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Die heftige Diskussion der 1980er Jahre um den deutschen Nationalismus von Karl Emil Franzos beschäftigte sich auch mit der Frage der ideologischen und ebenfalls der literarischen Vereinbarkeit der nicht zu leugnenden Sympathie des Schriftstellers für den ethnischen Pluralismus Ost- und Südosteuropas einerseits mit dem heimlichen Germanisierungsethos des deutschen National-Liberalen andererseits. Auf dem Niveau der narrativen Strategie fällt die Allwissenheit und Omnipotenz des auktorialen Erzählers auf; souverän manipuliert er die Schicksale seiner verschiedenen Gestalten, deren Gedanken er genau kennt und deren Worte und Gesten er dem Leser in allen Einzelheiten zu erklären weiß. Der Stil des Wiener Feuilletons, mit seiner übertriebenen Subjektivität und gleichzeitigen Bemühung, den Erwartungen des Zielpublikums gerecht zu werden, wo der Autor gleichzeitig Belesenheit, Witzigkeit und einen feinen Sinn für den Geschmack der Leser neben der meisterhaften Handhabung der Sprache zu bezeugen hatte, ist bei Franzos von den „Kulturbildern“ ohne weiteres in die fiktionalen Geschichten eingegangen: ein schematisierendes Personen- und Handlungsgefüge, eine zur Überdeutlichkeit tendierende Demonstration vorgefaßter Thesen, eine klischeehafte Unterscheidung zwischen Gut und Böse sollen für die affirmative Selbstzufriedenheit und für die nie in Frage gestellte Richtigkeit der eigenen Weltanschauung einer sich mit bestimmten Zielen der offiziellen Politik der Monarchie identifizierenden bourgeoisen Leserschaft bürgen. Das gilt auch für die sogenannten für Franzos angeblich typischen „Konstrukte“, unter denen man die Vorstellungen oder die „Ideen“ versteht, „die er an einer Person sichtbar machen will“ (Dieter Kessler) — eine an Vor-Urteilen haftende Denkweise, die nicht zögerte, ebenso künstlich über kollektive Identitäten, das Eigene vom Fremden willkürlich unterscheidend, Werturteile zu fällen: „das Licht deutscher Cultur, die Finsternis engherzigen Dünkels kleiner Nationalitäten“ (aus: „Martin der Rubel“). Man war schon sehr früh der Meinung, daß der Autor „mit dem merkwürdigen deutsch-nationalen Fühlen“ wegen dieser vereinfachenden Vision „seinem Stoffe Gewalt angetan [hat]‘“ (Eduard Castle). In demselben Geist wie dessen Pariser Zeitgenosse Hippolyte Taine, der larace, le milieu und le moment zu determinierenden Elementen der Kultur erklärte, gestaltete Franzos die Schicksale der meisten seiner Helden in direkter Abhängigkeit von „nationalen“ (ethnischen, rassischen?) Gegebenheiten, während nicht selten ein moralisierender Erzähler als Sprecher der deutschen Kultur sich in der narrativen Szenerie souverän zum Beurteiler der Sittlichkeit oder Unsittlichkeit der Anderen aufwirft. Nach demselben Rezept wird im ersten Paragraphen eines in seinem Czernowitzer Tagebuch aus dem Jahre 1868 enthaltenen Artikelentwurfs über die deutschsprachigen „Bukowiner Poeten“ das „Feld“ umrissen, das deren Czernowitzer Dasein im Verhältnis zu diesen Anderen charakterisieren soll; ein Berliner Freund, der bisher mit dem Namen der Stadt nur ,,russisches Knutenthum, türkische Barbarei und rumänische Judentodtschlagekunst‘“ verbinden konnte, und dem der Autor „eine Sammlung lyrischer Gedichte [...], die vor wenigen Jahren hier in Herrnwitz (sic!) erschienen war“, zeigte, soll sein erfreutes Erstaunen mit den folgenden Worten ausgedrückt haben: „Glückliches Deutschland! Deiner Sprache Laut klingt nicht nur an der Donau, dem Rhein und der Spree, selbst an den Pruth’s Gestaden wogt sie dahin in wohllautendem Rhythmus!“. Umgeben von autochtoner Sittenlosigkeit, die die erwähnten „nationalen“ Merkmale stellvertretend für noch schrecklichere Laster konnotieren, wird die „Kultur“ ausschließlich vom „deutschen Element“ vertreten, das „vor 90 Jahren in unserem Lande zu wirken begonnen [hat]“. Die so enthusiastisch gepriesene Ausdehnung der deutschen ,,Kulturnation“ war gerade in der Bukowina erfolgt, meint Franzos, weil „hier [...] die deutsche Sprache mit keiner anderen |[...] Litteratursprache zu ringen [hatte]“, so daß auch lokale ,,Bukowiner poetischer Natur“ neben denjenigen „deutsch-bukowiner Poeten“, die noch vor ihrer Versetzung als österreichische Beamte in die Bukowina gedichtet haben, durch den „Einfluß des Deutschtums überhaupt zu deutschen Poeten geworden“ sind. Diese dem freisinnigen Zeitalter angemessene „Konversion“ der „Barbaren“ zur westlichen Zivilisation erhält eine ausgesprochen rituelle Bedeutung, obwohl sie nicht mehr unter dem Zeichen der Religion, sondern im dem Bildungsbürger hochheiligen individuellen Bereich des geistigen Schaffens stattfindet; übrigens sollte dies der wichtigste und überzeugendste Beweis der erzieherischen Tugenden des „deutschen Wortes“ darstellen — desjenigen, das in der Bukowina die von Joseph II. konzipierte „Österreichische Mission“ in Osteuropa erfüllt hätte, dadurch, daß es „die Mahnung zur Bildung und Eintracht, nicht der Schlachtruf zur Unterdrückung einer schwächeren Nationalität“ geworden sei. Dank dieser geschickten Handhabung der Dialektik des „Sowohl-als-auch“ (ethnischer Pluralismus und Germanisierung) gelingt es Franzos, ein kleines Meisterstück kolonialen Diskurses zu produzieren, indem das narzißtische Lob der Mimikry, oder die offene Einladung der Anderen zur Aufopferung und Auflösung ihrer Andersheit — was nur zugunsten der Stabilisierung der kolonialen Macht und faktisch zur Konservierung des Ungleichgewichtes zwischen der Metropole und der Peripherie, d. h. zwischen dem Eigenen und dem Anderen dienen sollte — als harmonisierendes Endziel — oder Höhepunkt der Historie, nach dem nur noch die enthistorisierte Post-Historie westlichen (deutschen) Musters folgen sollte - einer klugen, von aufklärerisch-fortschrittlichen Idealen inspirierten Politik der bürgerlich-liberalen Ära dargestellt wird. Das Recht der „Bukowiner Poeten“, das er trotz des unter ihnen noch „massenhaft“ herrschenden Dilettantismus beansprucht, auf die Aufmerksamkeit der deutschen Rezensenten und Leser, bedeutete keinesfalls ein philisterhaftes Plädoyer für eine gegen die „ästhetische Gerechtigkeit“ entstandene „Provinzkunst“, sondern, (wenn auch nebenbei ein Sich-selbst-in-den-VordergrundSetzen als ihr jüngster hoffnungsvoller Vertreter), einen Versuch, diese neue Qualität der Abhängigkeit des deutschsprachig kolonisierten Ostens von der westlichen Metropole inhaltlich zu erfassen und dafür die Anerkennung der Öffentlichkeit zu erreichen. Das spätere Ideologem des „Bukowinismus“, mit Czernowitz als vereinfachtem Sinn-Bild einer nur durch die deutsche Kultur möglichen Überwin23