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ren Fähigkeiten als Oppositionspartei an. 1970/71, während der sozialistischen Minderheitsregierung, bestand eine ‚virtuelle Koalition‘ mit der SPÖ, da die FPÖ der Regierung im Parlament Unterstützung zusagte. Nach dieser kurzen Periode war sie mit der ÖVP in der Oppositionsrolle verbunden, da Kanzler Bruno Kreisky bis 1983 ohne Notwendigkeit, eine Koalition einzugehen, regieren konnte. Kreiskys Nachfolger, Fred Sinowatz, bildete die erste formelle Koalition mit der FPÖ, die 1986 endete; die Ministerien für Verteidigung (Frischenschlager), für Handel und Industrie (Steger) und für Justiz (Ofner) lagen in den Händen der FPÖ, sowie drei Staatssekretariate, je eines im Finanz-, Landwirtschafts- und Gesundheitsministerium (Holger Bauer, Gerulf Murer, Mario Ferrari-Brunnenfeld). Nach dieser Periode zog es die SPÖ vor, sich mit der ÖVP für die künftigen Koalitionsregierungen bis 1999 zusammenzuschließen und praktizierte eine Politik der AusschlieBung gegenüber der FPÖ. Von diesem Zeitpunkt an begann die Unterstützung für die FPÖ - nun unter der Führung von Jörg Haider — zu wachsen. Hatte die Partei niemals mehr als 7 bis 9 Prozent der Stimmen, so stieg ihr Anteil an Parlamentsitzen beständig von 18 Sitzen (1986) [...] auf 52 Sitze (1999). Nach einer [welcher?] Meinungsumfrage kurz nach der Wahl verdankt die Partei ihren Erfolg - dem Wunsch nach Veränderung nach einer so langen Periode der quasi-erblichen Koalitionsregierung zwischen ÖVP und SPÖ. Der Wunsch nach Veränderung ist allzu legitim in einer Demokratie und reflektiert die tiefe Ablehnung des sogenannten „Systems 45“, mit seiner Proporz-Praxis der Aufteilung aller wichtigen Posten im Land unter den Repräsentanten der beiden Regierungsparteien. [...] - Die Attraktivität der FPÖ für Arbeiter, die sie zur ‚neuen Arbeiterpartei‘ von Österreich gemacht hat. [...] Seit dem 2. Weltkrieg ist Osterreich ein Land, in welchem es nicht mehr Xenophobie und Diskriminierung gegen Ausländer gibt als in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Heute leben rund 800.000 Ausländer legal in Österreich, rund 8,1 Prozent. [...] Dieser hohe Ausländeranteil hat den Führer der Freiheitlichen Partei, der für seine kontroversiellen Aussagen und sein loses Mundwerk (in der Vergangenheit hat er sich für ein paar solcher Äusserungen entschuldigt) bekannt ist, aufgestachelt, die Sorgen von jenen anzusprechen, die befürchten, daß durch die EU-Erweiterung Österreich von Arbeitsuchenden aus dem Osten überflutet werde. Er hat einen Wahlkampf geführt, durch den er als xenophobisch und rassistisch gebrandmarkt ist und mit ihm all jene, die ihm am 3. Oktober letzten Jahres gewählt haben. [...] Alles, was wir nun fordern, ist, daß diese Regierung [...] nach ihren Handlungen beurteilt wird und nicht nach den Worten ei66 nes ehemaligen Parteiführers, der die Parteiführung zurückgelegt hat und niemals Mitglied der neuen Regierung war.“ Aus Wolfgang Suschitzkys Brief an Dr. Öppinger-Wachshofer Ich bin ein Emigrant aus Wien, 1935 kam ich hierher. Ich bin kein Politiker und war auch niemals politisch aktiv. Ich bin Mitglied der Anglo-Austrian-Society und habe Interesse an dem, was in Österreich geschieht. Auch fahre ich des öfteren nach Österreich auf Urlaub, weil ich die Berge liebe und auch das Essen. Leider habe ich schon seit vielen Jahren den Eindruck, daß das Land noch immer voller Nazis ist. In Ihrem Vortrag erklärten Sie Ihre Entrüstung über „The Declaration of Portugal“. Ich kann diese Entrüstung nicht teilen. Wenn so etwas nur öfter geschehen würde! Zur Zeit der Waldheim Affäre war es nur ein milder Protest. Sogar meine sozialdemokratischen Freunde in Wien sagten mir, daß Waldheim demokratisch gewählt wurde und daß sich das Ausland nicht einmischen solle — obwohl sie den Mann auch nicht leiden konnten. Nun, auch Herr Hitler wurde demokratisch gewählt. Wenn sich nur das Ausland sofort eingemischt hätte, statt ihn zu unterstützen! Man hat ihm Rohmaterialien wie Öl und Gummi bis zum letzten Tag vor dem Krieg geliefert. Sie haben recht, Österreich hat sich gegenüber einer Flut von Flüchtlingen anständig benommen. Das habe ich sehr bewundert, wie ein so kleines Land so viele Menschen aufnehmen konnte. Aber heute besteht eine neue Situation. Extreme Rechte haben einen Fuß in der Tür. Ich schenke den Versprechen der neuen Regierung keinen Glauben. Vielmehr denke ich, daß Haider von der Leitung seiner Partei zurückgetreten ist, weil es so leichter sein wird, Kanzler zu werden. Ich prophezeie, daß er das in zwei, drei Jahren sein wird. Dann werden viele Flüchtlinge wieder hinausgeschmissen. Dann kommen die Slowenen dran, in Haiders Kärnten. Danach wird das Problem von Südtirol aufgebracht. Also, das Zentrum von Europa wird mit Österreich und dem Balkan wieder ein Pulverfaß werden. Verstreutes In den Salzburger Nachrichten vom 27.4. 2000 war auf Seite 2 unter dem Titel Titel „Zähne und Klauen‘ gegen EU-Sanktionen“ zu lesen: „Österreichs Botschafter in Paris, Frank Ceska, warf Frankreich unterdessen vor, Hassgefühle aufzubauen. ‚Die Franzosen treiben uns den Deutschen in die Arme‘, so Ceska. Er verglich das Vorgehen der EU gegen Österreich mit dem Einmarsch des Warschauer Paktes 1968 in Prag.“ In Österreich ersetzen Zitate die Satire. K.P. Briefe, Riickspiegel Zum Editorial in MdZ Nr.4/1999 (März 2000), S. 3: Im Editorial der MdZ vom Marz 2000, das im übrigen die heutige Lage in Österreich sehr treffend charakterisiert, zitieren Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser Jacqueline Lillie, die im New Yorker „Aufbau“ vom 11.2. 2000 geschrieben hatte: „Von Anfang an weigerte sich die Republik Österreich, sich ihrer Geschichte zu stellen. Allzu leichtfertig griff man die Mär auf, daß Österreich Hitlers erstes Opfer war.“ An diesem Zitat, heißt es nun im Editorial, sei „so ziemlich alles falsch, was überhaupt falsch sein kann.“ Die Mär von Österreich als dem ersten Opfer Hitlers wäre keine Mär: „Der Staat Österreich war sehr wohl ein Opfer der nationalsozialistischen Weltherrschaftspläne, wenngleich nicht das erste. Die ‚Wiedervereinigung des Landes Österreich mit dem Deutschen Reich‘ zielte auf die Auslöschung Österreichs als geschichtliches und nationales Gebilde und wirkt bis heute als tiefe Kluft zwischen NS-Befürwortern und NS-Gegnern in der österreichischen Gesellschaft nach. Dies als eine Mär zu deklarieren, blendet den Widerstand, der sich wesentlich gegen die Annexion durch Hitlerdeutschland richtete und sich darin mit dem Widerstand in anderen Ländern verband, aus. Nicht der Widerstand ... mit seinen Irrtümern und Errungenschaften ist nun die Achse, um die sich das weitere Nachdenken dreht: das Land Österreich wird zu einer Instanz, an deren Erkenntnisfähigkeit appelliert, deren Unfähigkeit zur Selbsterkenntnis beklagt wird. Unwillkürlich ist an den Ort eigenen Erkennens und eigener Tätigkeit der Stellvertreter Staat gerückt.“ Genau das geschieht aber, wenn der Staat Österreich als Opfer der nationalsozialistischen Weltherrschaftspläne betrachtet wird; wenn vom nationalen Gebilde die Rede ist, statt von den konkreten Opfern, den von den Nürnberger Rassegesetzen Stigmatisierten, Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, und den anderen, die als für die ‚Rasse‘ schädlich definiert wurden. Nicht mehr die Tatsache dieser Opfer, die Tatsache, wie und von wem sie zu Opfern gemacht wurden, ist dann die Achse, um die sich das weitere Nachdenken dreht, sondern der Staat, dessen Untergang beklagt wird. Über diesen Staat wäre jedoch nur in der Perspektive zu sprechen, was er gegen den Nationalsozialismus und für die Opfer getan hat, also in der Perspektive des „kleineren Übels“ — das vor 1938 das größte Übel vorbereiten, nach 1945 es zu vertuschen half. In dem Zitat Jacqueline Lillies ist insofern alles ganz richtig: Die Ungeheuerlichkeit der Zweiten Republik liegt doch darin, einen Staat zum Opfer zu erklären, um über die wirklichen Opfer zu schweigen und die Täter zu decken. Auf dieser Ungeheuerlichkeit beruht der postfaschistische Konsens, die Bejahung der Resultate des Nationalsozialismus. Davon zu sprechen, heißt ja nicht, vom Widerstand zu schweigen. Im Gegen