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Die Städte deren große Namen Ich hier gesagt ich hab sie nur Geschaut auf Blättern der Reklamen Die auch in meine Stube kamen Und schwanden lassend diese Spur Dagegen möchte ich doch loben Mein Dorf im fernen Tal des Pruth Hier grüßt auf keiner Kuppel oben Ein goldnes Kreuz: den HERRN zu loben Nimmt es nur ab den kleinen Hut.” Bunte Lebensbilder der ukrainischen Ethnie der Bukowina sind in den Gedichten von Georg Drozdowski dargestellt. In seinem lyrischen Band Der Steinmetzgarten (1956) erstehen sie im poetischen Zyklus „Der Kranz auf das Grab einer Landschaft“, der seiner Heimat Bukowina gewidmet ist. Hier wird meisterhaft das eigentümliche Universum des huzulischen Seins wiedergegeben die prächtige Natur der Karpaten, Ackerbauarbeiten, huzulische Festlichkeiten, nationale Trachten, Sitten und Gebräuche, religiöse Bekenntnisse („Huzulischer Frühling‘, „Blaue Blume bei Bila“, „Dörflicher Kirchgang“, „Brot“, „Ikonostasis“ u. a.). So beschreibt er z. B. das Interieur eines kleinen griechisch-orthodoxen Kirchleins im Gebirge: Anderer Ritus, fern mir als Brauch, Beugt mir das Knie. Ich sehe: Honigfarbene Kerzen denken an Gott. Papierene Rosen bieten sich an. Ich atme: Weihrauch, Schafpelz, Basilie wogen im Duft, wölken empor, wo an vergoldeter Wand zeitdunkle Bilder verträumen — Niklas im Bartschaum, Paraskiwa brüstewund, Georg, den Drachen lanzendurchbohrend [...]!° Einen ähnlichen Hang zur Detailisierung der Alltagsrealien, die nicht selten zur Bedeutung wichtiger Symbole erwachsen, bieten uns auch manche Gedichte von Rose Ausländer an. So erscheinen in ihrem Gedicht „Dorf in der Bukowina‘ charakteristische Kennzeichen der Lebensart eines ukrainischen Vorkarpatendorfes aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts: ein Schwalbennest unter dem Schindeldach, Trauerweiden am Flußufer, der Kahn an der Kette, vorbeifliegende Floße, das Morgenrotlied der Nachtigallen, süße Triller der Drossel und dunkler Ruf eines Kuckucks. Diese nostalgische Pastorale wird durch das nicht minder traumhafte, aber bereits personifizierte Bild eines Sommerabends ergänzt: Abendruh auf rohen Holzbänken Wortkarg die Alten Ein Jüngerer zog ukrainische Lieder aus der Harmonika.' Die grenzenlose Welt der buntschillernden Volksphantasie dominiert auch im Sonett Alfred Kittners „Irrer Bildner“, das dem ukrainischen Bildhauer Opanas Schewtschukiewitsch gewidmet ist. Werke von O. Schewtschukiewitsch sind vom Einfluß des deutschen Expressionismus spürbar gekennzeichnet. 34 Eine wichtige Rolle spielte dabei seine Freundschaft mit der deutschen Graphikerin Käthe Kollwitz, die ihn während seiner Studien an der Berliner Akademie der Künste in den 1920er Jahren eine zeitlang betreute. Seine Skulpturen sind gleichsam Bezähmung der Naturgewalten, Ausdruck der tiefsten mythologischen Vorstellungen mit Elementen der Volksdämonologie, die sich seit den uralten Zeiten insbesondere im Bewußtsein der Huzulen aufbewahrten. Der Dichter versucht in seinem Sonett den künstlerischen Prozeß wiederzugeben, in dem sich aus dunklen Impulsen des Unterbewußtseins allmählich eine zielgerichtete künstlerische Idee herauszubilden beginnt, und wie sie unter den Händen des begabten Meisters ihre einzigartige plastische Verkörperung bekommt: Nachtschwerem Schlaf entrangen sich die Mythen, Die heute seiner Hände Kundschaft sind; Geschöpfe und Gespenster wild erblühten Aus seiner Stille, die im Winterwind, Im harten Schatten knorrigen Geästes Viel Abenteuer in sein Horchen flochten; Dann formte er aus weichem Ton ein Festes, In dem die Adern seiner Träume pochten. Bis toll sich hinter seinen Kinderaugen Die heiße Welt zu sprödem Stein verwächst Und sein Gehirn die Früchte und die Blüten, Die schmerzend sich in sein Bewußtsein saugen, Zu fratzenhaften Meteoren hext, Um die sich seine Hände krampfhaft mühten.'? Ukrainische Volksmythologie mit der originellen Transformation historischer und religiöser Vorstellungen wohnt auch einigen Gedichten von Alfred Gong inne, wie z. B. dem Gedicht „Bukowina“, wo vor uns die Welt uralter huzulischer Volkssagen entsteht, die mit ihren Wurzeln in die Tiefe der Jahrhunderte, bis zu den heidnischen Zeiten und Bekenntnissen reichen. Der Dichter schildert diese Welt mit knappen, ausdrucksvollen Strichen, die das plastische Bild des altslawischen Seins mit der Wucht eines Roerich darstellen: Nördlich von den Karpaten wellten sich talwärts die Schafe unterm archaischen Mond. Huzulen ritten geduckt im Regen aus skythischen Pfeilen. Am Wegscheid Wolfslichter lauernd, der Satan mit lockender Fiedel."? Wie nun aus dem oben gesagten ersichtlich, zeichnet sich die Rezeption des ukrainischen nationalen Elements im Bewußtsein und im Werk der deutschsprachigen Dichter der Bukowina der Zwischenkriegszeit durch Ansehen und Gewogenheit, ein aufrichtiges Interesse für die Folklore, ethnographische Eigenart, für die Geschichte, Religion und Mentalität der Ukrainer aus. In dichterischem Wiedergeben und Modifizieren ethischer und ästhetischer Werte eines fremden Volkes dominiert jene Harmonie, die eine Widerspiegelung der gesellschaftlichen Übereinstimmung in sozialen und nationalen Beziehungen der Völkerschaften in der Bukowina war. Am schönsten äußerte diesen Zustand in einem ihrer Gedichte Rose Ausländer: