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„soziales Kapital“ ab, sondern bereits auf die Zurückdrängung ihrer Wirtschaftskraft. Obwohl dieser Angriff allen Minderheiten galt, wehrten sie sich nicht mehr gemeinsam wie in den zwanziger Jahren. Aufgrund der radikalen Flügel bei den Deutschen und bei den Ukrainern hatten deren Führer Vorbehalte, zusammen mit den Juden gegen die Diskriminierung aufzutreten. Der Einfluß der Rechtsradikalen war in der Gesellschaft noch größer, als ihr Stimmenanteil bei den Wahlen von Ende 1937 mit 25% signalisierte. Die Rechtsradikalen unter den Rumänen, Deutschen und Ukrainern waren sich zwar darin einig, daß „die Juden“ entmachtet werden müßten. Gleichzeitig befehdeten sich rechte Rumänen und rechte Ukrainer heftig gegenseitig, weil sie in der Bukowina homogene nationale Territorien auf Kosten der anderen Bevölkerung schaffen wollten. Die Regierung der Nationalliberalen und die folgenden autoritären Regierungen versuchten, den rumänischen Rechtsradikalen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie Maßnahmen zur „Rumänisierung“ der Wirtschaft gesetzlich verankerten. Die Betriebe wurden seit 1934 verpflichtet, einen bestimmten Anteil von Rumänen einzustellen. Viele umgingen diese Auflage durch Bestechung. Doch die Anzahl der Hochschulabsolventen besonders in den geisteswissenschäftlichen Fächern war anteilsmäßig höher als etwa in Frankreich und für ein schwach entwickeltes Land viel zu groß. Um die unzufriedene Jugend zu gewinnen, profilierten sich viele Politiker der einstigen Mitte mit immer radikaleren Ausschlußforderungen. Sie richteten sich vor allem gegen die Juden, doch in der Bukowina war auch die antiukrainische Stoßrichtung immer präsent. Die Theorie von der „Infiltration“ der Nichtrumänen diente nun der Legitimation rumänischer Sonderrechte in Wirtschaft und Verwaltung. Rumänisierung in den vierziger Jahren In den vierziger Jahren erfolgte der Umschlag von der Diskriminierung zur Gewaltpolitik und Vertreibung der Minderheiten. Der erste Schritt dazu war die Veränderung des rechtlichen Status vieler Nichtrumänen. Durch Dekrete der antisemitischen Goga-Cuza-Regierung, die auch in den Jahren der autoritären Königsherrschaft beibehalten wurden, verloren bis 1939 ein Drittel der Juden aus der Bukowina die Staatsbürgerschaft. Das bedeutete den Ausschluß von staatlichen Bildungseinrichtungen sowie die Einschränkung ihrer Eigentumsrechte wie zum Beispiel Läden und Häuser in ländlichen Gegenden.” Als infolge des Hitler-Stalin-Paktes und eines Ultimatums an Rumänien Ende Juni 1940 sowjetische Truppen die Nordbukowina besetzten, gab es dort aufgrund der sozialen Marginalisierung einige Juden und Ukrainer, die den Systemwechsel begrüßten. Doch die sowjetischen Behörden mißtrauten selbst den Bukowiner Linken: unter den nach Sibirien Deportierten waren nicht nur begüterte Juden und Zionisten sondern auch alle Führer des Jüdischen Arbeiterbundes. Dennoch propagierte die im September 1940 in Rumänien an die Macht gelangte Regierung von General Ion Antonescu und der faschistischen Eisernen Garde das Feindbild, daß besonders die Juden die Sowjetisierung der Bukowina und Bessarabiens unterstützen würden. Im Juli 1941 eroberte die rumänische Armee die Nordbukowina und begann einen gnadenlosen Massenmord an Tausenden Juden. Betroffen waren nicht nur Gebiete, die unter sowjetische Herrschaft geraten waren, sondern auch die Siidbukowina. An dieser Vernichtungsaktion waren auch Untereinheiten 38 der deutschen Einsatzgruppen D und C beteiligt. Die im August 1941 beginnende Vertreibung der Juden aus der Bukowina und Bessarabien in das gerade erst von den deutschen und rumänischen Truppen eroberte Gebiet zwischen Dnjestr und Bug, das von der rumänischen Militärverwaltung Transnistrien genannt wurde, beruhte auf einer rumänischen Initiative und stieß anfänglich auf Proteste von deutscher Seite. Wegen der Uneinigkeit zwischen den Bündnispartnern kamen mehrere Zehntausend Juden in provisorischen Sammellagern um, da keine Verpflegung bereitgestellt wurde.!! Die Häuser, Geschäfte und Fabriken der deportierten Juden verpachtete die Behörde für Rumänisierung an Rumänen. Nur in Czernowitz durften aufgrund des vehementen Einsatzes des damaligen Bürgermeisters Traian Popovici noch 15.000 Juden verbleiben, weil sie als vorerst unersetzlich für eine funktionierende Wirtschaft befunden worden waren. Von den über 50.000 aus der Bukowina deportierten Juden wurden viele schon auf dem Weg nach Transnistrien umgebracht, ein Drittel kam in Transnistrien durch Mangelkrankheiten und durch Erschießungen um.!? Rumänische Wissenschaftler hatten dem Staatschef Ion Antonescu Ende 1941 einen Plan vorgelegt, wie Rumänien im Verlauf des Krieges ethnisch homogenisiert werden könnte: 3,5 Millionen Nichtrumänen sollten vertrieben werden. Während Ungarn, Ukrainer, Serben und andere gegen Rumänen aus den Nachbarländern ausgetauscht werden sollten, bezeichnete der Chef der Statistischen Zentrale, Sabin Manuila, die Deportation der Juden und Roma in den Osten zynisch als „einseitigen Transfer, ,.'” In der Bukowina berechnete ein Mitarbeiter der Behörde für Rumänisierung bereits, wieviel Boden nach der Vertreibung der Ukrainer, Polen, Armenier und anderer für die Verteilung an rumänische Kriegshelden frei würde. Aufgrund der militärischen Niederlagen der deutschen und rumänischen Armee konnten diese Pläne nicht mehr umgesetzt werden. Sie sind heute in Rumänien kaum bekannt und einige derjenigen die sie kennen, halten sie für gerechtfertigt, weil sie noch immer ein ethnisch orientiertes Geschichtsbild vertreten. Rumänisierung statt Modernisierung Der rumänische Nationalismus transformierte sich bereits in der Zwischenkriegszeit von einem Mittel, das angeblich bezweckte die Modernisierung voranzubringen, zu einem ihrer größten Hindernisse. Trotz der sozialen Marginalisierung vieler Nichtrumänen konnte in der Bukowina und anderswo keine rumänische Mittelschicht geschaffen werden. Daß sich die Rumänen um Ion Nistor 1922 der Nationalliberalen Partei angeschlossen hatten, lag vor allem an einem gemeinsamen Programmpunkt: die Unternehmen der Rumänen sollten vorrangig gefördert werden. Doch während die Bukarester Führer der Nationalliberalen Partei die Industrialisierung forcieren wollten und daher bis Mitte der dreißiger Jahre punktuell auch mit jüdischen Unternehmern kooperierten, lag der Akzent des Bukowiner Parteiflügels bei der Förderung rumänischer Projekte. Nistor, der beschwörend über zwanzig Jahre lang die Beseitigung der Spuren der österreichischen Herrschaft propagierte, strebte keine differenzierte moderne Gesellschaft an. Sein Konzept läßt sich eher unter das fassen, was Ethnologen „Nativismus“ nennen: ein Zurück zu einem urtümlichen Zustand. Würden sich heute nicht alle Historiker in Rumänien auf Nistors „Geschichte der Bukowina“ berufen, könnte man seine Schriften als wissenschaftlich nicht haltbar ad acta legen. Ob