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der deutschsprachigen Dichtung in der Bukowina vor 1945.‘ Während die Assimilierung und Verbürgerlichung der Juden der Bukowina in der österreichischen Zeit vorwiegend zu einer Belebung der deutschen ‚administrativen Kultur‘ geführt habe, sei das ‚Wunder‘ der deutschen Kulturblüte in Czernowitz, in der von aggressiver Rumänisierungspolitik geprägten Zwischenkriegszeit höchstens mit der Prager Sprachinsel vergleichbar. Die deutschsprachige Literatur, die in der isolierten Enklave Czernowitz, eingebettet in eine weitgehend archaische, naturbelassene Umgebung und eine anderssprachige Region gedieh, sei freilich überwiegend von Juden geschaffen worden, während sich die lokale volksdeutsche Literatur im Versuch, Anschluß an die rumäniendeutsche Literatur zu finden, selbst marginalisierte. Daß Celans Gedichte immer wieder als Inspiration für weitergehende künstlerische Interpretationen und Schöpfungen dienen, wurde an diesem ersten Tag des Symposions anhand zweier recht unterschiedlicher Resultate deutlich. Während die Verfilmung der „Todesfuge“ durch Adolf Opel in ihrer Aneinanderreihung von Klischees als völlig mißglückter Versuch einer Ästhetisierung gelten muß, demonstrierte der designierte Leiter der Salzburger Festspiele Peter Ruzicka, daß eine künstlerische Deutung der Gedichte Celans durchaus möglich ist. Unter dem Titel „Annäherung und Entfernung zu Paul Celan. — Erfahrungen und Reflexionen anhand der Komposition der Oper ‚Celan‘“ präsentierte Ruzicka seine von Celan inspirierten Kompositionen, wobei er einen frühen Versuch, die „Todesfuge“ zu vertonen, selbst als „unzulänglich“ bezeichnete. Ruzicka, der über sein kurzes Treffen mit Celan im Frühling 1970 nicht sprechen wollte, findet Musikalisches und Melodisches sowohl in der Dichtung, als auch in der Sprache und Sprechweise Celans. In vielen Vertonungen gehe es um die Darstellung des ‚Verstummens‘. Seine, am 25. März 2001 in der Sächsischen Oper Dresden zur Uraufführung gelangende ‚Celan-Oper‘ stelle keine Gedichtvertonung dar, sondern „,... sieben Versuche einer Beschreibung biographischer Möglichkeiten“, basierend auf einem Text von Peter Musbach. Lydia Koelle (Bonn), als Theologin und Germanistin Autorin eines umfassenden Werkes über Celans Judentum‘, machte sich in ihrem Referat „‚Hoffnungsfunken erjagen‘ — Paul Celan begegnet Margarete Susman“ auf die Suche nach der Gottes- und Glaubensfrage in Werk und Leben Celans. Brennend wurden diese Fragen in seiner Beziehung zur Dichterin und Literaturhistorikerin Margarete Susman, die in ihren Schriften (z. B. in ihrer Hiobsdeutung) versuchte, die Lebens- und Glaubensmöglichkeiten nach der Shoah auszuloten. Daß dieses reiche und spannende Thema dazu verleiten kann, sich in exegetische Details zu verlieren, deren ohnehin fragwürdiger Erklärungswert sich im Rahmen eines mündlichen Vortrages gegen null verflüchtigt, hat Lydia Koelle eindrucksvoll bewiesen, indem sie ihr Publikum erst nach eineinhalb Stunden entließ... Den ersten Tag des Symposions beschloß Milo Dor, der über seine Begegnungen mit Celan in Wien 1947/48 und in Paris berichtete. Er bestätigte dabei die These Michael Katers, wonach die nachwirkende Nazizeit in Wien ein vergiftetes geistiges Klima geschaffen und jungen Dichtern beruflich wie intellektuell nichts zu bieten gehabt habe. Aber auch die avantgardistische „Gruppe 47“, an deren Treffen Celan 1952 teilnahm, habe, so Dor, für Celan eine fremde, ja feindselige Umgebung dargestellt, in der er sich unverstanden fühlte. Symptomatisch dafür sei der Kommentar eines Dichterkollegen zu Celans Vortrag seiner ‚Todesfuge‘ gewesen: „Der spricht ja wie Goebbels!“ Den zweiten Tag des Symposions eröffnete Peter Rychlo, Dozent für Literatur an der Universität Chernivtsy, mit seinem Referat „Der slawische Meridian Paul Celans“.® Peter Rychlo, der sich als Lehrer und unermüdlicher Übersetzer große Verdienste um die Verbreitung der österreichischen Literatur erworben und wesentlich dazu beigetragen hat, Paul Celan in seiner Heimat zugänglich und bekannt zu machen, griff von den vielen Meridianen, die Celans Leben durchzogen, jenen heraus, der ihn mit der slawischen Kultur verband. Während Celan in seiner Jugend Umgang mit ukrainischen Freunden und Mitschülern hatte, lernte er nach der Besetzung der Nordbukowina durch die Sowjets rasch Russisch, aus dem er schon bald übersetzte. Ende der fünfziger Jahre beginnt sich Celan wieder verstärkt der russischen Literatur zuzuwenden, angeregt durch die Dichtung Osip Mandelstams und den Briefverkehr mit dem in Moskau wiedergefundenen Jugendfreund Erich Einhorn. Mit Mandelstam verbindet Celan ein starkes Verwandischaftsgefühl: „Mandelstam übertragen ist mir ebenso wichtig wie meine eigenen Gedichte schreiben.“ So finden sich in dem 1963 veröffentlichten Gedichtband „Niemandsrose“ zahlreiche Rußlandbezüge. Laut Rychlo ist etwa ein Zehntel der im Literaturarchiv Marbach verwahrten Nachlaßbibliothek Celans russische oder ukrainische Literatur. Wolfgang Emmerich, Germanist in Bremen und Verfasser einer vorzüglichen Monographie über Celan, die eine ideale Ergänzung zur Jugendbiographie Celans von Israel Chalfen darstellt, sprach zum leidigen Thema ‚„„Ich bin der, den es nicht gibt‘ — Der Plagiatsvorwurf gegen Celan und die Folgen‘”. Glücklicherweise ging Emmerich bewußt nicht auf den Inhalt der von Claire Goll ‚im Namen‘ ihres verstorbenen Mannes, des Dichters Ivan Goll, gegen Celan vorgebrachten Plagiatsvorwürfe ein, sondern zeigte vielmehr auf, welch verheerende Folgen diese,schon damals als ungerechtfertigt erkennbaren Vorwürfe und deren willige Aufnahme und Fortsetzung vor allem in Deutschland, für Celan hatten. Für ihn waren die Plagiatsvorwürfe ein „... Versuch, mich auszulöschen“. Er reagierte defensiv, mit Rückzug, Entzug von Freundschaften und gesteigerter Sensibilität. Der Schluß scheint zulässig, daß diese Plagiatsvorwürfe, aber auch andere, subtilere Kritik an seinem Werk - so der Vorwurf der ‚Realitätsfremdheit‘ an Celans Gedichte - für seine Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken und schließlich für seinen Selbstmord mitverantwortlich waren. Im Anschluß hielt der junge Wiener Philologe Martin Hainz, dessen Diplomarbeit zum Thema „Zur Lyrik Paul Celans in den Interpretationen von Theodor W. Adorno, Peter Szondi und Jacques Derrida“ demnächst unter dem Titel „Masken der Mehrdeutigkeit“ in Druck erscheinen soll, ein bemerkenswertes, wenn auch recht fachspezifisches Referat über die „ Schrift der Hinfälligkeit. Lektüren von Trauer in Gedichten Paul Celans und Rose Ausländers“. Der in London lehrende Germanist und Celan-Experte Leonard Olschner zeigte unter dem Titel „Die Gegenwart Europas im Leben und Werk von Paul Celan“ unter anderem Celans Einstellung zur Problematik des Übersetzens, sowie Celans Übersetzungsarbeit, wie sich sich etwa anhand seiner Manuskripte nachvollziehen läßt.® Für einige Diskussion sorgte der Wiener Professor für Judaistik Jacob Allerhand, indem er in seinem Referat: „‚Bibel und Hawdalah‘ — Der Beitrag der Judaistik zum Verständnis Paul Celans“ behauptete: „Ich kann mir kaum vorstellen, daß Celan zu Hause deutsch gesprochen hat.“, und polemisch hinzufügte: „Was konnte das schon für ein Deutsch gewesen sein, das Celan von seinen Eltern gelernt haben soll? Die Mutter stammte aus Sadagöra ..“ Allerhand, der dies hier zum wiederholten Male vertrat, muß doch bekannt sein, daß es in der Bukowina, anders als in Galizien, in jüdischen Familien weitverbreitete Praxis war, mit den Kindern deutsch zu sprechen und sie ‚im Geiste der deutschen Kultur‘ zu erziehen, während die Eltern untereinander vielleicht noch jiddisch sprachen. Offensichtlich irritiert von der ohnehin höflich-zurückhaltenden Widerrede seiner anwesenden Kollegen, die auch auf die Erinnerungen von Celans Jugendfreunden hinwiesen, ließ sich Allerhand schließlich zum Zugeständnis bewegen: „... Ich bestehe nicht darauf.‘ Einen krönenden Abschluß erfuhr das Symposion im Auftritt von Ilana Shmueli, einer in Czernowitz geborenen Jugendfreundin von Celan und Begleiterin während seiner einzigen Israelreise im Oktober 1969. Shmueli las aus ihren Aufzeichnungen über diesen Aufenthalt, die in ihrer sprachlichen Schönheit und in ihrem Gehalt ein literarisches und literaturhistorisches Kleinod darstellen.'” „Er las, vom Damals umringt, und es war größte Einsamkeit um ihn.“, erinnerte sie sich an eine Lesung Celans vor Bukowinern in Tel Aviv. Kritik an Israel habe ihn beängstigt, auch habe er an Einwanderung gedacht, meinte aber: „... in meinem Zustand würde ich den Leuten nur zur Last fallen.“ Wohl sei ihm auch klar gewesen, daß er in Israel nicht 53