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Am 29. September 1850 erhielt das Buchenland von Wien aus eine eigene Landesverfassung. Damit war die Bukowina, so der offizielle Name des Landstrichs im äußersten östlichen Zipfel der österreichisch-ungarischen Monarchie, ein eigenes Kronland geworden. Die österreichische Reichsverfassung hatte dem seit 1786 mit Galizien verbunden gewesenen Land schon im März 1849 das Prädikat „Herzogthum“ verliehen. Die Bukowina blieb bis zum Ende des Ersten Weltkrieges ein österreichisches Kronland, eine arme Provihz, deren deutsche Besiedelung aufgrund ihrer Abgeschiedenheit immer wieder administrative Anstöße brauchte. Czernowitz, die Hauptstadt des Buchenlandes, geriet bald in den Geruch einer Art Strafkolonie für mißliebig gewordene Beamte und Militärs bzw. eines Ortes zur Bewährung für junge Kräfte. Die forcierte Ansiedlung deutschsprachiger Juden machte Czernowitz in der Folge zur einzigen europäischen Hauptstadt mit einer relativen Mehrheit an jüdischer Bevölkerung. Ihre kulturelle und geistige Hochblüte gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Stadt nachträglich als nostalgisch verklärte Multikulturalität ausgelegt. Ein Blick in den 1905 verfaßten Roman „Der Pojaz‘“ von Karl Emil Franzos indes ruft einem die Wirklichkeit der Region im ausgehenden 19. Jahrhundert in Erinnerung. Diese war viel eher von sozialen und nationalen Trennungen gekennzeichnet als von einem interethnischen, interkulturellen oder klassenübergreifenden Aufeinanderzugehen ihrer BewohnerInnen. Deutsche, Rumänen, Slawen, Griechen; Juden, Katholiken, Unierte, Orthodoxe lebten mehr neben- als miteinander. Einzig in der Hauptstadt Czernowitz ergab sich ein kulturelles Gemisch, das mitteleuropäische Dimensionen annahm, wohlgemerkt im dynastischen und nicht im nationalen Sinne gemeint. Indem wir die Bukowina nehmen, erhalten wir den Schlüssel für das Fürstentum Moldawien. Staatskanzler Wenzel Anton Graf von Kaunitz am 7. Februar 1775 Begonnen hat die österreichische Geschichte der Bukowina mit der Niederlage und dem darauf folgenden Rückzug der Osmanen vor Wien im Jahre 1683. Damals nahm der Drang der siegreichen Habsburger und des polnischen Wahlkönigtums nach Südosten seinen Anfang. Durch die zwischen Rußland, Preußen und Österreich in den Jahren 1772, 1779 und 1795 erfolgten Teilungen Polens gelang es dem Zaren, mehr als drei Viertel des polnischen Gebietes zu besetzen. Damit war Polen als Großmacht ausgeschaltet. Dem gemeinsamen und doch so unterschiedlich geträumten Traum des Zaren und der Habsburger, die Herrschaft über Konstantinopel zu übernehmen, standen nun nur noch die drei unter osmanischer Oberherrschaft stehenden rumänischen Fürstentümer — Transsilvanien bzw. Siebenbürgen, Moldawien und die Walachei - im Wege. Transsilvanien war bereits 1691 österreichisch geworden. Auf die Walachei im Osten hatte Wien nur sehr kurzfristig und teilweise Zugriff erhalten. Die Orientalische Frage kollidierte somit im Jahre 1774, nach den Friedensverhandlungen von Kütschük Kainardschi, mit der Wiederbelebung der ,,cingemottet“ gewesenen Frage nach der Oberherrschaft über das Fürstentum Moldawien. Der Wett16 streit zwischen dem römisch-katholischen Österreich und dem orthodoxen Rußland um die Nachfolge der Osmanen in diesem Raum endete schließlich mit der Teilung Moldawiens - in die österreichische Bukowina und in das zaristische Bessarabien. Am 7. Mai 1775 unterschrieb die Hohe Pforte, das ,,AuBenministerium“ des Sultans in Konstantinopel, die Annexionsurkunde der Österreicher. „Wir sind vollständig ungerecht in Bezug auf die moldawische Angelegenheit“, kommentierte damals Österreichs Herrscherin, Maria Theresia, selbstkritisch die Osterweiterung: „Ich muß bekennen, daß ich nicht weiß, wie wir uns entwirren werden, aber schwerlich auf eine ehrliche Weise, und das betrübt mich unendlich viel.“ Der moldawische Fürst Gregor/Ghica II. verlor in jenen Tagen durch Verrat seinen Kopf, während Wien bereits bemüht war, eine neue Verwaltung im „Czernowitzer Distrikt“ aufzuziehen. Vorerst gelang dies mit den alten Eliten, dem rumänischen Dienstadel, den Bojaren. Ion Budai Deleanu, Regierungsrat in der galizischen Regierung, der bis 1850 auch die Bukowina unterstellt war, vermerkte im Jahre 1801 dazu bitter: „Alles Unfähige, Unmoralische und Egoistische in der Monarchie scheint in der Bukowina an die Spitze zu gelangen.“ Die Bevölkerung des neu gewonnenen Landstriches setzte sich neben den Rumänen hauptsächlich aus Ruthenen — wie die großteils nicht-orthodoxen, sondern unierten Ukrainer in der Donaumonarchie genannt wurden - zusammen. Am Ende der österreichischen Zeit im Jahre 1910 waren Slawen und Rumänen, nicht zuletzt dank der Wiener Siedlungspolitik, fast gleich stark (300.000 Ukrainer bzw. Ruthenen und 270.000 Rumänen) und stellten zusammen drei Viertel der Gesamtbevölkerung. Die vor allem unter Joseph I. und Leopold II. angesiedelten deutschen Kolonisten aus dem Westen kamen nur selten aus dem Gebiet der Habsburgermonarchie, sondern eher aus entfernten linksrheinischen Gegenden wie dem Saarland und Lothringen oder aus dem preussisch gewordenem Teil Schlesiens. Deutsch war also ihre Abstammung, österreichisch wurden meist erst die Kinder dieser Siedler. Diese deutschösterreichische Kultur breitete sich vor allem in der Stadt schnell aus. Ihre Träger waren zumeist Soldaten, Beamte und Lehrer. Es gab unter ihnen aber auch wohlhabende Landwirte auf staatlich bewirtschafteten Gütern, Facharbeiter, Gründer von Industriebetrieben und Bergwerken. Die Träger der deutschen Kultur wiederum waren oftmals Juden, die die relative Bevölkerungsmehrheit in der Hauptstadt Czernowitz stellten. 1869 zählte die k.k. Statistik 45.000 „Israeliten“ im Lande. Juden lebten als hervorragende Kaufleute, Gewerbetreibende, Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte. So mancher war auch in der Leitung des Czernowitzer Rathauses, ja selbst in der Position des Bürgermeisters, vertreten. Bedeutende Schriftsteller und jüdische chassidische Religionstheoretiker stammen aus der Bukowina. Sie prägten die Hauptstadt und bildeten auch auf dem Land das modernisierende Element. 1880 gab es nur elf Dorfgemeinschaften in der Bukowina, in denen keine jüdische Gemeinde existierte. Am 15. Mai 1848 beschloß der eben konstituierte Reichsrat die Aufhebung der Leibeigenschaft in Galizien und Lodome