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seiner Gedichte, die in einer Czernowitzer Zeitung veröffentlicht worden waren, nach Düsseldorf schickte, legte er mir in einem Brief vom 19.3. 1991 unter anderem auch seine Beziehung zum Ukrainischen dar: „Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich das jämmerlich Wenige an ukrainischer Sprache, das ich einmal beherrschte, im Laufe der in der Fremde verbrachten Jahre total ‚ausgeschwitzt‘ habe, und so sehe ich mich nun genötigt, mir Ihren Artikel von einem des Ukrainischen mächtigen Bekannten übersetzen zu lassen.“ Unter den im Archiv der Czernowitzer Universität neuentdeckten Dokumenten gibt es einen auf russisch ausgefüllten biographischen Fragebogen Paul Antschels (Paul Celans) vom 24.3. 1945, der seine eigenhändige Eintragung über die Sprachen, die er beherrscht, enthält (ein für die Sowjetunion üblicher bürokratischer Punkt). Neben dem „Jüdischen“ (was im Russischen sowohl Jiddisch, als auch Hebräisch bedeutet), Rumänischen, Deutschen, Französischen, Englischen und Russischen figuriert hier auch Ukrainisch (die Reihenfolge ist immerhin bemerkenswert!)°. Celan hatte 1944-45 einen engen Kontakt mit dem Ukrainischen gehabt, während er, als Mitarbeiter der Zeitung „Radjanska Rukowina“, ukrainische Propaganda-Artikel für eine rumänische Parallelausgabe übersetzen mußte. Der Begriff der Ukraine erscheint im Werk der neuen Generation deutschsprachiger Dichter, die in der Zwischenkriegszeit in der Bukowina auftauchen, zuerst bei Alfred Margul Sperber. Am Ende des Ersten Weltkrieges gelangte er als junger Leutnant der österreichisch-ungarischen Armee an die Ostfront, wo sein Regiment eine zeitlang in der Ukraine stationiert war. Den Dichter bezauberte die unauffällige Schönheit der ukrainischen Steppen, die sich von den Gebirgslandschaften seines Heimatlandes Bukowina so stark unterschieden. In einem kleinen lyrischen Meisterstück unter dem Titel „Ukrainische Steppe“ (1918) gibt der Autor seine Eindrücke von der Begegnung mit einem fremden Land wieder, welches ihm dennoch durch etwas Ungreifbares an seine Heimat erinnert: Endlose Weite der Wiesen. Entfernter Abend-Kirchen-Laut Und das uralte, ewig traurige Hirtenlied: Einsamer Vogel zieht. Und die Felder duften so süß wie zu Hause." Man kann dieses melancholische Miniaturbild, seiner formellen Verfeinerung und Knappheit des Ausdrucks nach, mit den klassischen Kurzformen der japanischen Lyrik Haiku oder Tanka vergleichen. Ähnliche Idylle entsteht auch bei der Darstellung des ukrainischen Dorfes Hlinitza im Gedicht „Fahrt durch das Dorf“ (1928): Die süßen Tauben flattern auf den Wegen, Wo sanfte Kinder hocken, die mit blauen Und großen Augen in den Himmel schauen; Und eine Kuh muht herzhaft uns entgegen. Das Flüßlein ringelt silbern sich zu Tale Hinter dem Schleier zarter Nebelschwaden; Die kleine Kirche winkt in weißen Gnaden Mit ihrem Garten alter Gräbermale. Doch fern am Hügelsaum, wo wie im Schlafe Heutrift und Ackerfeuer trüb verdämmern, Drängen sich, bang umringt von ihren Lämmern, Im Flackerwind die dunklen Mutterschafe.® Etwas Uraltes, beinahe Prähistorisches weht uns aus diesen Bildern an, in denen eine patriarchalische Gesellschaftsordnung des ukrainischen Dorfes mit seinen typischen Anlagen und Formen durchschimmert. Eine Bauerngemeinde am Fuße der Karpaten, die seit vielen Generationen Viehzucht treibt, bildet hier eine abgeschirmte, geschlossene Welt, organisiert nach strengen religiösen und ethischen Sitten der Ahnen. Eine kaum faßbare Parallele zwischen dieser archaischen Existenz, wo noch Traditionen der „Mütter“ (im Sinne von Goethes Faust) lebendig sind, und den dunklen Mutterschafen, umringt von ihren Lämmern, ruft beim Leser archetypische Bilder von gewaltiger Kraft hervor. Noch stärker charakterisiert solch eine Weltauffassung das Werk von Moses Rosenkranz, des „rustikalsten“ deutschsprachigen Dichters der Bukowina, für den das ukrainische Dorf den Ausgangspunkt und die Achse seiner geistigen Welt bildete („Herkunft“, „Das Dorf“, „Die Liebe im Dorf“, „Werbung“, „Lob der Heimat“, „Winter“, „Auf der Weide“, „Das gesegnete Bauernjahr“, „Bildnis einer Alten“, „Heidnische Wetterlitanei“ u. a.). Im Gedicht „Der kleine Hut“ stellt er sein bescheidenes Dorf der Üppigkeit und Pracht der großen Städte gegenüber und stellt die moralische Überlegenheit seiner uralten Traditionen über den scheinbaren Glanz und die trügerische Eitelkeit von Bisanz und Ägypten, Rom und Paris: 33