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Kunden nachkommend — gehofft, sie auszufüllen und zu behalten. Die Männer gingen. Andere kamen. Auch sie gingen. Ich blieb zurück. Der Bundeskanzler sagte, daß der Staat von jetzt an deutsch und christlich ist. Christlich und deutsch mußten auch in Privatbetrieben die Angestellten sein. Ich war weder das eine, noch das andere. War keine Angestellte mehr. Aber ich wußte nun zumindest, daß ich kein Heimkehrer, kein Flüchtling war, sondern ein Staatsfeind und ein Mitglied der endlosen Armee der Arbeitslosen, die, grau und trostlos, täglich größer wurde. Von Zeit zu Zeit schrieben die Männer Karten: Grüße aus einem freien Land. Von Zeit zu Zeit gaben wir Antworten: Berichte von einem unterdrückten Volk. Von Zeit zu Zeit durchsuchten Polizisten meine Wohnung. War es tatsächlich ein Verbrechen, Menschen zu retten, die nichts gewollt, als Menschenrechte? Gedankenfreiheit. Unabhängigkeit für ihre Heimat, die hemmungslos und hilflos ausgeliefert wurde. War es tatsächlich ein Vergehen, die Welt über die Zustände im neuen Österreich zu unterrichten? War es tatsächlich eine Schuld, nicht christlich und nicht deutsch zu sein? Genügte dies, um unbarmherzig von allen Arbeitsstätten ausgeschlossen, der Not und der Verzweiflung und dem Hunger preisgegeben zu werden? War es tatsächlich so, daß Nazis - fast ungestraft - Höllenmaschinen, Bomben, Handgranaten zur Explosion bringen und Warenhäuser in die Luft sprengen und ungezählte Menschen töten und immer neue Attentate versuchen konnten? Und war es so, daß nun die Heimwehr mit ihrem Wahlspruch „Österreich über alles“ - ... über alles in der Welt!, klangen die Lieder, höhnisches Echo, aus dem III. Reich — nach dem sehr spät erlassenen Verbot der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen sich anschickte, die Rolle der SA zu übernehmen? Es war so. Und so blieb es. Vorläufig. Soweit der Bericht. Der Text beschreibt eine Station des Emigrationswegs der Wienerin Ruth Körner, die als 25jährige 1933 in ihre Heimatstadt zurück kommt, Asyl suchend vor der Bedrohung, als Jüdin und Sozialistin, der sie in Berlin ausgesetzt war. Ruth Körner hatte sich als Schauspielerin in Plauen, in Hamburg, in Wien und auf österreichischen Provinzbühnen betätigt, war mit Dichtern und Revolutionären befreundet, hatte in Berlin an der Hochschule für Politik gerade begonnen, Wissen zu erwerben, das die Mängel einer ungeregelten Schulbildung kompensieren sollte. Mit wildwüchsigem Talent schrieb sie Artikel, Reisereportagen, die im Berliner Börsenkurier, im Berliner Tageblatt und anderen Zeitungen erschienen. Sie hatte 1929 die Bühne verlassen, lebte sei 1927 in Berlin und wollte eine künftige Karriere als Publizistin durch das Studium an der Politikhochschule fundamentieren. Nach Hitlers Machterhalt als Jüdin und Linke attackiert, flieht sie nach Wien, findet für kurze Zeit die Anstellung als Verkäuferin und Mannequin. Schreibt ihr erstes Buch über eine Indienreise, schließt sich der sozialdemokratischen Partei an, hält Vorträge, schreibt Artikel. 1938 flieht sie weiter, nach dem Anschluß im März erst nach Prag, dann nach London. Ruth Körners Text ist eine beklemmende Momentaufnahme Österreichischer Realität in der Inkubationszeit vor dem Nationalsozialismus, als Österreich noch Zuflucht für Gejagte aus Hitlerdeutschland war und sich um einen eigenen Weg zum Faschismus mühte unter Wahrung nationaler Eigenstän6 digkeit und Entwicklung spezieller alpenländischer klerikalfaschistoider Formen des Autoritarismus im Spannungsfeld zwischen Mussolini und Hitler. Exilforschung, die den Blick nur auf die Vergangenheit richten, aktuelle Signale ignorieren würde, hätte ihren Zweck verfehlt. Als interdisziplinäre Beschäftigung mit dem Verlust von Heimat und Sozialisation, mit Gegenständen wie Entwurzelung, menschlicher und intellektueller Existenz, mit Vertreibung und Akkulturation, mit Ursachen, Folgen und Wirkungen von Emigration und Exil betreiben wir eine Wissenschaft, deren politische und humanistische Implikationen Auftrag und Verpflichtung sind. Die Mitglieder der Gesellschaft für Exilforschung sind beunruhigt und erschreckt über das fremdenfeindliche Getöse, über die Instrumentalisierung von Vorurteilen, über das kleinbürgerlich auftrumpfende Verteidigen der eigenen (als überlegen empfundenen) Art gegenüber vermeintlicher Bedrohung durch Fremde und Fremdes, wie es seit etlicher Zeit aus Österreich zu vernehmen ist. Wer sich mit den Wirkungen des historischen Antisemitismus und Rassismus, der praktizierten Fremdenfeindschaft, dem Überlegenheitsdünkel der Herrenmenschen, Arier, germanischen Kulturträger beschäftigt, die Zivilisationsbruch und Barbarei ohne jedes Beispiel zur Folge hatten, kann nicht empfindungslos zur Tagesordnung übergehen angesichts des populistischen Hantierens neuer Nationalisten mit alten Parolen dumpfer Selbstbeschränkung und der Verharmlosung des Hitlerregimes, das auf den Beifall der moralisch Anspruchslosen zielt. Daß eine Frau, die in Österreich heute Selbstverständliches sagt, nämlich für Toleranz im Umgang mit Minderheiten plädiert, jetzt Personenschutz braucht, um ihre Kinder Angst haben muß, bedroht und beleidigt wird, Gegenstand einer Hetzkampagne ist, die ein Berufsverbot zum Ziel hat, dies ist Wirkung öffentlicher Stimmung, die planmäßig erzeugt wird. Die Rede ist von der Superintendentin der Evangelischen Kirche Gertraud Knoll. Stein des Anstoßes war eine Predigt, in der sie kürzlich an die Ermordung von vier Roma im Burgenland erinnerte, die vor fünf Jahren aus rassistischer Gesinnung geschah. Das Aufkündigen des rationalen Diskurses über gesellschaftliche, politische und historische Probleme zugunsten gedankenloser Akklamation für aufgerührte Emotionen, Falschmünzerei im Umgang mit unangenehmer geschichtlicher Wahrheit, wie sie Jörg Haider zum Jubel seiner Anhänger treibt, haben viele Bürger dieses Landes, aber auch die Nachbarn im europäischen Haus beunruhigt. Wenn wir unsere Besorgnis über politische Entwicklungen der letzten Monate im Land, in dem die Gesellschaft für Exilforschung für ihren Jahreskongreß zu Gast ist, artikulieren, so ist das keine Einmischung in fremde Angelegenheiten. Es ist die Sorge von Nachbarn mit einer gemeinsamen historischen Erfahrung, die sich durch Schweigen und Wegsehen schuldig machen würden, weil nicht banalisiert werden darf, wenn leichtfertig mit dem Feuer gespielt wird. Wenn wir die Brandstiftung benennen, so ist das nicht zuletzt auch eine Geste der Solidarität mit Österreichs Intellektuellen, mit denen wir uns befreundet und verbündet fühlen. Um stellvertretend solche Institutionen zu nennen, die international den Rang des geistigen Österreichs manifestieren, darf ich das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands erwähnen, das seit Jahrzehnten hervorragende Arbeit zur Aufklärung über österreichische Geschichte und nicht minder über rechtsextreme Tendenzen leistet, dessen Direktor, Prof. Wolfgang Neugebauer, den ersten Vortrag unserer Jahresta