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liche Erscheinung ist, wird man doch entgegenhalten, daß Massenverbrechen, wie sie in den deutschen K.Z.s begangen wurden, eine Ausnahme in der menschlichen Entwicklung bilden. Wie gesagt, kann das nur in Bezug auf das Ausmaß, nicht auf das Wesen der Verbrechen behauptet werden. In jedem Volk waren und sind genügend Sadisten und Verbrecher vorhanden, die solche Gewalttaten erst einmal beginnen können, um dann im Laufe der Entwicklung immer weitere Kreise der Gesellschaft in ihre Verbrechen einzubeziehen und mitschuldig zu machen (...) Daß in Deutschland die Verbrecher zur Regierung kamen, ist nicht neu in der Geschichte. (S. 69) Dieser wissenschaftliche Universalismus befremdete die Nachkriegswelt außerhalb Deutschlands und erschien ihnen zu deutschfreundlich. So blieb vieles von ihm unveröffentlicht, obwohl es der Forschung etwa über den Alltag in Konzentrationslagern der ersten und zweiten Kategorie (nicht der Vernichtungslager, in denen er nicht war) aufschlußreiche Informationen hätte geben können. Federn schrieb etwa schon 1946 über die Errichtung von Bordellen in den Lagern. Durch seine psychologischen Beobachtungen entdämonisierte er den Nationalsozialismus, indem er die Psychologie des Gewalttäters, des Folterers entwickelte. Dazu ein weiteres Beispiel: Ich glaube allgemein zu dem Schluß kommen zu können, daß wenn durch Befehl und Straflosigkeit ein Individuum die Möglichkeit erhält, seine atavistischen Triebe und Pubertätsphantasien verwirklichen zu können, so wird der eine früher, der andere später, der eine mehr, der andere weniger, diesen Wünschen nachgeben und in frühere Altersstufen regredieren. (...) Man kann genau beobachten, wie allmählich das Ich von Stufe zu Stufe herabgleitet, wie aus dem beherrschten Erwachsenen langsam das grausame Kind wird. Und da das Gewissen und jede Angst vor Strafe ausgeschaltet wird, gleitet das Ich schnell hinab zu jener kindlichen Sphäre, in der man den Fliegen die Beine ausreißt, grausame Indianerbücher liest und von sadistischen Orgien phantasiert. Nun werden diese Phantasien verwirklicht, und die atavistischen Triebe finden ihre volle Befriedigung.“ (S. 68) Durch welche äußeren Mechanismen und Strukturen es dem NS-Regime gelungen war, in den Individuen die Möglichkeit zur: Yerwirklichung ihrer Triebe und Kindheitsphantasien freizusetzen, beschreibt Ernst Federn ebenso eingehend wie die andere Seite, wie das Erleben des Terrors aus der Perspektive des Gefangenen vor sich geht und welche innerpsychischen Reaktionen zumeist hierauf erfolgen. Um zu verstehen, wie rasch sich etwa in Ruanda die Hutu-Bevölkerung zu Massenmördern an ihren Tutsi-Nachbarn entwickeln konnten, oder wie unglaublich schnell und tiefgehend der Haßausbruch, oder psychoanalytisch ausgedrückt: die Regression in den Sadismus, im früheren Jugoslawien möglich wurde, sind die Studien von Ernst Federn über Mechanismen des Terrors nach wie vor unverzichtbar. Auch was heute als neue Erkenntnisse der Traumaforschung gilt, hat er zum Teil schon vorweggenommen. Zusätzlich zu diesen wichtigen Schriften enthält das Buch Erinnerungen Ernst Federns an ehemalige ermordete Mithäftlinge in Buchenwald, nämlich den österreichischen Kabarettisten Fritz Grünbaum sowie den sozialistischen österreichischen Politiker Robert Danneberg. Auch der Freundschaft mit Bruno Bettelheim, den Ernst Federn in Buchenwald kennengelernt hatte, ist ein Aufsatz gewidmet. Roland Kaufhold hat ferner im Anhang den erhalten gebliebenen Briefwechsel zwischen Bettelheim und Federn dokumentiert und kommentiert. Ergänzt werden die Aufsätze von Ernst Federn durch Beiträge des österreichischen Federn-Biographen Bernhard Kuschey sowie des Filmemacherpaares Wilhelm Rösung und Marita BarthelRösing. Marianne Kröger Roland Kaufhold (Hg.): Ernst Federn — Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Giefen: Psychosozial-Verlag 1999. 225 S. ÖS 291, /DM 39,80/5Fr 37, — Verstreutes Historische Dimensionen, Wien, 9. Februar 2000: Peter Mitterbauer, Multimillionär, Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung und erfolgreicher Betreiber der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ nennt das Geschehene in einem Interview mit dem Österreichischen Rundfunk den UMBRUCH. Peter Westenthaler, Vorsitzender der Parlamentsfraktion der FPÖ, spricht von WENDE. Wolfgang Schüssel, österreichischer Bundeskanzler, möchte uns in die RICHTIGE ZUKUNFT führen. Mein Wohnungsnachbar, der Frühpensionist Geibel, einst im Verschub bei den Österreichischen Bundesbahnen beschäftigt, erklärt mir: Die demonstrieren, sind die Nazis. Wir haben keine Demokratie, eine rote Diktatur ist das, die Juden und die Internationale. Da darf nicht sein, was eine Million und zweihunderttausend Wähler wollen. Die Herren Mitterbauer, Westenthaler, Schüssel scheinen von gelindem Größenwahn befallen, während Herr Geibel im Vergleich mit ihnen fast schon zu den Kindern und Narren gehört, die ohne es zu wissen die Wahrheit sprechen. Er hat nur Schwierigkeiten mit den quantitativen Verhältnissen. Denn nur etwa 15 % der in Österreich lebenden Menschen haben die FPÖ gewählt. Das sensationelle Debüt des A. H. M. Scholtz „In ihrer Einfalt wußten diese Leute, was richtig und was verkehrt war“ Um dieses Buch angemessen zu würdigen, wurde in Südafrika ein neuer Literaturpreis geschaffen, denn es ist nicht nur das erste Werke in Afrikaans und das aus der Feder eines Farbigen, es ist vor allem von seiner Form her absolut außergewöhnlich. Es erzählt die Geschichte eines winzigen Dorfes und mithin die seiner Bewohner. Da kaum einer von ihnen lesen oder schreiben kann, werden die Geschichten mündlich überliefert, und an diese Tradition hält sich der Autor: er tritt völlig hinter seine Figuren und bringt sie selbst zum Sprechen. Das heißt dann als Kapitelüberschrift so: „Onkel Chai erzählt Ta Vuurmaak von Onkel Lewis’ Liebe“, oder „Susan erzählt ihrer Mutter, was Nellie Ndola ihr über Tommy Lewis erzählt hat“, und sie reden so, wie Menschen eben reden, literarische Formen und Normen kümmern sie herzlich wenig. Auf diese Art bringen sie dem Lesenden nicht nur die Geschichte ihres dörflichen Mikrokosmos nahe, auch sie selbst werden einem so vertraut und in ihren Eigenheiten, Fähigkeiten und Unzulänglichkeiten so liebenswert wie Tante Luise mit ihrer Obsession, man möge — und sei’s ins Strandbad — das Haus nie ohne Regenschirm verlassen. Der Autor Andrew Henry Martin Scholtz wurde 1923 in Kimberley geboren, arbeitete als Tischler in Swasiland und Botswana und begann als Rentner zu schreiben. Er ist ganz offensichtlich der geborene Meistererzähler, und daß sein literarisches Debüt zu einer Sensation wurde, hat seine Richtigkeit. „Vatmaar‘ so hieß es unter anderem, sei das südafrikanische Gegenstück zu „Hundert Jahre Einsamkeit“. Bei aller Unvergleichlichkeit und Eigenständigkeit ist es das tatsächlich; und bei aller Prägung durch die südafrikanische Geschichte mit ihren besonderen rassi(sti)schen, politischen, sowie religiösen Aspekten ist es doch auch ein menschliches Universalepos. Die Geschichte beginnt vor hundert Jahren, mit dem Krieg zwischen Engländern und Buren, in dem die Briten die Afrikaans sprechenden Mischlinge als Kundschafter auf die Anwesen von niederlandischstammigen Weißen schickten, um die Bewohner anschließend zu töten, ihre Höfe niederzubrennen und zu plündern. Nach dem Burenkrieg sind die meisten farbigen „Hilfskräfte“ ohne Auftrag und Perspektive, doch zwei von ihnen gründen eine Siedlung, die sie Vatmaar nennen — auf Deutsch heißt das: Faß zu. Nach und nach schließen sich ihnen Menschen unterschiedlicher, immer aber ärmlicher Herkunft an und organisieren allmählich das soziale Zusammenleben. Gerade weil dieser Prozeß aus jeweils subjektiver Perspektive geschildert wird, gewinnt er auf allen Ebenen 57