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hatte darum gestern Met getrunken und Rosinen gegessen! Nur weil dieser arme Christ nichts im Jenseits hoffen durfte, hatte er ihm wenigstens im Diesseits einige Rosinen zugewendet. Und nun ward er von diesem armen Jungen, dessen doch ganz bestimmt die Hölle wartete, bedauert! Er, ein „Auserwählter‘“‘, dessen vor dem Angesichte Gottes alle möglichen Freuden warteten! Es war zu komisch! Dann trocknete er sich die Tränen und schob dem Hawrilo das Säckchen zu. „Da! Du armer Teufel, greif hinein und iß. Drüben kriegst du ohnehin nichts mehr. Da hockst du dort in der ewigen Kälte und in der ewigen Dunkelheit und mußt beständig arbeiten, du weißt nicht was und wozu!“ So stellen sich die Chassidim die Hölle vor. Bei einem trägen Volke des Südens kann dieses Bild für ewigen Jammer nicht befremden. — Aber nun ward es an Hawrilo, heiter zu werden. Er, der das Sakrament der Taufe empfangen, er, dessen der hochwürdige Mikita Borodaykiewicz täglich gegen einen Monatslohn von dreißig Kreuzern vor dem Altar gedachte, er in die Hölle kommen! Und der christliche Knabe begann nun seinerseits zu wiehern und Moschko mit, obwohl er diese Heiterkeit des Kandidaten der Hölle nicht begriff... Vielleicht hat über ihnen beiden irgendwo im All der ewige Weltgeist herzlich mitgelächelt... Als sich die Jungen müde gelacht, blickten sie einander wieder mitleidig an. „Ja, du kommst in die ewige Kälte —“ „Aber ich bitte dich, du Jud, so sei doch vernünftig. Du mußt ja ins ewige Feuer —“ „Ich muß? Woher weißt du das?“ „Aber es steht jain den Büchern —“ „Und in unseren Büchern steht, daß wir das auserwählte Volk sind. Und unser ist der Himmel! Und unsere Bücher sind von Gott selbst—“ „Haha! Das sind ja die unsrigen. Bei euch steht dummes Zeug —“ „Hawrilo!“ Der junge Riese ballte die Fäuste. Dann besann er sich. „Sage mir“, sagte er, „woher weißt denn du, daß eure Bücher von Gott sind?“ „Weil es in den Büchern steht! Und unser hochwürdiger Herr Pfarrer sagt es jeden Sonntag. Und bei den großen Feiertagen, oder wenn er früher getrunken hat, so schluchzt er immer dazu, wenn er es sagt —“ „Der Pope!“ rief Mosche verächtlich. „Der Rabbi!“ näselte Hawrilo. „Aber woher weißt du, daß ihr in den Himmel kommt?“ „Weil es in den Büchern steht — und weil es unsere Frommen sagen — und...“ Er hielt inne. Es fiel ihm plötzlich jäh aufs Herz, daß er für seinen richtigen Glauben eigentlich auch nicht bessere Quellen habe als Hawrilo für seinen Irrglauben. Und wer konnte wissen, ob... Er dachte diesen Gedanken nicht aus, er wagte es nicht... So saßen die Jungen schweigend nebeneinander und aßen die Rosinen und Mandeln, bis das Säckchen leer war. Da begann Moschko zögernd, wie scheu: „Du Hawrilo, ich möchte...“ „Was?“ 27