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ber 1999 im Auditorium auf allgemeine Zustimmung gestoßen war, und die Initiatoren der Konferenz, Dan Diner, Vorstand des Instituts für deutsche Geschichte, sowie Gotthart Wunberg, Direktor des IFK, einleitende Worte gesprochen hatten, folgten Referate von Emanuel Turczynski (München) und Stéphane Mosés (Jerusalem). Professor Turczynski, selbst in Czernowitz geboren und aufgewachsen, Verfasser von Standardwerken zur Geschichte der Bukowina?, warf unter dem Titel: „Longue duree: Kultur und Lebensform“ historische Schlaglichter auf die Entwicklung der Bukowina, die freilich eine ein leicht idealisiertes Gesamtbild erkennen ließen. Dabei kritisierte er die allgemein verbreitete Bezeichnung der deutschen Volksgruppe in der Bukowina, der er selbst entstammt, als „Volksdeutsche“ als historisch falsch. - Nach einem Referat von Stéphane Mosés zur ,,Dichtung der Erinnerung“ bei Paul Celan wurde der Dokumentarfilm - „Mit Czernowitz im Herzen“ von Zoltan Terner gezeigt. Der Film kontrastiert die Erinnerungen von „alten Czernowitzern“ in Israel mit Bildern aus dem heutigen ukrainischen Chernivtsi. Dabei wurde deutlich, daß sich der israelische Zugang zum Thema „Czernowitz“ auch im filmischen Metier nicht wesentlich von dem deutscher oder österreichischer Dokumentarfilmer unterscheidet. Die zweite Session stand unter dem Titel: „Heterogenität und Ethnizität“. Heidemarie Uhl (Graz) srach zum Thema „Identitätspolitik: Ethnische Pluralität und nationale Homogenisierung in der Habsburgermonarchie“. Wolf Moskovich, aus Zadowa gebiirtig und Absolvent der Universität Chernovtsi, heute Direktor des ‚Centre of Slavic Languages and Literature‘ an der Hebräischen Universität Jerusalem, thematisierte unter dem Titel „Specificities: Interethnic Relations in Czernowitz“ unter anderem die oft recht tendenziöse Färbung der verschiedenen nationalen Literaturen zur Bukowina. So seien die rumänischen Publikationen oft von undifferenzierter Dauerkritik an der österreichischen Politik getragen, ignorierten die Bedeutung der anderen Volksgruppen - und widmeten sich vordringlich der Frage, welches Volk das „ältere Recht auf das Land“ habe. Der älteren deutschen Literatur zum Thema warf Moskovich vor, die Juden und deren Beitrag zur Entwicklung der Bukowina zu ignorieren. Eine Beurteilung, die angesichts des im Dunstkreis des Augsburger ‚Bukowina-Instituts‘ und der ‚Buchenlanddeutschen Landsmannschaft‘ seit 1945 entstandenen, zum Teil höchst problematischen Schrifttums als gerechtfertigt erscheint. Noch 1925 schrieb Felix Salten nach einem Besuch in Czernowitz: „Sonderbarer- und bezeichnenderweise ist es vornehmlich die jüdische Bevölkerung von Czernowitz, die den Zusammenhang mit der deutschen Kultur aufrechterhält.‘? Den eindrucksvollsten Niederschlag findet dieser Umstand in den Statistiken aus dem Unterrichtswesen. Wie Hannelore Burger (Wien) in ihrem Referat „Polyphonie: Mehrsprachigkeit und Unterrichtswesen in der Bukowina“ ausführte, waren zum Beispiel im Schuljahr 1905/06 von 870 Schülern des Deutschen Staatsgymnasiums Czernowitz 664 jüdisch. Obwohl die Schüler in der Bukowina, anders als in Mähren nach dem Nationalitätenausgleich von 1905, nicht dazu angehalten wurden, ausschließlich Schulen ihrer Nationalität zu besuchen, entsprach die Aufteilung der Schulen nach Unterrichtssprachen ziemlich genau den ethnischen Verhältnissen. So waren 1912/13 von 564 Volksschulen 219 ruthenisch, 190 rumänisch, 97 deutsch, 15 polnisch, 4 ungarisch und 39 gemischtsprachig.* Mariana Hausleitner (Berlin), die sich kürzlich über die Rumänisierungspolitik in der Bukowina nach 1918 habilitierte und mehrere hervorragende Arbeiten zur Geschichte der Bukowina vorgelegt hat°, befasste sich in ihrem penibel recherchierten und detailreichen Referat mit den politischen Parteien in diesem Kronland vor 1918. Die Parteienlandschaft spiegelte die ideologischen, sozialen und ethnischen Interessenskoflikte in all ihrer Vielfalt und scheinbaren Unvereinbarkeit wider. Umso beachtlicher ist der Umstand, daß es 1909 zu einer, auf dem Personaltätsprinzip basierenden Reform des Wahlrechts zum Bukowiner Landtag kam. Es ist bedauerlich, daß diesem exemplarischen „Bukowiner Ausgleich“ kein eigenes Referat gewidmet wurde.® Die dritte Session, übertitelt mit „Sprache und Identität‘, wurde von Margarete Grandner (Wien) mit einem Referat über „Die Universität Czernowitz: Deutsche Gelehrsamkeit in einer multiethnischen Region“ eingeleitet. Die Czernowitzer Franz Josephs-Universität, 1875 mit deutscher Unterrichtssprache gegründet, hatte im Studienjahr 1913/14 1.194 Hörer, wovon sich 36,4% zum ‚mosaischen Glauben‘ bekannten.’ Gerald Stourzh (Wien), der in seiner reichen akademischen Karriere immer wieder durch exzellente Arbeiten zum historischen „Nebenschauplatz“ Bukowina seine ganz persönliche Verbundenheit mit dieser Kulturlandschaft bekundet hat, hielt einen heftig akklamierten Vortrag zum Thema: „Recognizing Yiddish: Max Diamant and his Struggle for Jewish Rights in Imperial Austria“.® Mehrmals hatten in Czernowitz Bestrebungen ihren Ursprung, die auf eine Anerkennung der Juden als Nationalität und des Jiddischen als landesübliche Sprache abzielten. Bekanntlich blieben alle Bemühungen in diese Richtung letzlich erfolglos, und doch kam es im Rahmen des ‚Bukowiner Ausgleichs‘ 1909 zu einer de facto-Anerkennung, indem die Wahlkörper und Wahlkreise bewußt so konzipiert wurden, daß schon vor der Wahl die Anzahl der jüdischen Abgeordneten innerhalb der deutschen Kurie feststand. Weiters referierten Walter Schmitz (Dresden) über „Ungleichzeitigkeiten: zur Mediengeschichte deutsch-jüdischer Kulturen“, und Andrei Corbea-Hoisie (Iasi/Paris) über: „Jerusalem am Pruth: Betrachtungen zum Czernowitzer ‚Meridian‘“. Corbea-Hoisie, einer der profundesten Kenner der Bukowiner deutschsprachigen Literatur, vertrat in seinem Referat die These, wonach der Druck der nach 1918 einsetzenden, massiven Rumänisierung die politisch und gesellschaftlich zusehends marginalisierte Czernowitzer jüdische Elite quasi in der Kultur Zuflucht nehmen ließ. So wurde etwa die avantgardistische Literaturzeitschrift „Der Nerv“ 1919 gegründet, und die deutschsprachige Literatur erlebte ihre Blüte erst in der rumänischen Periode. Die vierte Session, unter dem Titel „Politik und Homogenität“, eröffnete Raphael Vago (Tel Aviv) mit seinem Vortrag: „From ‚homo bucovinensis‘ to ‚civis Romaniae‘: Inventing Romanian Nationalism‘. Diesen Titel lieferte der ebenso prominente wie umstrittenen rumänische Historiker und Politiker Ion Nistor, der nach 1918 meinte: „Der Bukowinismus muß verschwinden. Im heutigen Rumänien ist kein Raum mehr für ‚homo bucovinensis‘, sondern nur noch für ‚civis Romaniae.“ Vago wies darauf hin, daß sich der rumänische Zugang zum Thema ‚Bukowina‘ fundamental von dem anderer Nationalitäten unterscheidet. In der rumänischen Historiographie sei Czernowitz nie ein ‚cosy place‘ und multiethnisches Modell gewesen, sondern eine ‚city in waiting‘, die nur ihrer Wiedervereinigung mit Rumänien harrt. Die konsensorientierten und gemäßigten Kräfte auf rumänischer Seite hatten schon vor 1918 einen schweren Stand und mußten schließlich der minderheitenfeindlichen und antisemitischen Politik Großrumäniens weichen, die sofort nach 1918 einsetzte, Diese Politik bis in ihre letzte Konsequenz, nämlich der Deportation und Ermordung der jüdischen Bukowiner, beschrieb Florence Heymann (Jerusalem) in ihrem Referat: „Crepuscules: nationalisme et antisemitisme 1922-1945“? Auf großes Interesse im Auditorium stieß der Vortrag von ‚Mr Czernowitz‘ Zvi Yavetz (Tel Aviv): „Reflections: Hitler‘s - Seizure of Power in the German-Jewish Press“.!® In packender, weitgehend freier Rede legte Yavetz dar, wie das ‚Phänomen Hitler‘ in der Czernowitzer deutsch-jüdischen Presse lange Zeit kaum wahrgenommen wurde. Dabei würzte er seine Ausführungen mit Anekdoten aus dem Czernowitz seiner Jugendzeit, die auch Gegenstand eines Buches sein wird, das noch heuer erscheinen soll und mit Spannung erwartet werden darf. Yavetz verlas auch das Referat des am Kommen verhinderten David Shaary (Jerusalem) über: „Jewish Politics: The Jewish National Council 1918/19*.!! Nach dem Zusammenbruch 1918 bildete sich auch in der Bukowina ein Jüdischer Nationalrat, der alle jüdischen Parteien in sich vereinte und die Interessen der jüdischen Bevölkerung gegenüber den neuen Machthabern vertrat. Während der deutsche und der polnische Volksrat für den 51