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Vier Sprachen Viersprachenlieder Menschen Die sich verstehn.'* Doch in den 1930er Jahren, mit dem Erwachen des großrumänischen Chauvinismus und besonders mit dem Anfang des Zweiten Weltkrieges, geht diese Harmonie in Brüche, und anstatt idyllischer Bilder und Gestalten, welche die ukrainische Welt in der Lyrik der deutschsprachigen Dichter der Bukowina charakterisierten, werden immer häufiger negative und destruktive Tendenzen sichtbar, die durch faschistische Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung der Bukowina in den ukrainischen Gebieten verursacht sind, so z.B. im sogenannten Transnistrien. Da die meisten deutschsprachigen Dichter der Bukowina jüdischer Herkunft waren, wird ihre Dichtung zum Ausdruck eines traumatisierten Bewußtseins des jüdischen Volkes, seiner Leiden und schweren Prüfungen. In den Gedichten, die in der ersten Hälfte der 1940er Jahre geschrieben sind, erscheint die ukrainische Topographie als eine phantasmagorische Dekoration, vor deren Hintergrund sich eine unheilvolle, barbarische Handlung entfaltet. Die Regisseure dieser Aufführung — deutsche SS-Leute und ihre rumänischen Helfershelfer — bringen dieses Mysterium zu den Maßstäben einer Massentragödie mit Tausenden unschuldiger Opfer. Charaktcristisch in dieser Ilinsicht ist das Gedicht von Alfred Kittner „Podoliens Erde“, das im Herbst 1943 im „Arbeitslager“ Obodowka (Gebiet Vinnitza) entstand und mit seinen grotesken Bildern diese schreckliche Szenerie fast dokumentarisch veranschaulicht: Die Winde wiegen die goldene Flut, Soweit meine Blicke reichen, Die Erde trägt gut: sie düngte das Blut Von Leichen, von Tausenden Leichen. Vorzeiten sind hier vorübergebraust Des Machno blutige Horden, Hier haben Petljuras Banden gehaust Mit Sengen, Schänden und Morden. Die Erde ist gnädig, sie deckte mild Die Toten, die sie verscharrten; Aus der Verwesung sproß üppig und wild Das Land, wie ein duftender Garten. [...] Die schwarze Erde trinkt bald unser Blut Und deckt die verstreuten Gebeine, Drum wächst auch im nächsten Jahr wiederum gut Der Weizen wohl in der Ukraine.'? Ähnliche Motive kommen auch im Werk der jüngeren Dichtergeneration der Bukowina vor, deren Jugend gerade in die stürmischen 1940er Jahre fiel und die Zeugen des Zusammenbruchs der humanistischen Illusionen ihrer Vorläufer wurden. In den Gedichten Paul Celans (,‚Winter“, „Schwarze Flocken“, „Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel...“, „Nähe der Gräber“)'° und Immanuel Weißglas‘ („Das Schneegrab“, „Himmelfahrt“, „Sieben Wochen am Bug“, „Ukrainisches Regenlied“, „Ukrainische Carmen“, „Trepak“, „Das Massengrab“, „Charon am Bug“)'” sind diese Motive ziemlich spürbar und provozieren historische Parallelen, die bereits im oben 39