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also nach diesem Paradigmenwechsel der 1980er Jahre, stattgefunden hat, und weil es vor allem zeigt, wie stark antisemitische Stereotype im Unterbewußten der Menschen in diesem Land immer noch gegenwärtig sind. Also auch von schreibenden Menschen, von Leuten, die sich selber als Kunstschaffende bezeichnen, und von denen man an und für sich annehmen muß, daß sie die Tünche des ‚Gutmenschen‘, unter der sie sich verbergen, nach außen perfekt zur Schau tragen könnten. Das Buch ist ein Kinderbuch, was meiner Ansicht nach die Sache noch viel schlimmer macht und gleichzeitig die Systematik, wie so etwas funktioniert, noch besser aufzeigt. Es stammt von Thomas Brezina, der vielleicht einigen von ihnen schon bekannt sein wird. Er ist ein Trivialautor auf dem Sektor des Kinderbuchs, ein Vielschreiber, er produziert seine Bücher am Fließband — manche behaupten, er schreibt ein Buch pro Tag. Er selbst sagt, das stimmt nicht, er schreibt ungefähr eins pro Woche. Ich weiß nicht, ob da ein großer Unterschied besteht. Der Autor reflektiert natürlich das Geschriebene nicht mehr, und das macht seine Bücher interessant für jemanden, der analytisch an die Texte herangeht oder auch an das Gesamtwerk, das ja meist aus Text und Bild besteht. Die Geschichte, von der ich sprechen möchte — das Buch heißt Wer spukt im schwarzen Schloß? und ist 1996 erschienen —, ist relativ simpel. Das Böse ist vom Guten klar geschieden, die Lichtgestalten und die dunklen Mächte, ohne daß auf irgendwelche Hintergründe jemals eingegangen wird. Das Wort Jude kommt in dem Buch nicht vor. Es gibt die Kinder Karl und Klaro und das Wunderfahrrad Tom Turbo und diese drei legen einem berüchtigten Wissenschaftler namens Dr. Spinntus das Handwerk. Dieser Bösewicht bewohnt ein schwarzes Schloß, wohin er mit einer Spezialpfeife alle Tiere der Stadt lockt, um an ihnen Experimente durchzuführen. Die drei Helden dringen in das düstere Gemäuer ein, wo sie, wie könnte es anders sein, auf Gespenster treffen und in ein dunkles Verlies gesperrt werden, das sich dann als eine mörderische Falle entpuppt - sie sollen zerquetscht werden. — Gut, ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, sie werden befreit, und dieser Dr. Spinntus wird dann auch von der Polizei festgenommen. Er wollte an den Tieren Experimente durchführen, um einen Brei zu testen, der Kinder angeblich innerhalb von wenigen Tagen zu Erwachsenen werden läßt. Und außerdem gibt es dann noch eine Figur, einen Jungen, der heißt. Mario Monedas und ist der reichste Junge der Stadt. Mit dem hat sich Dr. Spinntus verschworen, gegen die Tiere, gegen die Umwelt und gegen die anderen Kinder. So weit so schlecht, keine besonders intelligente Geschichte, könnte man sagen. Antisemitisches tritt manifest nicht hervor, wären da nicht die Illustrationen eines andern, eines anderen sogenannten Künstlers, namens Robert Rottensteiner. Das ist ein im Jahre 1960 im Bundesland Salzburg, in St. Gilgen, geborener Graphiker und Zeichner, der so schnell wie Brezina seine Bücher schreibt diese auch bebildert. Interessant ist, wie er den Dr. Spinntus gezeichnet hat. Wenn man sich das anschaut, glaubt man, es handle sich um antisemitische Karikaturen aus dem nationalsozialistischen Hetzblatt Der Stürmer. Man ordnet bösen Menschen auch häßliche äußere Eigenschaften zu, und so gibt es stereotype Vorstellungen, wie ein Jude auf einer Zeichnung auszusehen hat. Das Stereotyp bleibt unbewußt da, auch wenn die Betreffenden, der Autor und der Zeichner, gar nichts Antisemitisches intendiert hatten. Wie sie aber nach einer bösen Figur suchten, griffen sie sofort nach der Figur des bösen Juden, wie er in der NS-Zeit und auch davor immer wieder gezeichnet worden ist. 22, Was dann passiert ist, als ich die Sache öffentlich gemacht hatte (vgl. MdZ Nr. 4/1996, S. 10-11, und Nr. 1/1997, S. 62f.), ist eine traurige Österreichische Posse, bezeichnend für die Situation in diesem Land, wie die Verdrängungsmechanismen und die Tabuisierung und das, was Doron Rabonovici angesprochen hat, dieses ‚Gutmenschentum‘ oft funktioniert. Thomas Brezina hat behauptet, die Bücher vor der Drucklegung gar nicht gesehen zu haben und dieses Buch im speziellen nicht, und auch danach sei ihm nichts aufgefallen. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit seien ihm fremd. Er selbst habe Jüdische Freunde. Dieser Satz mußte natürlich fallen. Der Zeichner Rottensteiner glaubte zuerst an einen schlechten Scherz. Er habe sich ja nur vom Text inspirieren lassen und bloß einen abgrundtief bösen Menschen darstellen wollen. Das Interessante daran ist, daß er über seine Bilder nicht reflektiert. Dann gab es einen Herrn Wolfgang Astelbauer, damals Lektor des Neuen Breitschopf Verlages, in dem das Buch erschienen ist. Noch einmal, das hat sich 1996/97 abgespielt. Also nicht irgendwann in den 1960er Jahren, sondern mehr oder weniger Jetzt. Dieser Wolfgang Astelbauer hat erkannt, daß das Buchin der Kombination Text/Bilder antisemitisch ist, aber da war das Buch schon in Produktion, und der Verlag wollte es nicht zurückziehen. Kurzum, ökonomische Interessen haben dann den Ausschlag gegeben, es blieb fast ein Jahr lang auf dem Mark. Schließlich bin ich durch Zufall auf dieses Buch gestoßen. Brezina hat das Buch dann doch vom Markt genommen und gemeint, wenn die Betroffenen - also die Juden - sich beleidigt fühlten, werde eben das Buch neu bebildert. Rottensteiner wurde von Brezina und vom Verlag in Schutz genommen: Er habe zur Zeit große persönliche Probleme, hieß es. Wenn also jemand persönliche Probleme hat, muß man Verständnis dafür haben, daß solche Sachen hochkommen. Das Buch wurde tatsächlich mit neuen Bildern auf den Markt gebracht. Dr. Spinntus war jetzt blond und hatte ein Mondgesicht. Der neue alte Zeichner war Robert Rottensteiner. Einen Zusatz zu dem ganzen erlauben Sie mir noch: Ich wurde in der Redaktion der MdZ von einem Herrn Grünwald angerufen, dem früheren Manager der ÖIAG, selber jüdischer Herkunft und mit Brezina irgendwie verschwägert. Das soll auch keine Rolle spielen. Er hat jedenfalls eine halbe Stunde auf mich eingeredet, wollte mich beschwichtigen. Er kenne den Herrn Brezina persönlich schr gut und diesem liege jeder Antisemitismus völlig fern. Er hat mir über die persönlichen Probleme des Zeichners gesprochen. Es ist interessant, daß ausgerechnet der Herr Grünwald, den ich persönlich nicht gekannt habe und der auch mit der Geschichte an sich überhaupt nichts zu tun hatte, mich anrief, und nicht die Herren Brezina oder Rottensteiner. Evelyn Adunka: Ich würde gerne einfach ein paar Fragen stellen. Warum, wenn wir uns die Sekundärliteratur über deutsche und österreichische Literatur oder die gängigen Untersuchungen und auch die Spezialuntersuchungen, die Dissertationen, die Diplomarbeiten, die geschrieben wurden, die publiziert wurden, ansehen, warum gibt es zum Thema Bild des Judentums, der Juden und auch zum Thema des Antisemitismus in der Literatur so wenige Untersuchungen? Warum müssen wir so lange warten? Auch einen zweiten Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang fragen: Es gibt zwei Stellen in Gerhard Scheits Buch, wo er Bezug nimmt auf die Rezeption und auf die Autoren, die sowohl in der NS-Zeit als auch nachher publiziert haben. Warum fällt uns das alles erst jetzt auf? Warum