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Einen Czernowitz-Rundgang beginnt man am besten am Theaterplatz, vor zwei wichtigen Institutionen des alten Czernowitz, dem ehemaligen ,,Jiidischen Haus“ aus dem Jahre 1908 und dem von Helmer & Fellner geplanten Stadttheater. Ein paar Schritte weiter der Zentralplatz, den das kürzlich blau gestrichene Rathaus mit seinem mächtigen Turm dominiert. Von hier empfiehlt es sich, den Weg durch die von repräsentativen Bauten aus der vergangenen Jahrhundertwende gesäumte Kobyljanska-Straße fortzusetzen. Renaissance, Klassik und Jugendstil, nichts anderes hat man erwartet. Doch kurz vor Ende dieser heute zur Fußgängerzone bestimmten Straße wartet auf aufmerksame Betrachter eine architektonische Überraschung. Spitze Torbögen im Erdgeschoß, oben die Fenster ohne Gesimse, Erker, Fachwerkelemente zieren den steilen _ Dachvorsprung. An allem nagt der Zahn der Zeit. Die Tünche aus der Sowjetära hält nur noch lückenhaft. Kein Zweifel: „Casa Germana“ und, eine Zeile tiefer, „Deutsches Haus“ steht über dem Eingang. Zwischen den Wörtern in kantiger Fraktur die schwachen Umrisse eines Rittersmannes. Durch das weite Tor und den nach 1945 — als Zugang zu den Wohnungen — gebauten Stiegenaufgang gelangt man hinauf vor eine mittelalterlich anmutende, mit einem mächtigen Schloß versehene, massive Holztür. Dahinter verbirgt sich nicht nur die Wohnung von Frau Klaudija Wassiljewna, die 1943 aus der Umgebung von Leningrad ins Deutsche Reich zur Zwangsarbeit verschleppt wurde, sondern auch das ehemalige Lokal des Geselligkeits- und Kulturvereines Schlaraffia. Der Saal ist in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben, jedoch heute bar der von Georg Drozdowski, SchlaraffiaMitglied seit 1923, erinnerten mächtigen Eichentische und Stühle, die auch zu seinem altdeutschen Gepräge beigetragen haben sollen. Bis vor nicht allzu langer Zeit befand sich hier das Archiv der Czernowitzer Medizinischen Akademie. Weil die Stadt aber in jüngster Zeit die Bedeutung des Kulturtourismus erkennt, konnte mit Unterstützung aus Österreich und Deutschland der Saal renoviert und als Drozdowski-Saal eingerichtet werden. Georg Drozdowski (1899-1987) lebte nach 1945 in Klagenfurt und wurde bekannt durch eine Fülle von Gedicht- und Erzählbändchen, aber auch durch Stücke für Radio und Theater. Der in Czernowitz geborene Offizierssohn besuchte die deutschen Parallelklassen des Ruthenischen II. k.k. Staatsgymnasiums, maturierte in Wien und rückte dann im Ersten Weltkrieg ein. Nach einigen Jahren in Wien kehrte Drozdowski Anfang der Zwanzigerjahre nach Czernowitz zurück. Neben seinem Beruf als Bankangestellter widmete er sich der Dichtung, war Dramaturg und Schauspieler, und trat journalistisch mit Theaterkritiken bei der „Czernowitzer Allgemeinen Zeitung“ in Erscheinung. In diesem vielleicht wichtigsten deutschsprachigen Blatt der Bukowina und in der „Czernowitzer Deutschen Tagespost“ erschienen außerdem zahlreiche humorvolle Erzählungen. Gehör verschaffte sich der Förderer des Schisports auch mit einem im Selbstverlag 1934 gedruck40 ten Gedichtband und Abdrucken im „Deutschen Kalender für die Bukowina“.? In den von Franz Lang und Alfred Klug 1932 herausgegebenen „Buchenblätter. Jahrbuch für deutsche Literaturbestrebungen in der Bukowina“ ist Drozdowski mit der phantastischen Erzählung „Der Ring mit dem Opal“ und mehreren Gedichten vertreten. In seinen Erinnerungen vergißt der Dichter nicht darauf, immer wieder anklingen zu lassen, daß er zu den „besseren Leuten“ in der Czernowitzer Gesellschaft zählte. Und er macht uns quasi zum Beweis dafür mit der Schlaraffia im „Deutschen Haus“ vertraut. „Sie war ihrem Wesen nach als exklusiv anzusprechen, weil die Zugehörigkeit erst nach strenger Auswahl erworben wurde.“ Ein Männerbund, der an manchen Abenden auch Damen lud, mit dreifacher Zielsetzung: Humor, Freundschaft, Kunst. „Chöre, Vorträge, Schmuspausen reihten sich aneinander, und die Angehörigen verschiedener Nationen fanden sich in der deutschen Sprache und im Schlaraffenlatein ... Wir waren ein Herz und eine Seele — Deutsche, Rumänen, Juden, Polen, Ungarn und Ruthenen, und eine Zeitlang gehörte uns auch ein Armenier an.“* Die Schlaraffia war im Czernowitz der Zwischenkriegszeit bereits eine etablierte Institution. Schon am 19. Mai 1882 hatte das Amt des k.k. Landespräsidenten die „Schlaraffia Czernovicia“ zu gründen erlaubt. In den vom dreiköpfigen Gründungskomitee (zwei Musiker und der Universitätsquästor Heinrich Lagler) vorgelegten Statuten wurden die Geselligkeit und die Pflege von Musik, Dichtung und bildender Kunst als Vereinszwecke genannt. Gespräche über Politik und Religion und das Kartenspiel waren Tabu. Hoffnung auf Aufnahme konnten sich unbescholtene Männer machen, die neben der Aufnahmegebühr monatliche Beiträge zu leisten im Stande waren.” Da es für die Mitgliedschaft keine weiteren Einschränkungen gab, stellte höchstens die im Verein verwendete deutsche Sprache eine zusätzliche Hürde dar. Deutsch war aber, abgesehen von den Deutschkenntnissen weiter Teile der Bevölkerung mit anderer Muttersprache, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits für fast 50 Prozent der Czernowitzer Bevölkerung die Umgangssprache.® Neben den Familien der Beamten, der Armeeangehörigen und anderer aus dem deutschsprachigen Westen zugezogener Siedler, Handwerker, Bauern, Geschäftsleute, handelte es sich vor allem um jüdische Familien, die sich damals zur Verbesserung ihrer beruflichen Chancen und auch aus Überzeugung an die deutsche Kultur assimilierten.’ Dies erklart, warum vor allem das deutschsprachige Biirgertum in kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Belangen sehr friih zusammenarbeitete. Im Jahre 1859 wurde der „Czernowitzer Gesangsverein“ gegründet, 1862 entstand der „Verein zur Förderung der Tonkunst in der Bukowina“, kaum später der „Schubertbund“.® Eine weitere Gemeinschaftseinrichtung war der 1884 gegründete Theaterverein.” Was es an deutscher Dichtung von Autoren veschiedener ethnischer und geographischer Herkunft in der Bukowina Neues gab, zeigen