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sche Arbeiterbewegung. Hamburg: Dölling und Gallitz Verlag 1998. 136 S. Zahlr. Abb. (Katalog der gleichnamigen Ausstellung). ÖS 480,-/DM 70,Das SchutzbundKinderheim in Moskau In den Zeiten in denen sogenannte „Schwarzbücher“ belegen sollen, daß der Nationalsozialismus ein „Kinderspiel“ und „Spaziergang“ gegenüber der Schreckensherrschaft und dem Terror des Stalinismus vulgo Kommunismus (oder gleich auch Sozialismus) war, ist es sicherlich schwierig, wissenschaftlich fundierte Kritik an eben jenem Zeitalter des Stalinismus zu präsentieren, ohne sofort von Totalitarismusthesen der üblen Sorte vereinnahmt zu werden. Schafranek gelingt dies mit seinem Buch über die österreichischen Schutzbundkinder, die nach dem Februar 1934 Zuflucht in der Sowjetunion gefunden hatten, zumeist recht gut, wenngleich die Kritik an Miß- und Zuständen manchmal in etwas belehrendem Ton gehalten ist. Die Geschichte, die hier in einem durchaus lesbaren, ja bisweilen spannenden und auch für historische Laien interessanten Stil erzählt wird, ist jene von mehr als 100 Kindern österreichischer SchutzbündlerInnen, die im Sommer 1934 in die Sowjetunion kamen und dort in einem speziell dafür eingerichteten Kinderheim untergebracht wurden. Das Ziel war es, aus ihnen gute sowjetische „Vorzeigekinder“ zu machen. Das dies nicht immer so gelang wie gewünscht, lag nicht zuletzt an der Diskrepanz eines für sowjetische Verhältnisse privilegierten Daseins, wie es die Gastgeber vorsahen und den Einblicken der Gäste in den sowjetischen Alltag, die ihnen ein gewisses Bild der Rückständigkeit des Landes vermittelten. Schafranek hat in unzähligen Gesprächen mit ehemaligen Heimzöglingen versucht, deren persönliches Schicksal zu rekonstruieren und so ein Abbild eines kleinen Segmentes des sowjetischen Alltags und der Emigrantenszene der 30er Jahre in der Sowjetunion zu liefern. Dabei bediente er sich auch des reichen Fundus der neu oder verstärkt zugänglichen russischen Archive. Gerade diese Passagen sind es, die das vorliegende Buch für einen weiteren Kreis von Neugierigen interessant machen. Die Präzision und Detailversessenheit mit der der Autor hierbei vorgeht, ist beachtenswert und verdient größtes Lob und Anerkennung. Selbst diesen Kindern und Jugendlichen blieb das allgemeine Schicksal der deutschsprachigen EmigrantInnen in den Zeiten des Stalinismus und der Schauprozesse nicht erspart. Auch in ihrer Gruppe wurde vom sowjetischen Geheimdienst „eine Verschwörung aufgedeckt“ mit dem Ziel „einen Umsturz in der Sowjetunion vorzubereiten“; dies alles unter der Fahne des Nationalsozialismus — so die Anklage. Da tat es nichts zur Sache, daß selbst Kinder und Jugendliche jüdischer Herkunft dieser quasi „Ilegalen Hitler-Jugend“ angehört haben sollen. Die Situation der Schutzbundkinder verschlechterte sich (neben dem bereits beschriebenen Terror der Vorjahre) schlagartig mit der Unterzeichnung des Hitler-StalinPaktes. Das Kinderheim wurde geschlossen, die Insassen auf reguläre sowjetische Kinderheime aufgeteilt. Die nun einsetzende verstärkte Konfrontation mit dem sowjetischen Alltag dürfte wechselseitig bestehende Vorurteile verstärkt haben und menschliche „Unzulänglichkeiten“ im Umgang miteinander (wie Neid, Verachtung u. a.) stärker hervortreten lassen. Kritisch anzumerken bleibt, daß der Autor es peinlichst vermeidet, über den Rand dieses Teilaspektes stalinistischen Terrors hinauszublicken und diesen in einem Gesamtbild jener Jahre in der Sowjetunion zu positionieren. Vielleicht wollte er aber auch nur seine eigenen anderen wichtigen Arbeiten zum Thema Emigration in der Sowjetunion (z. T. gemeinsam mit anderen Autoren) nicht einer internen Konkurrenz aussetzen. Auch wäre es interessant gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie weit das Leben in der Sowjetunion diese Kinder geprägt hat, gerade im Hinblick auf ihre spätere Existenz in Österreich. Schafranek hat sich mit diesem Band wieder als jener Experte zum Themenkomplex Stalinismus / Emigration / Schauprozesse / Opposition in der sowjetischen Hemisphäre der 30er, 40er und 50er Jahre in der ihm eigenen Art präsentiert, die ihn seit Jahren auszeichnet. Rudolf Holzer Hans Schafranek (unter Mitarbeit von NatalJa Mussijenko): Kinderheim No. 6. Wien: Döcker Verlag 1998. 251 S., zahlreiche Abbildungen. OS 298,-/DM 40,80/SFR 38,50 Verstreutes Wir erhielten eine Zuschrift, die unter der Parole literatur ist widerstand ,,lesungen, textperformances, musik und literaturvideoclips“ ankündigt. Man wolle „nicht um die Burg“ den Mund halten und still sein. Ähnlich traurig und inhaltsleer ist die Einladung zu einem „lag der Freiheit des Wortes“ gestaltet, bei dem 28 in Österreich lebende SchriftstellerInnen und Schriftsteller im „Gedenken an den Tag der Bücherverbrennung im Nationalsozialismus“ am 10. Mai 2000 „gegen Rassismus_Demagogie_Hetze gegen Minderheiten“ lesen. Autorinnen und Autoren, die heute noch im Exil leben oder einer in Österreich lebenden „Minderheit“ angehören, sind einmal mehr zu diesem Anlaß nicht geladen. Die Organisatorin Petra Ganglbauer setzt in der Auswahl der Beteiligten die Diskriminierung fort, gegen die sich die Veranstaltung vorgeblich wendet. Literatur als solche ist offenbar etwas anderes als Widerstand. Lebenslinien einer Roma-Familie Wo immer das Erinnern an Greuel und Volkermord in der Geschichte dieses Jahrhunderts langsam zu verblassen beginnt, wird erhöhte Aufmerksamkeit und Sensibilisierung gegenüber neuen Entwicklungen zum Gebot, und die Bewahrung von Menschenrechten darf dem Bemühen um Bewältigung ökonomischer Probleme nicht leichtfertig geopfert werden. Debatten um ein Europa, das sich neuerdings gerne als kulturell homogen erleben möchte, was es in Wirklichkeit niemals war, erhitzen die Gemüter, besonders wenn es sich um unerwünschte Minderheiten wie „die Zigeuner” handelt. Alte Ängste und Abwehr, womöglich noch künstlich aufbereitet, drohen dringend gewordene Lösungen menschlicher Probleme fatal zu vereiteln. Umso wichtiger erscheint es mir, sich isolierten, armutsbedrohten ethnischen Gruppen vermehrt zuzuwenden, Roma, Sinti und einigen anderen Stämmen, die ja bereits zwischen dem 6. und dem 13. Jahrhundert von Indien her in Europa eingewandert sind. Nur wenig später kamen sie aus dem Osten als andere Völker, die sich zu jener Zeit bei uns ansiedelten oder da bereits seßhaft und heimisch waren, doch ihre Integration ist nie ganz gelungen, und diesbezügliche Fragen sind immer offen geblieben. Literarische Zeugnisse im Sinne authentischer Berichte über ihr Leben sind kaum bekannt geworden, so ist die Fremdheit geblieben. Mi8o Nikolié, einem vor Jahrzehnten aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Wien eingewanderten Rom (Roma, Muttersprache Romanes), gelang es, in der Schreibwerkstatt des Wiener Amerlinghauses unter der verdienstvollen Leitung von Christa Stippinger die bewegte Geschichte seiner Familie darzustellen, die mit vielen anderen ihres Stammes seit Jahrhunderten eine „fahrende” Familie war. Anders als in seinen Liedern hat der musizierende Familienvater sich dabei der deutschen Sprache bedient, wobei es sich freilich nicht um ausgefeiltes Hochdeutsch handeln konnte. Wegen einiger serbokroatischer Textteile wurde „,... und dann zogen wir weiter” behutsam und in Übereinstimmung mit dem Autor bearbeitet, wobei jedoch dessen urwüchsig-einfacher Erzählstil erhalten blieb. Dies erscheint mir wichtig, denn nur so vermag der Text derart unmittelbar zu berühren und bis zum Ende jene Spannung zu halten, die eine Unterbrechung dieser außergewöhnlichen Lektüre fast unmöglich macht. Den Rassenwahn der Nazi-Zeit, die Verfolgung und den Massenmord an Hunderttausenden seines Volkes erwähnt der Erzähler mehr oder weniger emotionslos, das Klagen ist sichtlich nicht seine Art. Hingegen zieht er es vor, mehrmals den engagierten Roma-Sprachforscher Mozes Heinschik zu nennen, der die Dialekte der einzelnen Volksgruppen erlernte, ihre Geschichten und Lieder sammelte und die unterschiedlichen Kulturen verschiedener 59