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der Politik Kreiskys; seine fragwürdige Haltung gegenüber ehemaligen Nazis und der FPÖ, gegenüber Juden und Israel, seine Parteinahme für den SS-Offizier Friedrich Peter und gegen Simon Wiesenthal; dennoch haben die von ihm initiierten gesellschaftspolitischen Reformen den in Österreich vorherrschenden dumpfen Provinzialismus und die geistige Enge aufgebrochen und seine aktive Außenpolitik hat eine stärkere Öffnung Österreichs zur Welt bewirkt. Zurecht konnte Bruno Kreisky bei seinem Abschied 1983 feststellen, daß ein „neuer österreichischer, sehr ruhiger und stiller Patriotismus“ entstanden sei. Für die positiven Veränderungen der politischen Kultur waren vor allem die bis heute wirksame Einführung bzw. Forcierung von politischer Bildung und Zeitgeschichte in Schulen und Universitäten von Relevanz. So wurden und werden im Rahmen der Zeitzeugenaktion ständig Widerstandskämpfer, KZ-Häftlinge und auch Vertriebene in Schulen zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen, wirken an Schulprojekten mit und stoßen dabei auf sehr viel Interesse und Sympathie unter den Jungen. Ungeachtet ihrer Problematik brachten auch sogenannte Gedenkjahre wie 1988 oder 1998 positive Ergebnisse. So wurde z. B. 1998 im Rahmen von Schulprojekten das Schicksal der 1938 von den Schulen gewiesenen jüdischen SchülerInnen in Form von Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen bearbeitet, wobei es viele positive Kontakte von jetzigen SchülerInnen mit Vertriebenen in vielen Ländern gab. Um diese Verbindung zwischen Vertriebenen und Österreich kümmert sich auch seit vielen Jahren verdienstvoll das von Leon Zelman geleitete Jewish Welcome Service. In der universitären und vor allem auBeruniversitären Forschung wandten sich Zeitgeschichtler, Germanisten, WissenschaftshistorikerInnen u. a. den Exilanten und deren Werken zu; über die Exilforschung wird ja von Berufeneren noch ausführlicher gesprochen und diskutiert werden. So verdienstvoll Großprojekte wie Schönberg Center, Freud Museum oder Kiesler-Archiv sind, so schwierig ist es, für Vorhaben zu weniger prominenten Exilanten Mittel aufzutreiben. Nicht zuletzt zeugen auch zahlreiche in den letzten Jahrzehnten geschaffene Gedenktafeln und Denkmäler von der Beschäftigung mit dem Exil. Diese Bemühungen zur geistigen und moralisch-symbolischen Heimholung der Vertriebenen, zur Integration des Exils in die österreichische Kultur, erlitten m. E. durch den Aufstieg und die Regierungsbeteiligung der Haider-FPÖ einen entsetzlichen Rückschlag. Die nun wieder sichtbare häßliche Fratze von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus und NS-Apologie muß gerade für die aus Österreich vertriebenen Menschen und deren Nachkommen die Erinnerung an 1938 heraufbeschwören. An dieser Zerstörung des Ansehens unseres Landes in der Welt können auch die scheinheiligen Bekenntnisse in der Präambel zur Regierungserklärung nichts ändern. Sie können versichert sein, daß sich die österreichische Exilforschung nicht in den Dienst einer billigen Imagepflege stellen wird; sie wird auch in Zukunft jenen Menschen verpflichtet sein, die, verletzt und verjagt, ein anderes Österreich repräsentierten, das Österreich der Kultur, der Humanität und des Antifaschismus. Wolfgang Neugebauer, geboren 1944, Historiker, Universitätsprofessor, ist wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Wien. — Wolfgang Neugebauer hielt diesen Vortrag bei der Eröffnung der Jahrestagung der „Gesellschaft für Exilforschung“ (Literaturhaus Wien, 24.-26.3. 2000). Die Ergebnisse dieser inhaltsreichen Tagung zum Thema „Exil in Österreich - das österreichische Exil“) werden von der Gesellschaft für Exilforschung in ihrem Jahrbuch dokumentiert werden. Aus Anlaß der Tagung wurde im Literaturhaus auch eine Ausstellung über Österreich als Exilland gezeigt. „Patriotismus“ ist ein Wort, das von vornherein ‚negativ‘ besetzt, besser gesagt: mit unguten Reminiszenzen belastet ist. Eine Patriotin oder ein Patriot ist eine oder einer, der sich für den bewährten Undank des Vaterlandes aufopfern läßt, häufiger jedoch einer, der vollmundig seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lande betont und daraus das Recht ableitet, anderen ihre Zugehörigkeit zu dem von ihm geliebten territorialen Gebilde abzusprechen oder sie auch aufzufordern, sich der Liebesgemeinschaft der Patrioten durch reuiges Bekenntnis anzuschließen, will er nicht als „vaterlandsloser Geselle“, als „Nestbeschmutzer“ oder gar als „Intellektueller“ gelten. Letzteres, die Aufforderung an andere, endlich wieder in die patriotische Bekenntnis- und Liebesgemeinschaft einzutreten, ist in Österreich derzeit wohl die Hauptform dieses Patriotismus, und Persönlichkeiten, die schon bessere Tage gesehen haben, wie Fritz Molden und Günther Nenning, sind seine Wortführer. Der Kabarettist Armin Berg hat dafür seinerzeit das Wort die „Patridioten“ gebildet, was vermutlich schon damals, in den 1920er Jahren, nicht originär war. Nun hat der Patriotismus, durch den antifaschistischen Wi10 derstand und durch das Exil, doch eine bemerkenswerte Umbildung und Neubestimmung erfahren, mehr noch durch die Literatur und die Kunst als durch die Proklamationen der Protagonisten politischer Gruppierungen. Patriotismus meint nun nicht mehr schlichte oder vielleicht nur bösartig dumme vaterlandstreue Gesinnung, sondern eine spezifische, nicht einfach durch Herkunft und Herkommen gegebene, sondern gebrochene und reflektierte Verbundenheit mit einem Land: Dieser neue Patriot ist nicht stolzer Bewohner oder frommer Untertan eines Landstrichs, der zugleich als Staat figuriert, sondern Bürger der Probleme seines Landes, ein Problembürger, der in diesen Problemen auch dann noch zuhause ist, wenn er auf grausame Weise ins Exil getrieben wurde. In gewisser Weise fand solche „Problembürgerschaft“ auch in den späteren Konzepten eines republikanischen „Verfassungspatriotismus“ ihre Fortsetzung. Ohne hier eine rückwärtsgewandte Utopie des widerspruchsvollen und von taktischen Erwägungen und Rücksichten auch behinderten patriotischen Diskurses des antifaschistischen Exils als Rezept für die Zukunft entwerfen zu wollen,