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Mit der Ziehharmonika heißt ab nun Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands, wie das Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft schon seit 1990 heißt. Eigentümer, Herausgeber, Redaktion bleiben unverändert, die Jahrgangzählung wird fortgeführt. - Zwischenwelt drückt ein Moment des Nicht-Zurechenbaren, das auch die Figuren Theodor Kramers auszeichnet, aus. Sie sind nicht Teil des offiziellen Gefüges; ihre Schicksale und Handlungen entziehen sich den herkömmlichen historischen und soziologischen Verallgemeinerungen. Zwischenwelt enthält zugleich eine Anspielung auf die Intermundien des Epikur, in denen die Götter eine letzte Heimstatt inmitten eines atomistisch verfaßten Universums finden sollten. Vielleicht waren die Götter für Epikur eine Verlegenheit, Schemen vergangener Zeiten, die er nur durch eine Sonderregelung in seinen Kosmos aufnehmen konnte. Die Gegenwart befindet sich mit der Kultur des Exils und des Widerstands ja in ähnlicher Verlegenheit. Auf allen Gebieten scheint eine mächtige Tendenz zur Homogenisierung und Ausgrenzung vorhanden (die sich gerne mit einem Bedürfnis nach Harmonie verwechselt), und für Kunst, Literatur, Philosophie, die den Hurrapatriotismus der Gegenwart nicht mitmachen, bleibt es unentschieden, ob sie ein Asyl des Übriggebliebenen oder ein Laboratorium des Künftigen sind. Als die Theodor Kramer Gesellschaft 1984 beschloß, eine „in unregelmäßiger Folge, mindestens jedoch viermal jährlich“ erscheinende Zeitschrift herauszugeben, war man sich der Schwierigkeiten, vor der eine „Zeitschrift für Literatur des Exils und des Widerstands“ stand, kaum bewußt. Die Namensgebung „Mit der Ziehharmonika“ (nach Theodor Kramers Gedichtband von 1936) kam durch einen Kompromiß zustande: Einerseits blieb dadurch unser ‚Schutzpatron‘ Theodor Kramer auch dann präsent, wenn in einem Heft der Zeitschrift einmal nicht von seinem Leben und Werk die Rede war, andererseits konnten wir uns dadurch einer frühzeitigen thematischen Einengung und akademischen Spezialisierung erfolgreich entziehen. Weder wollten wir als Vereinsblatt verkümmern, noch als ein rein wissenschaftliches Organ der Exilforschung fungieren. Wir wollten literaturwissenschaftliche, zeitgeschichtliche, essayistische, literarische und künstlerische Beiträge vereinen, ein Amphibium in verschiedenen Bereichen und kein Chamäleon vor wechselnden Hintergründen sein. In MdZ Nr. 2/1984 schrieb Siglinde Bolbecher über „Harfe und Ziehharmonika“ bei Theodor Kramer: „Nicht das eigenwillige Solo der Harfe im konzertanten Kreise, sondern die vielseitige, volkstümliche, aber auch individualistische Ziehharmonika vermag ihm Klang und Sinn seiner Zeit auszudrücken.“ Doch war der Name der Zeitschrift immer Mißdeutungen ausgesetzt; eine Volksmusikzeitschrift wurde da oft erwartet, und der Anklang an Volkstümliches, der einer Leserschicht, die wir nicht gewinnen konnten, den Zugang erleichtern hätte sollen, war anderen wieder ein Greuel. Wir liebten „Mit der Ziehharmonika‘“ mit einem gewissen Unbehagen, sannen schon lange auf Änderung. Denn die Assoziationen mit begehbaren Straßen und Wegen, einem offenen Himmel und unverschlossenen Häusern, wo melodischer Klang sich zu entfalten vermag und naiver, aber auch schriller Laut die Klage führt, schien uns nicht mehr angemessen. Auf den Straßen wimmelt es von Polizei, die Wege führen ins Privateigentum, und der Himmel wird globalisiert. Die Häuser sind zu groß geworden, ihre Erhaltung zu teuer - viele werden geschlossen für Hiesige wie für Fremde. Der Steeple-chase der Brutalisierung des Lebens übertrumpft real den Jargon der Herausforderung. Die Söhne der nach 1945 Gedemütigten haben sich zu einer soliden Hetzgemeinschaft — mit oder ohne Biihnenbegabung — zusammengefunden und fast unerwartet Regierungsmacht erlangt. Das Motiv der Rache trifft sich mit dem der Bereicherung. Die Literatur und Kunst stellt keine Sieger, sie kann die Hyänen kennzeichnen, vor ihnen warnen, sie als Raubtiere benennen, aber nicht vertreiben. Nicht nur die Schreibenden haben Verantwortung — sind von der Wahrheit in die Pflicht genommen -, so prekär das Wort zwischen Wahrheit und Tat zu liegen kommt. Das Exil und die Überlebenden der Shoah haben nicht nur für sich — zur Bestätigung ihres Daseins — geschrieben, sich auch nicht angemaßt, für die Zukunft zu schreiben oder Zukünftiges zu prognostizieren. Das Gemeinwesen, auf das sie sich beziehen, ist ein konkret demokratisches, ziviles. Seine Grundlagen sind bis heute schwer zu erringen. Zwischenwelt ist kein provisorischer Schutzraum, in dem man sich in Sicherheit dünken kann. Zu der einen Notwendigkeit, endlich einen lebendigen Dialog mit der Kultur des Exils und des Widerstands zu führen (statt diese totzusagen), ist jetzt noch die andere gekommen: die Erfahrungen und Traditionen von Widerstand und Exil mit der Gegenwart zu vermitteln. Die LeserInnen und Leser, die die Zuneigung zu dem schwierigen Namen geteilt haben, bitten wir um Nachsicht für unseren Verrat. Es ist der 15. Mai 2000, und in den Abendnachrichten wird gesagt, der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider verlange, daß jenen österreichischen Nationalratsabgeordneten, die sich gegen Österreich stellten, ihre Mandate aberkannt werden müßten. Denn sie hätten „der Republik unverbrüchliche Treue“ gelobt und begingen nun zwar nicht „Hochverrat“, aber irgend etwas eine Stufe darunter. Der von der Freiheitlichen Partei gestellte Justizminister Dieter Böhmdorfer pflichtete seinem persönlichen Freund Haider umgehend bei. Die Idee ist, juristisch gesehen, aberwitzig, mit Geist und Buchstaben des österreichischen Verfassungsrechts unvereinbar. An einem anderen 15. Mai wurde damit begonnen, auf alle amtlichen Schreiben des Landes Thüringen den Satz zu stempeln: „Wer behauptet, Deutschland sei am Kriege schuld, lügt. Diese Lüge ist die Wurzel unserer Not.“ Und fünf Wochen später erklärte Reichsinnenminister Frick „die Sozialdemokratische Partei Deutschlands als eine staats- und volksfeindliche Partei“. SPD-Mitglieder sollten auf allen politischen Ebenen „von der weiteren Ausübung ihrer Mandate sofort ausgeschlossen werden“. In Wien hat die von führenden österreichischen Industriellen mitfinanzierte Freiheitliche Partei indes plakatiert, mit den „Sozialistischen Österreich-Beschmutzern“ müsse Schluß gemacht werden. Wenn ein Justizminister, der solches erwägenswert findet, seines Amtes nicht enthoben werden kann, steht ein Reichstagsbrand bevor. Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser