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Romantisch, jawohl! Und dabei wahr und wirklich passiert! Hier in unserer modernen Großstadt! Und in der heutigen, so prosaischen Zeit! Da hatten sich Leute, sie bewohnten eine piekfeine Villa, eine herrliche Boxerhündin angeschafft. Reinrassig, das versteht sich von selbst. Mit einem ellenlangen Stammbaum. Blanka von Hohenfels lautete ihr altadeliger Name. Sie wurde täglich spazieren geführt. Das besorgte natürlich nicht die Herrschaft selbst, sondern es war für diese Arbeit ein Junger Mann engagiert worden. Heute gibt es bekanntlich Spezialisten dafür. Nach kurzer Zeit dachte man nun daran, die junge Dame zu verheiraten. Nicht so sehr weil die Natur es verlangte, sondern vielmehr deshalb, weil man ja gewissermaßen die Pflicht hatte, Rasse und Adel nicht aussterben zu lassen. Es war aber gar nicht leicht, für eine standesgemäße Mariage den geeigneten Bräutigam zu finden. Doch ereignete sich, während man noch suchte, der glückliche Zufall, daß in die Villa gegenüber eine Familie einzog, die einen solchen besaß. Einen stolzen Rüden derselben Rasse und ungefähr gleichen Alters: Rüdiger von Weißenburg. Die beiden Familien waren bald einig. Es galt nur, den geeigneten Augenblick abzuwarten. Denn bekanntlich ist es da nicht wie bei den Menschen, wo die Hochzeit eines jungen Paares zu jedem Zeitpunkt stattfinden kann. Der Augenblick kam, und man brachte die junge Dame ins Haus des Bräutigams. Doch geschah etwas Merkwürdiges. Sie war durchaus nicht bereit, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen und wies dessen Werbung auf das strikteste ab. Die Nachbarn waren des Nachts im Schlafe gestört, weil Rüdiger von Weißenburg in ziemlich lauter Weise seinen Unwillen darüber äußerte, daß die ihm angetraute Gattin nichts von ihm wissen wollte. Blankas Besitzer konnten sich deren Verhalten zunächst nicht erklären. Doch erfuhren schließlich auch sie, was ringsum alle längst wußten: Sie liebte einen andern. Und zwar wen? Das war ja überhaupt das Schlimmste an der Sache! Den Köter des Kohlenhändlers zwei Straßen weiter. Da war von Stammbaum überhaupt keine Spur. Er war eine Promenadenmischung, wo vom Dackel bis zum Dobermann fast sämtliche Hunderassen vertreten waren. Dennoch mochten alle ihn gern, weil er so drollig aussah mit seinem schwarzen Tell und deu vier weißen Pfoten und dem ebenfalls weißen Fleck über dem linken Auge. Und nun war eben auch Blanka seinem Zauber erlegen. Nach einer Woche vergeblicher Versuche von seiten Rüdigers und der beiden Familien gab man es auf. Blanka wurde in ihr Heim zurückgeholt, während der junge Mann, der ihre täglichen Spaziergänge überwacht und dabei unziemliche Bekanntschaften nicht verhindert hatte, fristlos entlassen wurde. Blanka war jetzt so guter Laune, daß es jedem auffiel. Nach drei Wochen bemerkte man auch an ihrem adeligen Leib gewisse Veränderungen, so daß man annehmen konnte, Rüdigers Werbung sei in einem unbewachten Augenblick eben doch nicht ganz erfolglos gewesen. Der Tierarzt, den man sogleich kommen ließ, bestätigte den Verdacht. Offenbar waren da ein paar adelige Stammhalter auf dem Weg in die Welt. Man bereitete alles vor, auch den Transport ins Tierspital für den Fall, daß bei der Entbindung Schwierigkeiten auftreten sollten. 24 Die Geburt ging jedoch sehr glatt vonstatten. Acht Hündchen wurden geboren, die alle schwarzes Fell und weiße Pfoten hatten, sowie auch über dem linken Auge einen weißen Fleck. Das Entsetzen war groß. Niemand begriff, wie der Straßenköter es angestellt hatte, im geeigneten Augenblick an Blanka heranzukommen. Und hier konnte man auch kein hochnotpeinliches Verhör anstellen. Die Nachbarn erklärten die Sache damit, daß die Liebe eben erfinderisch ist. Vertuschen konnte man die Angelegenheit nicht. Denn es war unvorsichtigerweise publik gemacht worden, daß Blanka Nachkommenschaft erwartete. Verschiedene Interessenten hatten bereits ihre Ansprüche auf ein reinrassiges Boxerhündchen angemeldet. Die Schande ließ sich um so weniger geheimhalten, weil des Kohlenhändlers Köter, was bei menschlichen, besonders bei unehelichen Vätern durchaus nicht immer der Fall ist, sich seinen Pflichten keineswegs zu entziehen gedachte. Den ganzen Tag saß er auf dem Gehsteig vor dem Gartentor und ließ sich weder durch Drohungen, noch durch Schläge vertreiben. Man dachte schon daran, Rüdiger auf ihn loszulassen, der mit dem Nebenbuhler ohne Zweifel kurzen Prozeß gemacht hätte. Aber man ließ das Duell dann doch nicht stattfinden. Der Kerl war keinesfalls satisfaktionsfähig. Blankas Bastardbrut sollte ersäuft werden. Aber der Köchin, der man diese Henkersarbeit aufgetragen hatte, taten die Tierchen leid und sie brachte sie statt dessen dem Kohlenhändler. Auch im Märchen vollzieht sich bekanntlich die Rettung todgeweihter Säuglinge meist auf ähnliche Weise. Während aber dort die Wahrheit erst viel später ans Licht zu kommen pflegt, wurde sie hier schon sehr bald offenbar. Denn es war gar nicht schwierig, die halbadeligen Sprößlinge unterzubringen. So waren also nun in der ganzen Umgegend schwarze Hunde mit weißen Pfoten und dem Fleck über dem linken Auge anzutreffen, lebendige Beweise für die gleichzeitig geschehene Mesalliance und Rassenschande. Worauf die Köchin ebenfalls entlassen wurde. Wie der junge Mann, der Blanka so schlecht bewacht hatte. Und Blanka selbst kam auch bald aus dem Hause. Infolge ihres Seitensprunges war sie in adeligen Hunde- und Hundebesitzer-Kreisen für immer als Heiratskandidatin disqualifiziert. Rüdiger von Weißenburg wurde ganz ostentativ mit einer anderen Boxerhiindin zusammengetan, bei der nicht nur die Rasse, sondern auch die Moral über jeden Verdacht erhaben war. Und in der Tat brachte diese acht Wochen später Junge zur Welt, die unverkennbare Züge ihres legitimen Vaters trugen. Wo Blanka hinkam, wissen wir nicht. Da sie für eine auf Status bedachte Familie keinen Wert mehr hatte, hätte man sie ja ruhig dem Kohlenhändler schenken können. Dann wären die Liebenden vereint gewesen und hätten die Gegend weiter mit schwarzweißen Hündchen bevölkern können. Niemand aber wird sich darüber wundern, daß das nicht geschah. Es hätte das Aufgeben aller Prinzipien bedeutet. Also endet diese romantische Geschichte wie fast alle andern dieser Art: traurig. Sie konnten zusammen nicht kommen. Die starre Konvention siegte auch hier über das echte Gefühl. Und uns bleibt als Trost nur die Gewißheit, daß es die wahre Liebe, trotz allem, immer noch gibt.