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Das war ein starker, rotbackiger, flachshaariger Bursche, Hawrilo Dumkowicz, der Sohn eines armen Tagelöhners aus Korowla. Nachdem der Vater gestorben war und das Mißverhältnis zwischen dem gesunden Magen des Burschen und den Brotrationen im elterlichen Hause immer greller geworden, entschloß sich seine arme Mutter endlich, ihn zu Wassilj in die Lehre zu geben. Es kostete sie aber schwere Herzenskämpfe, und ihr Gewissen fühlte sich tief beunruhigt. Wassilj Grypko ging nie zur Kirche! Und nun hatte er sogar einen jüdischen Lehrling im Hause; durfte sie ihren einzigen Sohn mit diesen beiden Menschen verkehren lassen? Nun, sie entschloß sich doch dazu. Freilich befragte sie vorher eine sehr kompetente Persönlichkeit: den hochwürdigen Herrn Mikita Borodaykiewicz, den griechisch-katholischen Seelenhirten von Korowla. Das war ein dicker Mann, der eine dicke Frau hatte und drei dicke Töchter. Den Polen galt sein Haß, dem Schnaps seine Liebe. Im übrigen war er ein guter Mann, der gern ja sagte und ungern nein. Darum sagte er auch nicht nein, als ihm die Witwe ihren Plan vortrug. Weil er aber sowohl Familienvater als Seelsorger war, so vereinigte er das Angenehme mit dem Nützlichen, indem er einerseits die Gefahr nicht verhehlte, anderseits aber auch die Mittel zur Abwehr in Vorschlag brachte. „Der eine ist ein Heide“, sagte er gewichtig, „der andere ein Jude, das ist freilich wahr. Aber wenn ich den Hawrilo in mein Gebet einschließe, und zwar täglich, so steht die Sache doch anders. In mein Gebet, versteht Ihr mich! Das Gebet eines Priesters, und noch dazu täglich! Dann könnte ihm sogar der Verkehr mit dem Teufel nichts am Seelenheile schaden!“ Das Gebet eines Priesters! Dem armen Weibe leuchtete dies vollkommen ein. Gleichwohl fragte sie: „Und was wird es kosten?“ „Das Gebet eines geweihten Priesters! Das dürft Ihr nicht vergessen! Also, einen Gulden monatlich wird es kosten!“ Das war natürlich für die arme Witwe viel zu teuer, und sie begann zu feilschen. Vergeblich versicherte der gute dicke Mann, die Sache sei des Preises unter Brüdern wert. „Bedenkt doch nur, täglich muß ich mich seiner erinnern, wenn ich vor dem Altar stehe, das ist keine Kleinigkeit!“ Schließlich mußte er doch mit dem Preise herabgehen, tief, ganz tief. Um monatlich dreißig Kreuzer mußte er sich verpflichten, den Hawrilo Dumkowicz täglich Gott zu empfehlen. Freilich bat er auch: „Versprecht mir wenigstens, daß Ihr niemand sagt, wie billig ich es Euch gelassen habe.“ Das Weib versprach es. „Aber du, hochwürdigster Vater“, bat sie, „mußt mir auch etwas versprechen: Du wirst es deshalb nicht schlechter tun, weil du es billiger tust.“ Auch dies gelobte Vater Mikita mit feierlichem Eidschwur. Er hat es sicherlich redlich gehalten. Und dieser mächtigen Verwendung ist es vielleicht zuzuschreiben, daß mindestens in den ersten Monaten das Seelenheil des Hawrilo in der Schmiede keinen Schaden nahm. Seine unsterbliche Seele nicht. Aber desto mehr das Teil, was vergänglich war: die Jacke und die Hose und das junge Stück Menschheit, welches darin steckte. Die Kleider erhiel26 ten täglich andere Risse und die Menschheit andere Püffe. Christentum und Judentum vertrugen sich anfangs in der Schmiede bitter schlecht, und sooft der Meister den Rücken kehrte, gab es ein Gefecht; nach Schluß der Arbeit aber gerieten sie vollends täglich mit größter Regelmäßigkeit aneinander. Und da das Judentum stärker war, so ging es stets triumphierend heim, während sich das Christentum still fortschlich und dabei fortwährend an der oder jener Stelle rieb. Aber allmählich verloren diese Kämpfe für sie den Reiz der Neuheit, und sie prügelten sich nur noch aus Langeweile und prügelten sich so allmählich in eine Art behaglichen Verhältnisses hinein, ja schließlich in eine Art Freundschaft, eine wahrhaftige Freundschaft, welche durch mancherlei äußere Zeichen befestigt wurde. Aber schier jedes dieser Zeichen machte jenen „Wurm“ im Herzen des armen Judenjungen stärker bohren. Da war wieder einmal ,,Simchat Thora“ im Städtchen gefeiert worden, das Fest, welches die Juden alljahrlich in freudevoller Erinnerung daran begehen, daß ihnen Gott die Thora gegeben, die Quelle der Weisheit, den Schlüssel zum Jenseits. Die Erinnerung ist so lebhaft und die Freude so groß, daß an diesem Tage Met, Wein und Schnaps in unglaublichen Quantitäten vertilgt werden. Je frommer der Mann, desto größer sein Rausch. Ob dies die rechte Art ist, Jehova zu ehren, den Gott der Heerscharen, oder wie ihn Wassilj respektvoll zu nennen pflegte: „Den alten Herrn Vater vom jetzigen Herrgott‘“ — das bleibe dahingestellt. Genug, es geschieht, es geschieht sehr ausgiebig. Auch Mosche hatte sich aus Freude über die Existenz des Pentateuch einen mächtigen Dusel angetrunken. Und da es an diesem Tage gleichfalls Sitte ist, in symbolischer Würdigung der vielen geistigen Süßigkeiten der Bibel sehr viele Rosinen und Mandeln zu essen, so hatte er auch dies redlich erfüllt. Aber dabei hatte er doch ein ganzes Säckchen voll der guten Dinge beiseite zu bringen gewußt, und zwar für einen, welcher freilich die Rosinen und Mandeln ohne jede symbolische Nebenbedeutung essen mußte: für Hawrilo Dumkowicz. So saßen die beiden Jungen am nächsten Morgen - der Meister war über Land gegangen - friedfertig nebeneinander und griffen beide emsig in das Säckchen. Die süßen Rosinen machten auch das Herz des Hawrilo süß und lieblich. Ihn ergriff ein sanftes Fühlen, er gab seinem jüdischen Kameraden einen derben Schlag auf die Schulter und meinte mitleidig: „Ewig schade! Bist ein braver Kerl! Mußt aber deshalb doch in die Hölle, du ungläubiger Jud! — Ewig schade!“ Moschko sah ihn verdutzt an. Dann begann er zu lachen, immer lauter, immer wiehernder — es klang wie ein Brüllen. Die Tränen stürzten ihm über die Backen, die Rosinenkerne gerieten ihm in die Luftröhre, aber er wieherte fort. Hawrilo sah ihn verdutzt an. „Lach nur“, sagte er ärgerlich. „Wenn dich der Teufel in den Topf steckt und ans Feuer stellt, wirst du schon weinen!“ Aber Mosche lachte nur immer stärker. Es war auch wirklich gar zu komisch! Er, Mosche, hatte die Thora, den rechten Glauben, die Freuden des Jenseits! Er hatte es schwarz auf weiß, in den fünf Büchern und unzähligen dicken Bänden! Er