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Ernst Papanek (1900-1973), aus der Wiener Schulreformbewegung kommend, wurde zum vielfachen Mittler zwischen Österreich und seinen Exilländern Frankreich und den USA.!' Als exponierter Politiker der Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs (SDAP) mußte er nach den Februarkämpfen 1934 in die CSR flüchten, wo er einen Teil des Widerstands gegen den Austrofaschismus bis zum Anschluß Österreichs 1938 organisierte. Dann emigrierte er über Frankreich in die USA, legte aber bis zur französischen Kapitulation 1940 eine Zwischenstation in Paris ein, wo seine Familie nach jahrelanger Trennung wieder zusammenkam. Er wurde Mitglied der Auslandsvertretung der revolutionären Sozialistischen Jugend Österreichs und Leiter der Kinderheime der OSE, das ist die „Organisation pour la Sant et Education“ in Montmorency. Die Söhne Gustav und Georg waren dabei, und seine Ehefrau Dr. med. Helene Papanek, geb. Goldstern, Ärztin und Psychiaterin, übernahm die medizinische Betreuung in den Kinderheimen. Auf diese pädagogische Tätigkeit Ernst Papaneks gehe ich im 1. und 3. Teil meines Beitrags ein. Interessant ist es hier, zum einen die Quellen seines Wirkens aufzuspüren, die in Wien entspringen und im 2. Teil skizziert werden, und zum anderen die Weiterentwicklung der pädagogisch-politischen Konzeptionen zu verfolgen. Im letzten Teil befasse ich mich mit den Transferleistungen Ernst Papaneks und mit dem Forschungsstand. I. Oasen: OSE-Kinderheime in Frankreich Ernst Papanek schreibt in seinem Bericht „Die Kinder von Montmorency“ über die Herkunft der 3-15jährigen Kinder: „Manche waren Söhne und Töchter politischer Emigranten, die in Paris lebten, andere waren Kinder jüdischer Flüchtlinge, die in einem französischen Internierungslager in Le Mans festgehalten wurden. Andere Kinder waren von der OSE aus von den Nazis besetzten Ländern herausgeschmuggelt worden.“ (Papanek 1980, S. 27) Unter dem Eindruck der Reichspogromnacht hatten sich die Bemühungen vor allem der ausländischen jüdischen Hilfsorganisationen und der Quäker verstärkt, die verfolgten Kinder und Jugendlichen zu retten. Dazu gehörte auch die OSE, die den Pädagogen Ernst Papanek für den Ausbau und die Leitung von zu diesem Zweck eingerichteten Kinderheimen gewonnen hatte. Ab Februar 1939 wurden Kinder, zunächst aus Deutschland und Österreich, in die vier Heime in Montmorency, ca. 16 km nördlich von Paris, gebracht. Schon im Frühling 1940 lebten 1600 Kinder unterschiedlicher Nationalität in elf über ganz Frankreich verteilten Heimen. Ernst Papanek erläutert die Zielsetzung folgendermaßen: „Ziel der OSE war, so viele Kinder wie möglich zu retten [...], die Saat und die Kultur des mitteleuropäischen Judentums. Mein Ziel als amtierender Direktor war vielleicht weniger grandios, aber anspruchsvoller. Ich hatte darauf zu sehen, daß diese Kinder, die auf so vielfache Weise der Brutalität ausgesetzt gewesen waren, nicht nur überlebten, sondern als ganze Menschen überlebten.“ (Papanek 1980, S. 27) 10 Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß das Exil meist das Ende der Kindheit, frühe Reife und Selbständigkeit und oft ein bleibendes Gefühl von Heimatlosigkeit bedeutet und in Abhängigkeit vom Alter und von den jeweils vorherrschenden Sozialisationsbedingungen in den Zufluchtsländern zu unterschiedlich schweren mentalen und nervösen Störungen führt. Anna Seghers hat dies schon differenzierter gesehen, wie aus ihren Fragen deutlich wird: „Sind diese Kinder schwächliche Pflanzen, die in der fremden Erde kaum Wurzeln fassen, geschweige denn wachsen können? Oder gleichen sie eher jenen zarten, doch zähen gefiederten Samenkörnern, mit denen der Wind zunächst macht, was er will, die dann, einmal gelandet, aus ihrer winzigen Erdkrume machen, was sie wollen?“ (Seghers 1986, S. 137 f.) Für die OSE-Heime lassen sich ihre Fragen beantworten: Es waren Oasen, die ein derartiges Wachstum in der durch nationalsozialistische Herrschaft entstandenen Wüste ermöglichten. Die Frage ist, aus welchen Quellen Ernst Papanek schöpfte, um mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Kinderheimen ein Überleben zu sichern und zu neuem Lebensmut zu verhelfen. 2. Quellen: Die Wiener Schulreformbestrebungen Ernst Papanek weist ausdrücklich auf seine Quellen hin: „Unsere Erziehungsmethode leitete sich direkt vom Arbeitsunterricht der Wiener Schulreform ab, die das Klassenzimmer nicht als einen Käfig ansieht, in dem die Kinder in keimfreien Reihen sitzen, um ihre tägliche Ration von Tatsachen und Zahlen aufgetischt zu bekommen, sondern als ein Zentrum der geistigen und sozialen Welt des Kindes. Indem der Lehrer von seinem Podium herunterstieg und der Schüler aus seinem Pult befreit wurde, wurde das Kind eine Persönlichkeit, die fähig war, ihr Teil zu ihrer Erziehung beizutragen.“ (Papanek 1980, S. 114, Hervorhebung E.P.). Die hier deutlich anklingende Kindzentriertheit der Erziehung und des Unterrichts ist ein we