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sierungsprojekts dar, durch die Sümpfe der Provinzialität, aus denen die „braune Sauce“, wie die österreichische Roma Ceija Stojka es nennt, quillt, trockengelegt werden sollten. Die Auseinandersetzung mit Exil und Shoah, mit Widerstand und Verfolgung hatte in diesem Zusammenhang die Bedeutung, die mentale Grundlage, auf der das moderne Österreich errichtet werden sollte, zu reinigen. Nicht der Dialog mit einer immer noch lebendigen und produktiven Emigration wurde so zum eigentlichen Ziel, nicht die Kenntnisnahme der künstlerischen und wissenschaftlichen Errungenschaften des Exils, sondern der Nachweis, welch ungeheuren Verlust das Land durch die Verbrechen des Nationalsozialismus erlitten habe, welche Verwirrung des Geistes es daher sei, das Grauen dieser Zeit noch immer nicht wahrhaben zu wollen. Die WiderstandskämpferInnen und Verfolgten, die Exilierten waren hier nicht mehr in ihren Kenntnissen, ihren Erfahrungen, ihrer Arbeit gefragt, sondern vor allem als Zeugen eines Verbrechens, das die Nation endlich einsehen lernen müsse, um eine Reinigung der Gemüter, eine Klärung der Vorstellungen herbeizuführen. Im Rahmen der politische Aufklärung war der kritische Patriotismus auf eine national-repräsentative Wirkung, auf eine strukturelle Veränderung des kollektiven Gedächtnisstruktur der Nation hin angelegt. Diese Intentionen des kritischen Patriotismus kann man nicht als unredlich bezeichnen; außerdem hat sich die Exilforschung in Österreich gewiß nicht deckungsgleich oder kongruent mit dem kritischen Patriotismus verhalten und entwickelt. Was aber in der Exilforschung doch weitgehend vermißt werden konnte, war eine Reflexion der patriotischen Bestrebungen nicht nur des Exils, sondern der Exilforschung selbst. Sie hat sich zu wenig distanziert von den Irrwegen eines kritischen Patriotismus im Kontext eines nationalen Modernisierungsprojekts, die am Ende auch dahin führten, dem Traditionellen, dumpfen Patriotismus (,,Patridiotismus“) die Aufwendungen fiir die Erforschung des Exils dadurch schmackhaft zu machen, daß sie eine Liste jener Geistesgrößen und internationalen Berühmtheiten lieferte, die doch eigentlich Österreicher gewesen wären -und die man nun, bei den ganz besonders Berühmten sinnfälligerweise durch Ehrenbürgerschaften, wieder einzugemeinden begann. Die Exilforschung sah sich in Österreich — wahrscheinlich mehr noch als in Deutschland — einem ständigen, zähen Widerstand konfrontiert, Widerstand des Publikums, dessen Interesse sich in Grenzen hielt, Widerstand der öffentlichen Stellen, deren Finanzierungsbereitschaft rasch erschöpft schien, Widerstand der Fachkollegen, namentlich auf dem Gebiet der Germanistik, die der österreichischen Literatur des Exils und ihrem Gegensatz zur „Literatur im Reich“ nach wie vor meist nur historisch-anekdotische, nicht literaturgeschichtlich systematische Bedeutung beimessen. Indem die Exilforschung sich mit nicht endender Mühe in diese schwere Masse des Widerstands hineinarbeitete, ihr einen anderen Schwung, eine andere Richtung zu geben, geriet sie auch immer tiefer in einen patriotischen Diskurs. Sie begann nur mehr deutsch oder österreichisch zu sehen. Unter Komparatistik wurden, um nur die Pointe vorwegzunehmen, mit einem Mal nur mehr die Nachwirkungen der deutschsprachigen Exilliteratur in den Literaturen der Gastländer verstanden, nicht aber, was dem genuinen Verständnis entspräche, der viel näherliegende Vergleich der deutschen und österreichischen Exilliteraturen mit den gleichzeitigen Exil- und Widerstandsliteraturen der anderen von Nationalsozialismus und Faschismus vergewaltigten und über12 rollten europäischen Länder. Wenn der Berliner Aufbau Verlag einen „Kalender 2000“ zum löblichen Thema ,,Schriftsteller im Exil“ vorlegt und in diesem mit größter Selbstverständlichkeit nur deutschsprachige SchriftstellerInnen vorkommen, als wäre Literatur im Exil eine deutsche Spezialität, ist, wie mir scheint, ein gewisser Endpunkt erreicht. Im rastlosen Bestreben, das deutsche Exil zu einer im patriotischen Diskurs in die Waagschale zu werfenden Macht werden zu lassen, ist man sogar so weit gegangen, die Österreichische Exilliteratur unter dem Titel deutsch-jüdischer Literatur für ein anderes Deutschland zu vereinnahmen, das in diesem Fall wohl auch ein größeres Deutschland sein wird. Lassen Sie mich zum Schluß dieser skizzenhaften und in der unvermeidlichen Verkürzung einseitigen Ausführungen der gegenwärtigen Situation etwas Tröstliches abgewinnen: Früher taten sich die „Österreicher“ leichter, zu nationalem Selbstverständnis zu gelangen — sie brauchten sich nur von Deutschland abzugrenzen. Jetzt endlich haben es die „Deutschen“ leichter: Sie brauchen sich nur von Österreich abzugrenzen, um als vernünftige und kritische Patrioten der Gefahr von Nationalismus und Chauvinismus zu entgehen. Als Referat gehalten bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung (in Zusammenarbeit mit der österreichischen Exilbibliothek) am 24.3. 2000 in Wien. — Vgl. dazu auch Konstantin Kaisers Aufsätze „Kulturnation, Nationalkultur. Ansätze, sie im Exil neu zu bestimmen“, in: Aufrisse (Wien) Nr. 1/ 1987, und „Zur Diskussion um Kultur und Nation im österreichischen Exil“, in: Friedrich Stadler (Hg.): Vertriebene Vernunft II. Wien, München 1988. Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser haben in Zusammenarbeit mit Evelyn Adunka, Nina Jakl und Ulrike Oedl ein „Lexikon der österreichischen Exilliteratur“ verfaßt und zusammengestellt, das jetzt endlich im Herbst 2000 beim Wiener Franz Deuticke Verlag erscheinen wird. Ljubomir Bratié. Foto: Nina Jakl