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Was der rumänischen Verwaltung innerhalb zweieinhalb Jahrzehnten ihrer Herrschaft trotz eifrigen Bemühens um die Romanisierung dieses Gebietes nicht gelungen war, nämlich der Stadt und ihrer geographischen Umwelt den Charakter einer österreichischen Provinz zu nehmen, das vollbrachten die Sowjets im Handumdrehen. Nachdem sie im Juni 1940 aufgrund des Ribbentrop-Molotow-Paktes in Czernowitz einmarschierten, erschienen keinerlei deutsche Publikationen mehr in der Stadt, auch in den Schulen verschwand Deutsch selbst als Fremdsprache vom Unterrichtsplan. Wir mussten uns anstrengen, von heute auf morgen, gleich zwei den meisten von uns unbekannte Sprachen, Ukrainisch und Russisch, dazu noch im kyrillischen Alphabet, zu erlernen. Natürlich pflegten wir in privatem Kreise nach wie vor unsere deutsche Muttersprache und gaben uns Mühe, sie auch unsere Jüngsten nicht vergessen zu lassen. Ich besuchte 1940/41 das Konservatorium und hatte gleichzeitig eine Stelle als Musikpädagogin in Kindergärten. Da ein Großteil der Kinder nicht aus dem Inneren der Sowjetunion stammte und zuhause Deutsch sprach, bestand mein damaliger Freund Paul Antschel, der später berühmte Lyriker Paul Celan, darauf, dass ich für die Weihnachtsfeier mit allen Kindern auch ein Lied in deutscher Sprache einstudiere. Dies nur als Beispiel wie sehr ihm, ja uns allen, angesichts der Russifizierungstendenzen der Sowjets die Pflege der deutschen Sprache am Herzen lag. Selbst diejenigen Bukowiner Juden, die 1941 von den Sowjets nach Sibirien deportiert wurden oder vor den Hitlertruppen bis nach Usbekistan oder Georgien flüchteten, sprachen untereinander weiterhin Deutsch. Alfred Kittner und Immanuel Weißglas schrieben in den Todeslagern von Transnistrien deutsche Gedichte. Celan und Weißglas assoziierten voller Bitterkeit den Begriff Heimat mit Fremde, und Rose Ausländer, die sich wie die beiden nur in der deutschen Sprache beheimatet empfand, prägte sogar den Begriff „Mutterland‘ statt Vaterland. Aber nicht bloß Paul Celan und Rose Ausländer, die beiden im Westen zu Ruhm und Ehren gelangten Vertreter der Bukowiner Dichtung, hielten trotz schlimmster Erfahrungen ihrer deutschen Muttersprache die Treue, sondern auch die nach Israel ausgewanderten, weniger prominenten Czernowitzer Lyriker wie Manfred Winkler und Else Keren schrieben dort weiterhin deutsche Gedichte, und Dorothea Sella veröffentlichte unter dem Titel „Der Ring des Prometheus“ die Odyssee ihrer Flucht durch die von den Hitlertruppen versehrte Sowjetunion noch 1997 in Jerusalem ebenfalls in deutscher Sprache. Als ich im Jahre 1987 auf der Jerusalemer Universität am Skopus Berg einen Vortrag über meinen Jugendfreund Paul Celan hielt, kam es zu rührenden Begegnungen mit Landsleuten, die ich fast ein halbes Jahrhundert nicht mehr gesehen hatte. Martha Bickel, eine ehemalige Bekannte, die wie viele jüdische Studenten im Sommer 1941 beim Abzug der russischen Truppen ins Innere der Sowjetunion geflüchtet war, erst sehr spät in ihre Heimat zurückkehren konnte und in den siebziger Jahren schließlich nach Israel emigrierte, wo sie eine Stelle als Dozentin an der germanistischen Fakultät erhielt, erzählte mir folgendes: Ehe sie Czernowitz endgültig verließ, machte sie mit Freunden einen Ausflug in ein kleines entlegenes Dorf in den Karpaten. Vor einer Kate saß eine uralte ruthenische Bäuerin mit ihrem Spinnrocken. Als sie die jungen Leute Deutsch sprechen hörte, fragte sie, woher sie kämen und erklärte in nostalgischem Ton, sie hätte in der Kindheit auch Deutsch gelernt und begann Strophe um Strophe aus Schillers „Lied von der Glo Edith Silbermann, 1939. Aus: Edith Silbermann, Begegnung mit Paul Celan. Verlag Rimbaud, Aachen 1995 cke‘ herunterzuleiern. Dies führte meine Bekannte als Beweis dafür an, wie nachhaltig die österreichische Kultur nicht bloß die jüdische, sondern die gesamte Bevölkerung der Bukowina geprägt habe. In Tel Aviv erscheint bis heute „Die Stimme“, das deutschsprachige Organ der buchenländischen Landsmannschaft und wird auch in Deutschland, Österreich und den Vereinigten Staaten von Bukowiner Juden abonniert und gelesen. Die wenigen überlebenden und nach dem Zweiten Weltkrieg in alle Winde verstreuten Bukowiner Juden, die heute in Amerika und Kanada lebenn, sprechen untereinander und mit den Kindern nach wie vor deutsch. Die Begüterten unter ihnen treffen sich einmal im Jahr in Florida, wo die Festreden natürlich in deutscher Sprache gehalten werden. Die Heimat selbst ist endgültig der „Geschichtslosigkeit“ anheim gefallen, wie Paul Celan es formulierte, dort gibt es kaum noch deutsch sprechende gebürtige Czernowitzer Juden. Herr Zwilling, einer der „letzten Mohikaner“, mit dem westdeutsche Besucher aufschlussreiche Gespräche führen konnten, ist kürzlich verstorben, und die bis ins hohe Alter erstaunlich rege Rosa Zuckermann ist auch schon über neunzig. Dozenten der germanistischen Fakultät der nunmehr ukrainischen Universität bemühen sich zwar, die Erinnerung an die deutschsprachigen Dichter der Bukowina warm zu halten, es werden Gedenktafeln an deren Geburts- und Wohnhäusern angebracht, Übersetzungen ihrer Werke veröffentlicht, doch all dies hat musealen Charakter, eine deutsche Kulturlandschaft gibt es in der Bukowina nicht mehr. Edith Silbermann, geb. in Czernowiitz, Studium der Germanistik in Bukarest, dort Studienrätin, Übersetzerin und Schauspielerin, lebt seit 1964 als Dozentin der Volkshochschule und literarische Übersetzerin in Düsseldorf, Publikationen über Paul Celan, mit dem sie seit früher Kindheit eng befreundet war. (U.a. „Begegnungen mit Paul Celan“, Aachen: Rimbeaud 1995, dem wir das Foto entnommen haben.) 45