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1. Deutsch in Czernowitz: Paul Antschel „(...) trist poet de limbä teutonä“! — trauriger Dichter teutonischer Sprache: Der sich und seine — wirklich seine? — Sprache so bewertete („teuton“ vibriert von historisch aufgeladenen Negativkonnotationen), wurde 1920 in Czernowitz (Cernäuti) geboren, der Hauptstadt der ehemals österreichischen Bukowina, mit Kriegsende 1918 Rumänien zugefallen. Für die jüdische Bevölkerung, der Paul Celan, mit eigentlichem Namen Antschel, angehörte und die in der Bukowina die drittstärkste Nationalität stellte, in Czernowitz jedoch — Zeichen ihres Urbanisierungsgrades — fast die Hälfte der Einwohnerschaft?, hatten die 1920 in Trianon abgeschlossenen Verträge sozialpsychologische und sprachliche Konsequenzen. Die von G. Kremnitz an Westeuropa entwickelten Begriffe von realem und virtuellem Zentrum — „das soll heißen, daß sich dort, wo sich ein Zentrum herausbildet oder expandiert, Gegenzentren aufrichten, die letztlich dieselbe soziale und staatliche Konzeption repräsentieren, nämlich den Zentralismus“” - gilt ebenso für Czernowitz zwischen Bukarest und Wien. Nur wäre im konkreten Falle Celans ein fiktives Zentrum nachzutragen, das mit Errichtung des Eisernen Vorhangs erst Wien, dann Bukarest zu einem Wort-Ort, auratisch besetzt, werden läßt, weniger eine geographische denn eine intellektuelle Topographie. „Das Erreichbare, fern genug, das zu Erreichende hieß Wien“, heißt es in der Ansprache Celans anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen von 1958. „Sie wissen, wie es dann durch Jahre auch um diese Erreichbarkeit bestellt war.“ Warum kurz darauf Bukarest an die Stelle der österreichischen Kapitale tritt, soll das Folgende klären helfen. Zu fragen ist dabei nach dem Prestige (dem sog. fiktiven Status) des Deutschen im Kontakt mit anderen Sprachen 1.) in der Bukowina, seit 1848 autonomes Kronland, das seine Interessensvertreter direkt nach Wien schickt; 2.) in Großrumänien 1918-40, das auf französischem Druck — gemeint ist das jus soli — auch dem jüdischen Bevölkerungsanteil den Minderheitenstatus zugesteht’; 3.) im Bukarest der Jahre 1945-47, dessen Vorkriegsfama als „Paris des Ostens“ oder „Klein Paris“ noch einmal in einem spezifischen Lebensstil aufblitzt, der auch sprachlich zu Buche schlägt. „Prächtig liegt die freundliche Stadt auf ragender Höhe. Wer da einfährt, dem ist seltsam zu Muthe: er ist plötzlich wieder im Westen, wo Bildung, Gesittung und weißes Tischtuch zu finden. Und will er wissen, wer dies Wunder vollbracht, so lausche er der Sprache der Bewohner: sie ist die deutsche.‘ „Bleibt nicht zuletzt von den Juden zu erzählen, die an der Bevölkerung großen Anteil hatten, in der Stadt vor allem. Auf den Dörfern waren sie zumeist Schankwirte oder Grundpächter. Ihnen war es eigentlich zu danken, daß die Stadt bis knapp vor Torschluß — das Wort sagt viel und hat für viele bittere Bedeutung — ihren deutschsprachigen Charakter bewahrte. (...) Ohne die jüdischen Ärzte, Advokaten, Kaufleute und Industriellen wäre ein deutscher Theater- und Kulturbetrieb kaum 46 möglich gewesen. Für Gastspiele und Konzerte hätte die finanzielle Basis gefehlt.‘“® Zäh hält sich ein Mythos, der die zivilisatorischen Errungenschaften der Bukowina und vor allem ihrer Landeshauptstadt jenen zuschreibt, die sich konsensuell im Zeichen der deutschen Sprache trafen: allen voran den Juden. Nicht hinterfragt wird dabei der soziale, oft mit dem nationalen deckungsgleiche Status der Sprecher, hier im ersten Fall der des Maskil der Haskala, der jüdischen Aufklärung, Karl Emil Franzos (1848-1904), dann der des „Altösterreichers‘“ Georg Drozdowski (1899-1984). Aus zionistischer Perspektive erinnert Hermann Sternberg zum einen daran, daß die Anfänge der Habsburger Herrschaft in der Bukowina sehr wohl antisemitisch geprägt waren — der Chef der ersten Militärverwaltung Karl Freiherr von Enzenberg zielte mit allen administrativen Mitteln auf eine „Nullifizierung des jüdischen Elementes‘® -; zum anderen weist er den „unversöhnliche(n) Kampf der Zionisten gegen die Träger der Assimilationsidee‘“ ungewollt als Klassenreflex aus: ,,(...) der Zionismus war damals mehr ein Akt der Wohltätigkeit für arme Juden, die man gerne weghaben wollte, als die zukunftsreiche Nationalbewegung.“!” Seit 1848, vor allem aber seit dem Staatsgrundgesetz vom 21.12. 1867, das die fast völlige Gleichberechtigung mit den christlichen Untertanen vollzog'', erwuchs aus der „Spaltung zwischen der traditionell bäuerlichen Gesellschaft der Provinz und der neuen städtisch-kapitalistischen Ordnung mitteleuropäischer Prägung in der Landeshauptstadt Czernowitz‘“ die Kohabitation einer kolonisierenden Oberschicht und einer zu kolonisierenden Unterschicht”: religiös als Gegensatz zwischen säkularisierten Maskilim (Gebildeten) und orthodoxmystischen Chassidim,!” ökonomisch zwischen jüdischem Bürgertum und jiddischem Proletariat, ethnisch zwischen „österreichischen Juden“, Ruthenen, d. h. unierten Ukrainern, und rumänischer wie deutscher Landbevölkerung, sprachlich schließlich zwischen dominierendem Deutsch (H) und domänenspezifischem Gebrauch (L) des Polnischen, Jiddischen, Armenischen oder Romanes. Das Staatsgrundgesetz, verabschiedet im Jahr des „Ausgleichs,, gegen die drohende Magyarisierung in der ungarischen Reichshälfte, sanktionierte die Kooffizialität des Deutschen, Rumänischen und Ukrainischen (Ruthenischen), nicht aber die der übrigen Sprachen. In Czernowitz, das keine absolute Mehrheitsnation zählte, setzte sich bei mehr als 20 % Deutschsprechenden!* und einem danach ausgerichteten Bildungswesen'® das Deutsche als „Lingua franca“ auch zwischen Rumänen und Ruthenen durch.'® Eine Schlüsselfunktion nahm hier die 1875 gegründete Franz-Josephs-Universität ein. Ihr Lehrbetrieb war ausschließlich deutsch. Die Haltung des damaligen Unterrichtsministers Karl von Stremayr, es könne nur von Vorteil sein, „sich mittels einer fremden Sprache (also der deutschen) einen höheren Grad wissenschaftlicher Ausbildung zu verschaffen, als umgekehrt durch den Gebrauch der nationalen Sprache unter das Niveau der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung zurückzugehen“'”, wirft ein helles Licht auf die latent voluntaristische Sprachpolitik Habsburgs.