der Tat zeigen zwei Photos, daß der Unterschied gleich unmittelbar hinter der Front deutlich wurde: es gab zwei Arten von Bordellen, die einen strikt „nur für österreichische Soldaten“, und die anderen „nur für deutsche Soldaten“, sodaß die Devise lautete: „Getrennt lieben, vereint sterben.“ (Reporter, S. 59) Schon vor Kriegsbeginn war EEK als Aufdecker der „Affäre Oberst Redl“ berühmt geworden. Dieser Offizier des Generalstabes war der Spionage angeklagt und zum Selbstmord gezwungen worden, um die ganze Geschichte im Keim zu ersticken, die für die österreichische Armee kein Ruhmesblatt war. Der Fall Redl erregte Aufsehen und wurde zum Bühnen- und Filmsujet. Die jüngste Variante ist die von Istvan Szabo im Jahre 1984 verfilmte mit Klaus Maria Brandauer in der Rolle des Oberst Redl. Vor Ende des großen Krieges wandelte sich EEK vom Beobachter zum Akteur. Hier ein kurzer Ausschnitt aus seiner autobiographischen Skizze „Kriegspropaganda und ihr Widerspiel“: „Es wurde beschlossen, einen geheimen Arbeiter- und Soldatenrat zu gründen, der seit dem Jännerstreik 1918 und in allen politischen Ereignissen dieses Jahres, dem Sturz der Monarchie inbegriffen, eine entscheidende Rolle spielte. Drei Genossen waren mit der politischen Arbeit unter den Soldaten beauftragt (...) Leo Rothziegel ... Stephan Haller und ich ...“ (Reporter, S. 66) Mit Rothziegel und Werfel gehörte EEK zu den Gründern der „Roten Garde‘ in Wien, deren erster Kommandant EEK war. Allerdings legte er diese Funktion rasch zurück. Patka beschreibt diese Episode im Leben des EEK, indem er einige Legenden entmystifiziert (Stationen, S. 43-50). Aber er gibt kein Beitrittsdatum EEKs zur österreichischen kommunistischen Partei an, die am 3. November 1918 gegründet wurde; er erwähnt aber dessen Übertritt zur KPD im Jahre 1925. Sogar bei diesem Übertritt wird EEKs Bindung an Österreich deutlich: Obwohl er schon 1921 nach Berlin übersiedelt war, dauerte es noch mehrere Jahre bis er seine erste politische Heimat verließ, diese Nabelschnur, die ihn mit Österreich verband. Es war auch nicht das Ende seiner Beziehungen zu diesem Land. Ein schwerer Schlag für seine enge Österreichbindung war die Weige54 rung der Regierung Dollfuß, EEK nach Österreich zu einer Lesung aus seinen Werken in Wien einreisen zu lassen. Dies führte zu einer Pressepolemik zwischen der christlich-sozialen Reichspost und dem linksgerichteten Abend, welcher dieses Einreiseverbot als „Kulturschande“ bezeichnete. Es gab noch etwas anderes, das ihn an Österreich band: Im Oktober 1938 heiratete er seine getreue Gefährtin und Sekretärin (seit 1918) Gisela Lyner, eine Österreicherin. Und dieses Band hielt bis zu seinem Tod. Nachdem ich EEKs Österreichertum mit so vielen Fakten belegt habe, kehre ich zu Patkas Frage zurück: Tscheche, Deutscher, Österreicher? Sie stellte sich überall, wo EEK auftauchte: in Paris genauso wie im mexikanischen Exil oder im spanischen Bürgerkrieg, an dem EEK an der kulturellen und journalistischen Front teilnahm. So war EEK bei den Freiwilligen der Internationalen Brigaden sehr beliebt. In seinen „spanischen Erinnerungen“ schreibt Alfred Kantorowicz: „So wie die Deutschen forderten ihn auch die Österreicher und die Tschechen als einen der ihren ein. Wir besuchten gemeinsam eine Maschinengewehreinheit, die in der Hauptsache aus Österreichern bestand. Überall, wo wir hinkamen, brachen Freudenkundgebungen aus.“ (Reporter, S. 190) Es stimmte also: EEK war Internationalist, aber mit österreichischer Prägung. Das ist auch Patka nicht entgangen, der noch mehrere Ereignisse erwähnt, bei denen EEK seinen Glauben an Österreich demonstrierte, wie an jenem 15. Oktober 1938, als er in Paris im Gewerkschaftshaus Rue Mathurin-Moreau an einer Feier der österreichischen Interbrigadisten, die aus Spanien zurückgekehrt waren, teilnahm. (Stationen, S. 320) Wenn die Fakten EEKs österreichische Abstammung untermauern, so erscheint diese Abstammung noch viel deutlicher in seinen intellektuellen Affinitäten, wie Patka sehr gut darlegt. Man findet hiefür sowohl in den Stationen als auch im Reporter Beispiele. Patka widmet EEKs literarischen Freundschaften ein ganzes Kapitel: „Freundschaft über Gräben hinweg“. EEKs Freundschaften waren durchaus nicht immer von politisch-ideologischen Affinitäten bestimmt. So zum Beispiel seine Freundschaft mit Joseph Roth. Jenseits ihrer ideologischen Divergenzen, hatten sie einen satirischen, subversiven Geist gemein, eine Widerspenstigkeit, sich intellektuell einspannen zu lassen und vor allem ihren jüdischen Humor, der sie zu einer bitter-süßen Selbstironie befähigte. Ihre langjährige Freundschaft, unterbrochen von einigen vorübergehenden Zerwürfnissen, dauerte von 1917 bis zu Roths Tod im Jahre 1939. Was die Beurteilung dieses Schriftstellers rein österreichischer Herkunft anbelangt, stimme ich mit Patka nicht überein, der behauptet, Roth sei als überzeugter Monarchist gestorben. Nur weil Roth in seinen Romanen „Radetzkymarsch‘“ und „Kapuzinergruft“ eine präzise, gleichzeitig mit einem Anflug von Sympathie und Nostalgie versehene Autopsie der untergegangenen Monarchie gemacht hat, kann man ihn keinen Monarchisten nennen, auch wenn es Versuche der ideologischen Vereinnahmung gegeben hat, sogar nach Roths Tod. Anläßlich seiner Beerdigung strafte EEK die Ansprache eines monarchistischen Repräsentanten donnernd Lüge und legte sein Bukett roter Nelken mit einem demonstrativen Gruß nieder: „Von deinen deutschsprachigen Schriftstellerkollegen!“ Die Freundschaft EEKs mit Robert Musil rührt auch aus dem Krieg, wo Musil als Hauptmann Vorgesetzter EEKs im Kriegspressequartier war. Beide schätzten sie das Talent des jeweils anderen hoch ein, obwohl zwischen ihnen ideologisch Ozeane von Antinomien lagen. Es ist wahrscheinlich, daß EEK die treibende Kraft zu einer Einladung an Musil zum „Kongreß über die Verteidigung der Kultur“ (21. Juni 1935) in Paris war. Hingegen ist es sicher, dass er keineswegs mit dem Wortlaut von Musils Auftritt einverstanden war, der überhaupt nicht in den sehr antifaschistischen Rahmen dieses Kongresses paßte, wo Schriftsteller wie Brecht, Becher, Feuchtwanger, Regler, Toller, Seghers, Klaus und Heinrich Mann und Kisch selber den Ton angaben. Musil, der aus Schuschniggs Österreich kam, war ganz einfach nicht auf der Wellenlänge derer im Exil in Paris. Übrigens, die Arbeiter-Zeitung, die damals in Prag erschien und im geheimen in Österreich verbreitet wurde, hatte die Anwesenheit Musils mit Bitterkeit kritisiert. Sie warf ihm gewisse Gemeinsamkeiten mit dem damaligen autoritären Regime in Österreich vor. Aber Kisch war außerstande, seinem großen literarischen Gegenspieler zu grollen und würdigte ihn in einem sehr noblen Nachruf, in dem er ihn die bemerkenswerteste Persönlichkeit der zeitgenössischen Prosa nannte und'prophezeite, daß der „Mann ohne Eigenschaften“ in späterer Zeit eine verdiente Auferstehung erfahren würde, weil das zeitgenössische Publikum seinen Autor verkannt habe. (Stationen, S. 292) Die letzte Gelegenheit für EEK, als Bindeglied zwischen drei (oder vier?) Identitäten, die aufihn Anspruch erhoben, zu dienen, war das Exil in Mexiko, dem Patka ausführliche und aufschlußreiche Passagen widmet. EEK arbeitete mit den deutschen, österreichischen und tschechischen Exilorganisationen zusammen, wo er auch zahlreiche Freundschaften hatte. EEK vernachlässigte auch die jüdische Gemeinde nicht, für deren Publikationen er eine Reihe von Beiträgen verfaßte. Patka behandelt dieses Kapitel beinahe erschöpfend. Das Kapitel „Heimkehr und Tod“ ist erschütternd: EEK hatte noch zwei Jahre zu leben (vom 21. März 1946 bis zum 31. März 1948), aber seine Lebenskraft war schwer angetastet. Ein Großteil seiner Familie war von den Nazis ermordet worden, Hunderte Bekannte waren verschollen, und die wenigen Überlebenden hatten nicht mehr viel Gelegenheit, ihn zu besuchen.