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Walter Rode - das bisher einzige aufgefundene Photo/ Archiv Gerhard Baumgartner Johann Feigl, Hofrat und Vizepräsident des Wiener Landesgerichts, hat als Vorsitzender einer Schwurgerichtsverhandlung am 10. März 1904 einen dreiundzwanzigjährigen Burschen, der in Not und Trunkenheit eine Frau auf der Ringstraße attackiert und ihr die Handtasche zu entreißen versucht hat, zu lebenslänglichem schweren Kerker verurteilt. Karl Kraus schrieb diese Zeilen empört in der Fackel und auch Rode mußte als junger Strafverteidiger bald feststellen, daß solch eine drakonische Strafe kein Einzelfall war. Schon einer seiner ersten Fälle, wirkte prägend auf ihn und begründete seinen lebenslangen Haß gegen verknöcherte Paragraphengelehrsamkeit und herzlose „Tipferljuristerei“, verkörpert durch den Obersten Gerichtshof, als letzte Instanz in Strafsachen „Kassationshof‘“‘ genannt. Der Fall war besonders tragisch: Rodes Klient hatte sich als junger Mann von seiner Ehefrau „von Tisch und Bett“ trennen lassen — eine vollgültige Scheidung gab es in der katholischen Monarchie für Katholiken nicht - und war in den Orient gegangen, wo er nochmals heiratete. Als er nach siebzehnjähriger Abwesenheit mit seiner zweiten Frau und zwei Kindern nach Österreich zurückkehrte, um eines der Kinder hier ärztlich behandeln zu lassen, kamen die Behörden darauf, daß er hier noch verheiratet war, und stellten ihn wegen Bigamie vor Gericht, das ihn prompt trotz Rodes heftiger Gegenwehr zu einer mehrmonatigen Kerkerstrafe verurteilte. Rode bekämpfte das harte Urteil beim Kassationshof und führte ins Treffen, die Bigamie sei längst verjährt, der Mann sei längst kein österreichischer Untertan mehr, die strengen österreichischen Gesetze seien auf ihn nicht anzuwenden. Doch der Kassationshof ließ sich nicht beirren und bestätigte das Urteil. Seiner zweiten Frau hatte der Mann seine Schwierigkeiten mit den Behörden verschwiegen; als sie — aus der Zeitung - erfuhr, daß sie gar nicht die „richtige“ Ehefrau sei und ihre Kinder unehelich seien, erschlug sie diese mit einer Hacke und stürzte sich aus dem Fenster. II. Während sich die meisten seiner jungen Anwaltskollegen bieder und angepaßt ans Geldverdienen machten und ihre Klienten im wohlhabenden Bürgertum und im Adel suchten, hatte Rode eine unbequemere Auffassung von seinem Beruf. Die sozialen und politischen Mißstände im Kaiserstaat, die herrschende viktorianische Doppelmoral, der erfolglose Kampf der von Deutschen und Magyaren unterdrückten Nationalitäten der Monarchie um Gleichberechtigung verletzten sein hochentwickeltes Gerechtigkeitsempfinden zutiefst. Wohl waren seit dem Jahr 1867 die Grundrechte der Bürger in der Verfassung verankert, die Wirklichkeit aber sah anders aus. Die Vorrechte des Adels, des Militärs und der katholischen Kirche, die Indolenz der Bürokratie, die Menschenverachtung der Justiz, der zunehmende Antisemitismus und Nationalismus verhinderten eine Umsetzung dieser Grundrechte in die Realität. Rode setzte also sein Wissen und seine Energie für diejenigen ein, deren Rechte nur auf dem Papier standen. Für sie trat er in die Schranken des Gerichtes und für sie kämpfte er ohne Rücksicht auf Anfeindung und persönliche Nachteile, wobei er mehr als einmal seine berufliche Existenz aufs Spiel setzte. Einige dieser Fälle sind in meinem Nachwort zum vorliegenden Buch geschildert, etwa sein Eintreten für ruthenische (ukrainische) Studenten an der Universität Lemberg, die sich gegen die Unterdrückung durch die polnische Oberschicht zur Wehr setzten, damit zusammenhängend seine Anklage gegen den gefeierten polnischen Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1904, Henryk Sienkiewicz, der den Massenhungerstreik der Studenten in einem Zeitungsartikel verhöhnt hatte; sein Kampf gegen die viktorianische Doppelmoral an der Seite von armen, ausgebeuteten Freudenmädchen im aufsehenerregenden Prozeß gegen die Bordellwirtin Regine Riehl oder seine Teilnahme am hochpolitischen „Friedjungprozeß“ des Jahres 1909, der nicht nur mit einer grenzenlosen Blamage des angesehenen Historikers Heinrich Friedjung endete, sondern mit einer Diskreditierung der Außenpolitik Österreich-Ungarns gegenüber den südslawischen Völkern. Rode war niemals auf der Seite des kaisertreu-frommen Österreich, der Autoritätsgläubigen, Etablierten und Angepaßten. Wenn er in politischen Prozessen mitwirkte, was im Laufe seines Lebens oft geschah, dann immer auf der anderen Seite, der vom Regime Verfolgten, der Minderheiten. Er mußte bald die Erfahrung machen, daß es in politischen Prozessen nicht um Gerechtigkeit ging — und heute noch geht —, sondern um die Durchsetzung politischer Machtansprüche oder um die Unschädlichmachung politischer Gegner. IV. Rodes erste Publikationen waren Veröffentlichungen seiner Verteidigungsreden, doch bald folgte im Jahr 1913 — unter dem Pseudonym „Pamphilius“ eine bissige Streitschrift mit dem Titel „Aus der Wiener Justiz“, in der Rode die Mißstände der Justiz geißelte: 27