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zitierten Gedicht A. Kittners angerührt worden waren und die heute nicht selten verschwiegen werden (z. B. Pogrome zur Zeit des Kosakenhetmans Bogdan Chmielnitzki im 17. oder nicht minder brutale Greueltaten der trunksüchtigen Scharen von Simon Petljura im 20. Jahrhundert). Doch das Manipulieren von der Geschichte hat noch niemandem Ehre gemacht, und die deutschsprachige Dichtung der Bukowina könnte heutzutage ein Objektivierungsfaktor der Vergangenheit sein, die eine lückenlose Palette nicht nur dokumentarischer, sondern auch ästhetischer Entdeckungen vorweisen sollte. Peter Rychlo, geboren 1950 in Szyszkivci bei Cernivci (Czernowitz), Studium der Germanistik mit Dissertation über Stephan Hermlin, seit 1989 Dozent am Lehrstuhl für Weltliteratur an der Universität Czernowitz. Neben zahlreichen Veröffentlichungen über die deutschsprachige Literatur der Bukowina und der DDR übersetzte Rychlo u. a. Werke von Else LaskerSchüler, Paul Celan, Rose Ausländer, Manes Sperber ins Ukrainische. Anmerkungen 1 Peter Rychlo: „Ukrainische Dichterschule“ in der österreichischen Literatur. In: Literaturoznavstvo i kulturologija. Cernivci: Ruta 1999. 2 Georg Drozdowski: Damals in Czernowitz und rundum. Erinnerungen eines Altösterreichers. Klagenfurt: Verlag der Kleinen Zeitung 1984. 3 Moses Rosenkranz. In: Literatur-Lexikon: Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. von Walther Killy. Gütersloh, München: Bertelsmann 1991, Bd.10, 16. 4 Blum Klara. Wir entscheiden alles! Gedichte. Moskau: Meshdunarodnaja kniga 1941, 23, 52-55. 5 Zhidong Yang: Klara Blum — Zhu Bailan (1904-1971). Leben und Werk einer österreichisch-chinesischen Schriftstellerin. Frankfurt/M., Berlin, Bern u. a.: Peter Lang 1996, 240. 6 Siehe: Faksimile in: Paul Celan: Meridian serzja. Poeziji. Pereklad i peredmova P. Rychla. Cernivci: Prut 1993. 7 Alfred Margul-Sperber. Ausgewählte Gedichte. — Bukarest: Literaturverlag 1968, 65. 8 Alfred Margul-Sperber: Das verzauberte Wort: Der poetische Nachlaß 1914-1965. Von Alfred Kittner besorgt. Bukarest: Jugendverlag 1969, 184. 9 Moses Rosenkranz: Bukowina. Gedichte 1920-1997. Zusammengestellt vom Verfasser unter Mitwirkung von Doris Rosenkranz und George Gutu. Mit einem Interview von Stefan Sienert und einem Essay von Hans Bergel. Mit sechs Gouachen von K. O. Gotz. Aachen: Rimbaud 1998, 35-36. 10 Georg Drozdowski: Der Steinmetzgarten. Gedichte. Wien: Bergland Verlag 1957, 35. 11 Rose Ausländer: Immer zurück zum Pruth: Ein Leben in Gedichten. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1989, 21. 12 Alfred Kittner: Gedichte. Geleitwort von Marianne Sora. Bukarest: Albatros Verlag 1973, 104-105. 13 Alfred Gong: Gnadenfrist. Gedichte. Baden bei Wien: Verlag G.Grasl 1980, 12. 14 Rose Ausländer: Immer zurück zum Pruth, wie Anm. 11, 54. 15 Alfred Kittner: Gedichte, wie Anm. 12, 176-177. 16 Paul Celan: Das Frühwerk. Hg. von Barbara Wiedemann. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 1989. 17 Immanuel Weißglas: Aschenzeit. Gesammelte Gedichte. Nachwort von Theo Buck. Aachen: Rimbaud 1994. In der Bukowina lebten vor 1918 mehrere Ethnien friedlicher als in anderen Teilen der Habsburger Monarchie zusammen. Ein wesentlicher Grund dafür war, daß keine Gruppe die andere dominieren konnte und es wenig soziale Konkurrenz gab. Die zahlenmäßig stärksten Gruppen der Ukrainer mit 38% (1910) und Rumänen mit 34% bestanden mehrheitlich aus Bauern, die sich aufgrund ihres orthodoxen Glaubens gegenseitig assimilierten. In den Städten lebten hauptsächlich Juden und Deutsche. Die österreichische Verwaltung der Bukowina setzte sich für den Ausbau der Schulen aller Bevölkerungsgruppen ein. Die Beamten mußten außer der deutschen Amtssprache auch mindestens eine landesübliche Sprache beherrschen. Seit 1910 gab es für den Landtag ein Wahlrecht, das eine ausgewogene Partizipation aller Bevölkerungsgruppen gewährleistete.! Im Kampf gegen diese Neuerungen bildete sich eine kleine Gruppe von Rumänen heraus, die besonders vehement gegen die Gleichberechtigung der Ukrainer auftrat und den österreichischen Behörden unterstellte, die „Slawisierung“ der Bukowina zu fördern. Zwar hatten diese Bildungsbürger um Ion Nistor vor 1918 keinen Sitz im Landtag oder Reichsrat erringen können, doch dafür verfügten sie über gute Kontakte in Rumänien. Daher konnten sie nach dem Einmarsch der rumänischen Armee in die Bukowina im November 1918 die gesamte Macht monopolisieren. Sie hielten alle politischen Kräfte, die einem bedingungslosen Anschluß an Großrumänien nicht zustimmen wollten, von der Anschlußze36 remonie fern. Unter den Ausgeschlossenen waren nicht nur die gewählten Vertreter der Ukrainer sondern auch die der jüdischen Bevölkerung. Alle politischen Strömungen der Juden hatten eine Garantie gefordert, daß die Bukowiner Juden ihre vollen Bürgerrechte in Rumänien beibehalten könnten, die sie im Habsburger Reich seit 1867 hatten.? Im folgenden soll dargestellt werden, wie sich das Konzept der „Rumänisierung‘“ zwischen 1918 und 1944 veränderte. Wer waren die Nutznießer der „Rumänisierung,,? Welche Folgen hatte die „Rumänisierung“ auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene? Um die Prozesse übersichtlicher zu gestalten, fasse ich sie in drei Phasen zusammen: die zwanziger Jahre, die dreißiger und die vierziger Jahre. Die hier zusammengetragenen Ergebnisse sammelte ich für meine Habilitationsschrift vor allem im Staatlichen Archiv Czernowitz, im Bukarester Nationalen Staatsarchiv und im Archiv des französischen Außenministeriums (Petitionen aus der Bukowina an den Völkerbund). Rumänisierung in den zwanziger Jahren Durch den Anschluß der Bukowina an Großrumänien Ende 1918 verschlechterte sich die Lage der Nichtrumänen, die in der Bukowina die Mehrheit der Bevölkerung stellten, radikal. Anfang der zwanziger Jahre erfolgten die Maßnahmen zur Rumänisierung auf Initiative einer Gruppe von national orientier