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rien, somit auch in der Bukowina. Trotzdem fragte der galizische Gouverneur Graf Stadion die Großgrundbesitzer der Bukowina, ob dieser Beschluß wohl auch der öffentlichen Ordnung des Distriktes entspräche. Die Antwort fiel erwartungsgemäß negativ aus. Mit dieser Abstimmung hatte sich die feudale Reaktion jedoch zu weit nach hinten gelehnt. Am 20. Mai des Revolutionsjahres stellte eine sich revolutionär verstehende Volksversammlung — bestehend aus Vertretern der Geistlichkeit, der Bojaren, der Bauern und der Lehrer — zwölf Forderungen auf: Trennung der Bukowina von Galizien, autonome Verwaltung, Trennung der rumänischen orthodoxen Kirche von der serbischen Metropolie in Karlowitz, Gründung rumänischer Schulen, Gleichheit aller Religionen in der Bukowina, Abschaffung der Leibeigenschaft. Erst 1861 sollte es zur endgültigen Bauernbefreiung in Galizien und der Bukowina kommen. Rumänische Intellektuelle begriffen die Forderungen der Volksversammlung in der Folge als ihr nationales Programm. Eine starke ukrainische Nationalbewegung trat erst gegen Ende des Jahrhunderts auf den Plan der bukowinischen Geschichte. 1862 erhielt das Herzogtum Bukowina in Anlehnung an den alten moldawischen Auerochsenkopf ein neues Wappen und die blaurote Fahne. Zum ersten Präsidenten des Parlaments und gleichzeitig Landeshauptmann wurde Bischof Evgeni/Eugenie Hacman gekürt. Politisch war die Klasse der Großgrundbesitzer, die Bojaren, mehrheitlich rumänisch. H.J. Bidermann listet in seiner 1875 anläßlich des 100jährigen Jubiläums der österreichischen Landnahme erschienenen Schrift die Mehrheitsverhältnisse im Reichsrat und im Landtag penibel auf. Demnach waren in diesem Jahr von den 114 Wählern jener Klasse 45 rumänische Bojaren, 38 katholische Armenier und Polen, 14 Israeliten, zwölf orthodoxe Armenier, vier Deutsche und ein Madjare. Daraus läßt sich auch grob die Sozialstruktur im Kronland ablesen. Während also die Rumänen eine eigene traditionelle Oberschicht aus gebildet hatten, war die slawische Bevölkerung, die Ruthenen, ohne Besitz von Grund und Boden als Bauern an die Scholle gebunden. Der kulturelle Entwicklungsstand der Mehrheitsbevölkerung blieb dürftig. Neben dem lateinischen Gymnasium in Czernowitz, gegründet im Jahre 1808, existierten in der Bukowina zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur 34 ordentliche Schulen für Rumänen. An ihnen unterrichteten weniger als hundert Lehrer nicht einmal 10% der 50.000 schulfähigen Kinder. Die Rumänen lernten, wie alle Orthodoxen, mit kyrillischen Buchstaben schreiben und lesen. Der orthodoxe Bischof Hacman glaubte noch 1871, daß die lateinische Schrift die Seele verderbe. Er sprach sich auch gegen die Errichtung von Druckereien aus, die rumänische Mönche in den Klöstern selbst bedienen lernen wollten, mit dem Argument, daß diese sonst in Versuchung kämen, nationalistische Schriften zu drucken. Die ruthenisch-ukrainischen Kinder dürften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum einen besseren Zugang zu Bildungseinrichtungen erhalten haben. Die bedeutendste politische Zäsur der habsburgischen Epoche in der Bukowina bildete der österreichisch-ungarische Ausgleich des Jahres 1867. Das Kronland blieb cisleithanisch, das heißt unter Wiener Verwaltung. Dies war insbesondere für den rumänischen Bevölkerungsteil von Bedeutung, der janun von den Rumänen in Siebenbürgen, die in der Folge den Madjarisierungsdruck bitter zu spüren bekommen sollten, administrativ stärker getrennt blieb. Wien bemühte sich — anders als Budapest - um einen Ausgleich mit ihnen. Die Gründung einer eigenständigen orthodoxen Metropolie in Czernowitz im Jahre 1873 war eine der kirchen- und kulturpolitisch wichtigsten Folgen der politischen Metamorphose des Habsburgerreiches in eine Doppelmonarchie. Die Zeit dafür war günstig. Am Wiener Hof wollte man die ungarischen Ansprüche auf Dalmatien eindämmen, und so wurde durch ein kaiserliches Dekret die orthodoxe Metropolie der Bukowina und Dalmatiens ins Leben gerufen. Als erster Metropolit erhielt der greise Hacman, ein treuer und verdienter Diener seines Kaisers, die höchsten Weihen. Geplant war dieser Schachzug Wiens auch als kirchenpolitische Attacke gegen die geistliche Oberhoheit der serbischen Orthodoxie in diesem Raum. Der neue Czernowitzer Metropolit übernahm die Seelen jener Rumänen und Slawen, die bislang von Karlowitz aus dem serbischen Klerus unterstellt waren. Gesalbt wurde Bischof Hacman übrigens in der griechisch-orthodoxen Kirche in Wien. Dem orthodoxen Klerus in Czernowitz sollten in der Folge — ganz gegen die Absichten seines ersten Metropoliten — eine Reihe von Nationalrumänen entspringen. „Hundertjahrfeier der Vereinigung der Bukowina mit Österreich“ hieß das Jubiläumswerk, das Professor Adolf Ficker aus Wien im Jahr 1875 vorlegte. Er schildert darin die zivilisatorischen Vorzüge der österreichischen Herrschaft im östlichsten Kronland. Für Ficker wurde die Besatzung zur Vereinigung, die österreichische Präsenz zur kulturellen Errungenschaft. Als Antwort auf Ficker veröffentlichte der Rumäne Mihai Kogalniceanu zum gleichen Anlaß die Schrift „Der Raub der Bukowina“. In französischer und rumänischer Sprache wurde außerdem die Korrespondenz zwischen Staatskanzler Kaunitz, Internuntius Thugut und der Hohen Pforte über die österreichische Annexion veröffentlicht. Das Büchlein kam in der Bukowina sogleich auf den Index, was die Feierlichkeiten trübte. In Czernowitz beschloß das Jubiläumskomitee die Errichtung einer Austria-Statue. Eine marmorne Mutter, die ihr Kind umarmt, wurde auf dem gleichnamigen Platz, dem Austria- Platz, aufgestellt. Kaiser Franz-Joseph I. kam persönlich nicht zur Einweihung, obwohl die Feierlichkeiten auf seinen Geburtstag gelegt worden waren. Sein Geschenk für das Herzogtum konnte sich dennoch sehen lassen. Er erteilte den Aufrag zur Gründung der Universität, die den Namen „Kaiserliche und Königliche Franz-Joseph Universität zu Czernowitz“ führen durfte und drei Fakultäten besaß: griechisch-orientalische Theologie, Rechtswissenschaften und Philosophie. Im ersten akademischen Jahr 1875/76 betreuten 18 Professoren 268 Studenten: darunter 53 Rumänen (davon 34 Theologiestudenten), 5l Juden, 41 Ruthenen, 31 Deutsche, 28 Polen und vier Tschechen. Sicher war es nicht allein die Liebe zu den Rumänen, die den Kaiser zur Gründung der Franz-Joseph-Universität motivierte. Sie war vielmehr als Kontrapunkt zu einer Reihe von Entwicklungen der vorangegangenen Jahre gedacht: So waren die polnischen Universitäten zu Krakau und Lemberg seit 1870/71 keine deutschen Hochschulen mehr. Im transsilvanischen Klausenburg/Koloszvar — heute Cluj-Napoca — entstand 1872 eine ungarische Universitat. Zudem demoralisierte bzw. radikalisierte die ungarische Nationalitätenpolitik die Rumänen mehr und mehr. Sie barg den Sprengstoff, der bis heute ungarisch-rumänische Feindseligkeiten in der Region bewirkt. Um sich der Loyalität der Rumänen dennoch zu versichern, wurde die Czernowitzer Universität als kaiserlich-dynastische, anti-nationale, aber durchaus deutsch geführte Eirichtung zwischen Galizien und Transsilvanien konzipiert. 17