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Simha Naor ist 1899 — als Stella Silberstein — in Wien geboren. Die Tochter jiidischer Kaufleute verbringt ihre Kinder- und Jugendjahre in Wien. Studium der Physiotherapie bei Professor Eppinger im Allgemeinen Krankenhaus Wien. Ehe mit dem Jüdischen Kaufmann Hans Breit, er stirbt im Januar 1938. Nach dem „Anschluß“ Österreichs an Hitlerdeutschland und einem Überfall der SS aufihre Wohnung gelingt ihr im August 1938 die Flucht über Rom nach Frankreich (Paris, Nizza). Zwei Schwestern von Stella, die in Deutschland gelebt haben, sind rechtzeitig nach Palästina ausgewandert. Ihr bleibt der Weg dorthin versperrt, denn Großbritannien beschränkt AnJang 1939 die Einwanderungsmöglichkeit nach Palästina auf ein Minimum. Stella Breit lebt bis zum Kriegsausbruch ein bescheidenes Emigrantendasein in Nizza, wo sie - knapp vierzigjährig - ihren zweiten Mann, den Arzt und Chirurgen Dr. Richard Borger kennenlernt. Vor den anrückenden Deutschen weichen beide in die Nähe der spanischen Grenze nach Montpellier und Perpignan aus. Im Sommer 1940, nachdem die Deutschen drei Fünftel Frankreichs besetzt haben, wird die Rückkehr nach Nizza möglich. Mit Rücksicht auf Richard, der bei seinen Eltern bleiben will, verzichtet Stella auf die ihr erteilte Einreiseerlaubnis nach Amerika. Im September 1942 beginnen die „Rafles“, die deutschen Razzien in Zusammenarbeit mit der Jranzösischen Polizei, auf der Suche nach jüdischen Emigranten. Stella und Richard verstecken sich drei Monate lang in einem winzigen Kohlenkeller und entgehen der Verfolgung. Ennde 1942, nach der endgültigen Besetzung Südfrankreichs durch die Deutschen, ziehen sie sich in das italienische Grenzland zurück. Sie stehen in Verbindung zu italienischen Partisanen, um deren medizinische Versorgung sie sich kümmern. Im Herbst 1943 werden sie auf einer ihrer Exkursionen von einer deutschen Militärstreife verhaftet und - als Juden- von Borgo St. Dalmazzo aus im Viehwaggon nach Nizza transportiert. Man weist sie ins „Hotel Excelsior“ ein, das als Übergangslager für die Judentransporte dient. Stella und ihr Mann werden für die „jüdische Equipe“ engagiert: Richard arbeitet als Arzt, Stella als Wirtschafterin. Anfang 1944 weist man Dr. Borger die Aufgabe zu, verhaftete Männer, die ihre jüdische Identität bestreiten, medizinisch zu untersuchen. Er soll entscheiden, ob eine rituelle jüdische oder eine hygienische Beschneidung vorliegt. Dabei gelingt es ihm, das Leben vieler Männer zu retten. In März 44 wird er denunziert und abgeführt. Man unterwirft Stella wochenlangen Verhören und foltert sie. Sie wird im Mai 1944 über Drancy nach Auschwitz deportiert. (Im gleichen Transport befindet sich der jiddische Dichter Jitzchak Katzenelson). Nach der Hölle in Auschwitz-Birkenau wird sie im Januar 1945 in das KZ Bergen-Belsen gebracht. Befreiung am 15.4. 1945 durch britische Truppen. Anschließend arbeitet Stella Breit-Borger acht Monate lang als leitende Krankenschwester im Camp Bergen-Belsen. Rückkehr nach Nizza am 1.1. 1946, wo sie über den Tod ihres zweiten Mannes Gewißheit erlangt. Im Mai 1946 Auswanderung nach Palästina. Ab Herbst 1946 Tätigkeit als Physiotherapeutin in Tiberias. 1947 Eheschließung mit Prof. Menahem Naor. 1948 Einsatz im Militärhospital, danach Privatpraxis in Tel-Aviv. 1967-1979 Aufenthalt in den USA, wo sie aus ihren Tagebuchaufzeichnungen von 1945/46 u. a. die Tagebucherzählung „Leben nach Auschwitz“ gestaltet. 1980 kehrt sie zusammen mit ihrem Mann nach Israel zurück und lebt bis zu ihrem Tod 1994 in Haifa. Ein Auszug aus ihren KZ-Erinnerungen erschien unter dem Titel: Simha Naor: Krankengymnastin in Auschwitz. Aufzeichnungen des Häftlings Nr.80574. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1986. Die unveröffentlichte Tagebucherzählung „Leben nach Auschwitz“, der die folgenden Auszüge entnommen sind, datiert zwischen dem 16. Dezember 1945 und dem 6. Februar 1946 und umfaßt 220 Manuskriptseiten. Kurt Kreiler Paris, Montag, 17. Dezember 1945 Paris nimmt mich sehr in Anspruch. Sonntag früh bin ich allein in die Notre-Dame gegangen. Ich kann es einfach nicht fassen, daß alle Denkmäler dastehen, daß die Uhren überall gehen. Nur für uns war die Zeit still gestanden. Nachmittags mit Jeanette im „Cafe Flora“. Sie stellte mir ihren Freund Henri vor. „Henri ist Journalist und Schriftsteller.‘ Kaum hatten wir an einem der Tischchen Platz genommen, als Olly auf uns zugestürzt kam. „Stella, ich konnt’ dich nicht erreichen, fein, daß Ihr hergekommen seid. Jeanette, Henri, wie geht es euch?“ Sie kannten also einander. Bald saßen wir in dicht gedrängter Gesellschaft beisammen. Die Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt. Ich begnügte mich damit, zuzuhören, beteiligte mich kaum an der Unterhaltung. Nach einer Weile erschien ein hochgewachsener, zur Fülle neigender Mann, den Olly als ihren Schwager Fritz vorstellte. Er war ein wenig lärmend in seiner Ausdrucksweise, was auf mich aber den Eindruck von Gezwungenheit machte. Wir saßen buchstäblich eingekeilt da, konnten uns kaum bewegen. Einer der jungen Leute, man nannte ihn George, stand als erster auf. „Ich mache den Vorschlag, daß ihr alle auf meine Bude kommt. Dort werden wir gemütlicher plaudern können. Wir wollen doch auch unsere Neuerscheinung feiern.“ Er wies bei diesen Worten auf mich. Zu zweit wanderten wir den Montmartre entlang. Wie selbstverständlich hatte sich George zu mir gesellt. Wir führten die Gruppe an. Er war schlank, mittelgroß, wirkte durch seine schlacksigen Bewegungen irgendwie jungenhaft. Sein Wiener Akzent war unverkennbar; sogar im Französischen, das er korrekt beherrschte, hörte man seine Abstammung heraus. 35