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Karl Pfeifer Nein, nein, ich würde ersticken, ohne die österreichischen Dreckblätter. Sie ersparen sich Unsummen für Tabletten, wenn Sie sich schon in der Frühe gleich dem totalen Stumpfsinn ausliefern, ruft Professor Robert in Thomas Bernhards Heldenplatz. Immer wieder werden in unseren Medien alte Menschen gezeigt, die nach dem „Anschluß“ flüchten mußten und sich nun anläßlich einer Einladung begeistert über Wien — eine der angenehmsten und sichersten Städte Europas — äußern. Die ehemaligen Österreicher stellen mit Recht fest: Wien 2000 ist doch ganz anders als Wien 1938. Doch weil die Rückkehr zu den Stätten der Jugend nostalgisch und oft genug auch euphorisch stimmt, wird meistens lediglich eine Seite der österreichischen Wirklichkeit wahrgenommen. Die andere Seite, die viele Österreicher nach wie vor nicht wahrhaben wollen, bereitet aber einer wachsenden Zahl von Bürgern Sorge. „Gerade in der schwierigen Situation, in der sich unser Land gegenwärtig befindet“, wiederholt die Außenministerin den ambivalenten Stehsatz vieler Politiker über die „Bedeutung der jüdischen Kultur für die Entwicklung unseres Landes“, der ja keineswegs erklärt, weshalb der Antisemitismus aus der österreichischen Politik und insbesondere aus der Partei, zu der auch die Außenministerin gehört, auch nach 1945 nicht verschwunden ist. Ganz im Sinne unserer Außenministerin, „die ehrliche und berechtigte Kritik als Korrektiv und Auftrag zu mehr Sensibilität für wünschenswert erachtet‘, versuche ich hier zu schildern, mit welcher „Sensibilität“ wirklich agiert wird. Zu den Stehsätzen gewisser Medien und Politiker gehört nicht nur der „Beitrag der jüdischen Kultur“, sondern auch die Behauptung, daß bei uns - anders als in Deutschland - keine Asylantenheime brennen und keine jüdische Friedhöfe geschändet werden. Doch der „Jahreslagebericht 1999“ des Innenministeriums über „Rechtsextremismus in Österreich“ zeigt ein anderes Bild, u. a Brandanschläge auf zwei von Ausländern frequentierte Lokale und auf ein Flüchtlingsheim in Wien. Als Täter wurden vier der Skinheadszene zugehörige Jugendliche ausgeforscht. Tätlicher Angriff eines Pensionisten auf zwei junge Männer, die er für Juden hielt, in Linz. Die beiden Männer wurden als „Judenschweine“ beschimpft und einem der beiden versetzte der Täter einen Faustschlag ins Gesicht. Schändung des jüdischen Friedhofs in Graz durch Beschmieren von zwölf Grabsteinen mit Symbolen und Parolen nationalsozialistischen Inhalts. Und das ist natürlich nicht alles. Beim diesjährigen Wiener Herzl-Symposion deckte Helmut Zilk in seinem Eröffnungsstatement „die österreichische und seine eigene Befindlichkeit ab, und eröffnete dem erstaunten Publikum die zwei Seelen in seiner Brust: 46 Inspektor Ehrlich TG jene seiner dem Nationalsozialismus huldigenden Mutter und jene seines dagegen Widerstand leistenden Vaters. Er rechnete ‚Zehntausende‘ Nazis mit ‚Zehntausenden‘ Widerstandskämpfern auf, verwies auf die unter seiner Patronanz entstandenen jüdischen Einrichtungen (Museum, Schulen), wollte jeden einzelnen jüdischen Bürger ‚mit Gold aufwiegen‘, und zuletzt, wohl mit der Stimme seines Vaters, donnerte Zilk seine Ablehnung der gegenwärtigen Regierung von ÖVP und FPÖ vor die Versammelten.“? Altbürgermeister Zilk ist Ombudsmann der „Neuen Kronen Zeitung“ (NKZ), deren Redakteure, wie zur Zeit der Wahl Waldheims, auch heute heftige Attacken gegen „ausländische“ Einmischung führen. Wieder einmal ist „Patriotismus“ an der Tagesordnung und wird ein Argument bedient, „das die Idioten sämtlicher Vaterländer immer gegen den bereit hatten, der den Mut bewahrt hat, seinen Landsleuten die Wahrheit zu sagen.“ Andersdenkende und vor allem anders Sprechende und Schreibende werden als „Vernaderer“ und „Nestbeschmutzer“ hingestellt. Dort wo Oskar Helmers „Ich bin dafür die Sache in die Länge zu ziehen“ von Generationen verinnerlicht wurde, ist man empört darüber, daß jetzt nach so viel Jahren Ansprüche erhoben werden. Wolf Martin, Reimlieferant der NKZ gab am 10.4. 2000 den Startschuß: „Mit Flucht, Verlust, Zerstörung, Not,/ zivilem und Soldatentod/ hat unser Volk, das Schicksal schlug,/ anscheinend nicht gebüßt genug./ Auch Zahlungen, nicht unbeträchtlich,/ tut man als Klacks nun ab verächtlich./ Jetzt fängt, wie man erkennen kann,/ das Zahlen erst so richtig an!/ Und wieder werden die Gewalten/ sich an den Schwächsten schadlos halten./ Der kleine Nachfahr ist’s am Schluss,/ der alle Kosten tragen muss!“ Nur fünf Tage später titelt die NKZ: „Bundeskanzler Schüssel stellt klar: Milliarden-Klage Fagans ist absurd“. Schüssel, der bei seinem Amtsantritt eine großzügige Entschädigung der Zwangsarbeiter versprach, behauptet, die Sammelklage Fagans gegen die Republik Österreich, um Entschädigungen für NS-Zwangsarbeit und Arisierungen“ zu erreichen, sei „mutwillig und absurd“, denn: „Für uns sind Opfer und nicht Anwälte wichtig.“ Freilich will die Republik nicht alle Zwangsarbeiter entschädigen und das Thema der Arisierungen soll offensichtlich erst behandelt werden, wenn der letzte 38er gestorben ist, als ob diese Republik noch immer festhielte an der zweiten Hälfte des im „Völkischen Beobachter“ geäußerten Wiener Prinzips „Darr Jud muß weg und sein Gerschtl bleibt da!“ Hans Dichand, dem die Hälfte der NKZ gehört und der sich hinter dem pseudonym Cato verbirgt, ist empört: „... die Steuerzahler von heute, sollen für etwas blechen, das vor ihrer Geburt geschehen ist.‘“* Und Cato tritt für eine Volksabstimmung darüber ein. So wurde und wird in Österreich Politik gemacht. Wenn jetzt Cato die Regierung kritisiert, die „nicht bereit zu sein scheint, energisch“ gegen die Forderungen der Opfer des Nationalsozialismus aufzutreten, dann kann er sich eines Rückhalts bei seinen Lesern gewiß sein. Immerhin wird die NKZ von mehr als 42 Prozent aller erwachsenen ÖsterreicherInnen gelesen. Gerade in der NKZ wird seit Jahrzehnten der in Österreich so verwurzelte Judenhaß noch angereichert durch das Motiv, Juden, getrieben von Geldgier, würden die Österreicher in Gestalt von Entschädigungen gewaltigen Ausmaßes ökonomisch aussaugen und zudem moralisch zu einer permanenten Büßerhaltung zwingen. Bereits 1992 bestätigte ein Wiener Staatsanwalt dem NKZ-Kolumnisten Staberl, den Holocaust verharmlost zu haben. Allerdings habe er das nicht „gröblich“ getan, weswegen auch kein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde.’ Laut einer in Österreich weit verbreiteten Auffassung ist aber nur eine vom Strafgesetz verfolgte Handlung maßgebend, um politische Parteien, ihre Funktionäre, Medien und ihre Mitarbeiter zu beurteilen. Hier ist man erstaunt, weil man in anderen Staaten der EU nicht diese Haltung akzeptiert, der Antisemitismus beginne erst dort, wo Juden physisch angegriffen werden. Wurden Juden im Nachkriegsösterreich (oder gar jetzt) systematisch ermordet und verbrannt? Natürlich nicht. Daraus und weil hier doch Juden leben, folgt - laut NKZ - es gäbe keinen Antisemitismus in Österreich.