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Die Rezeption der ukrainischen Themen und Motive in der deutschsprachigen Literatur der Bukowina begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Schaffen der Vertreter der sogenannten „ukrainischen Dichterschule“! und dauerte ziemlich intensiv bis zum Ersten Weltkrieg. Sie manifestierte sich in solchen Formen zwischenliterarischer Beziehungen, wie Übersetzungen ukrainischer Folklore (Erzählungen aus der Bukowina von Ernst Rudolf Neubauer, Volksmärchen aus der Bukowina, Kleinrussische Volkslieder von Ludwig Adolf Simiginowicz-Staufe), Nachdichtungen der lyrischen Werke des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko sowie Erforschungen seines (Euvres (Johann Georg Obrist, Viktor Umlauff von Frankwell, Karl Emil Franzos), Thematisierung ukrainischer Stoffe im originalen Werk (Alexander Dobosch von L.A. Simiginowicz-Staufe, Der Aufstand von Wolowce, Der Richter von Biala, Ein Kampf ums Recht von K.E. Franzos) u. a. Der 1. Weltkrieg und die darauf folgende Auflösung des Österreichisch-Ungarischen Doppelreiches haben diesen produktiven Kontakten ein jähes Ende gesetzt. Die Donaumonarchie führte bekanntlich in den letzten Jahrzehnten ihrer Existenz eine relativ tolerante Politik gegenüber nationalen Minderheiten, inklusive Ukrainer, welche die östlichen Kronländer des Reiches Galizien und Bukowina bewohnten, was diese von der nationalen Politik des Russischen Zarenreiches vorteilhaft unterschied. Während z.B. im Osten der Ukraine die berüchtigten Valujevschen (1863) und Emser (1876) Ukase galten, die Ukrainisch für vogelfrei erklärten, existierten an den Universitäten Lemberg und Czernowitz Lehrstühle für Ukrainisch, erschienen in vielen Orten Galiziens und der Bukowina ukrainische Zeitungen und Zeitschriften, funktionierten nationale Verbindungen usw. Die Generation der deutschsprachigen Literaten der Bukowina, welche auf der kulturellen Bühne des Landes erst in der Zwischenkriegszeit auftrat, nachdem die Bukowina bereits dem Königtum Rumänien einverleibt war, hatte es mit einer qualitativ ganz anderen politischen und kulturellen Situation zu tun. War früher die deutsche Sprache, in der diese Autoren schrieben, in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens dominierend, so verwandelte sie sich jetzt auf einmal in die Sprache einer nationalen Minderheit, die einen harten Kampf um ihre Existenz gegen den starken Rumänisierungsdruck führen mußte. Es sei hier nur die Geschichte der gewaltsamen Besitzergreifung des deutschen Schiller-Theaters in Czernowitz im Jahre 1922 erwähnt. Um so spürbarer traf all das die ukrainische Kultur, deren Bedeutung und Anziehungskraft für Vertreter anderer Nationalitäten sich zu dieser Zeit stark reduzierte, da sie für die meisten deutschsprachigen Autoren zu einer marginalen Erscheinung geworden war. Unter diesen Umständen werden die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts so produktiv angeknüpften Beziehungen zwischen der ukrainischen und der deutschsprachigen Literatur immer sporadischer. Es mag scheinen, als ob irgendwelche unsichtbaren Wände zwischen den vor kurzem noch so aufgeschlossenen und einander befruchtenden Kulturen entstanden sind. Und doch spielen ukrainische Realien und Bezüge im Werk 32 der deutschsprachigen Autoren der Bukowina auch in der Zwischenkriegszeit eine bedeutende Rolle. Ukrainisch blieb — als eine der wichtigsten Landessprachen — ein unentbehrliches Element der Bukowiner Multikultur. Es ist bekannt, daß viele deutschsprachige Dichter — wie Georg Drozdowski, Klara Blum, Moses Rosenkranz, Alfred Kittner, Paul Celan u.a. — des Ukrainischen seinerzeit mächtig waren, doch hatte dann das Exil auf die meisten so verheerend gewirkt, daß ihre Sprachkenntnisse fast spurlos erlöschten. Am überzcugendsten demonstriert seine Kenntnisse der ukrainischen Sprache G. Drozdowski - in vielen Gedichten und Erzählungen, insbesondere aber in seinem Erinnerungsbuch Damals in Czernowitz und rundum (1984), in dem er charakteristische Sprachbesonderheiten und Redewendungen der bukowinischen Ukrainer geistreich und humorvoll, obwohl manchmal auch verballhornend, imitiert”. Er bringt es in dieser sprachlichen Vertrautheit sogar bis zu Wortspielen und zieht daraus recht komische Effekte, was bereits von einem ziemlich hohen Niveau der Sprachbeherrschung zeugt. Zweifellos half ihm dabei die polnische Abstammung seines Vaters und das frühe Interesse für die verwandte polnische Sprache. Für M. Rosenkranz, der in der ukrainischen Umgebung seines Heimatdorfes Berhomet am Pruth aufgewachsen ist, war Ukrainisch zuerst „die Haussprache der Familie“, und erst später konnte er „als eifriger Schüler der deutschen Sprache‘? seine Gedichte in ihr publizieren. In einem Brief an den Verfasser dieser Abhandlung vom 28.8. 1993 teilte M. Rosenkranz einige Details seines frühen Umgangs mit den Sprachen mit: „In Berbestie am Czeremosch besuchte ich die 4-klassige Grundschule, wo ruthenisch [d. i. ukrainisch — P.R.] Unterrichtssprache war. [...]|.Im Elternhaus wurde nur im Auftrags- und Zuteilungston gesprochen und zwar auf daitsch, daitschjüdisch, ruthenisch und polnisch. [...] Mein Vater [...] war bis 30 Analphabet, sprach fehlerhaft deutsch, aber schön ruthenisch. Er starb 1919 an den seelischen Folgen des Krieges 1914-1918, in welchem er alles verloren hatte, z. T. in einem unauffälligen Pogrom. Ich beherrschte noch bis 1920 die ruthenische Sprache. Seither, also 73 Jahre lang, blieb diese Sprache mir fremd.“ Die Beschäftigung K. Blums mit der ukrainischen Kultur war in mancher Hinsicht noch intensiver. Ihre Mutter stammte aus Stanislau (heute Ivano-Frankivsk) und sprach wahrscheinlich fließend Ukrainisch. Sie übte einen starken Einfluß auf ihre Tochter aus und war vermutlich ihre erste Ukrainischlehrerin. 1939 gab Klara Blum ihren Gedichtband Erst recht! in Kiev heraus. Später thematisierte sie ukrainische Stoffe und Motive in ihren Moskauer Gedichtbänden (wie z. B. im Band Wir entscheiden alles*, wo ein Gedicht unter dem Titel „Brief aus Odessa“ und zwei Schewtschenko-Nachdichtungen zu finden sind). Anfang der 1940er Jahre übersetzte sie weitere lyrische Werke von Taras Schewtschenko, sowie Gedichte der sowjetukrainischen Lyriker Pavlo Tytschyna und Maxym Rylskyj für die Moskauer Zeitschrift „Internationale Literatur. Deutsche Blätter”. Als ich Anfang der 1990er Jahre Alfred Kittner meinen Artikel über ihn samt den ukrainischen Übersetzungen einiger