In seiner berüchtigten Rede vor SS-Veteranen in Krumpendorf
(Kärnten) am 30. September 1995 sprach der heutige Kärntner
Landeshauptmann Dr. Jörg Haider unter anderem von der „gei¬
stigen Überlegenheit“, die die SS-Veteranen und ihre Freunde
sich all die Zeit bewahrt hätten. Auf diese vielleicht schlimm¬
ste Stelle einer an schlimmen Stellen nicht eben armen Rede,
wird gewöhnlich wenig Bezug genommen. „Geistige Überle¬
genheit“ klingt nicht nach nationalsozialistischer Wiederbetäti¬
gung. Es ist indes nicht ohne Interesse daran zu erinnern, daß
die „Überlegenheit der nationalsozialistischen Weltanschau¬
ung‘ seinerzeit durch die brutale Mißachtung und Denunzie¬
rung Andersdenkender vorbereitet und durch Vertreibung,
Folter und Mord durchgesetzt wurde.
In ihrem berührenden Buch „Poetische Zeugnisse. Gedichte
aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück 1939 —
1945“ (Stuttgart 2000) schildert Constanze Jaiser, wie die
weiblichen Häftlinge dieses Lagers Gedichte und Lieder, die
sie aus dem Gedächtnis notiert hatten oder die im Lager erst
entstanden waren, verstecken mußten: „Um Strafen zu entge¬
hen, versteckten sie die Schätze sorgsam: Papierstreifen mit
Gedichten trugen sie in ihren Holzschuhen oder Strumpf¬
bändern, oder sie versteckten sie unter der Barackendecke, wo
die Aufseherinnen selten kontrollierten.“
Du gehst in den Tiegel als Mensch hinein,
Als Sache kommst du mit einer Nummer heraus —
schließt ein Gedicht der 1945 in Ravensbrück an Entkräftung
gestorbenen Polin Maria Kociubska, und hätte eine Vertreterin
der „geistigen Überlegenheit“, eine SS-Wärterin das Gedicht
entdeckt, hätte sie es zusammen mit seiner Verfasserin in den
Dreck getreten.
Seit die Partei der „geistigen Überlegenheit“ in Österreich
an der Regierung ist, wurden ungezählte Lesungen von „Wi¬
derstandsliteratur‘“ veranstaltet und auch etliche Bücher und
Broschüren verlegt, die den Widerstand der Literatur zum Aus¬
druck bringen sollen. Bei der Demonstration am 4. Februar
2001, dem ersten Jahrestag der Vereidigung der Koalitions¬
regierung aus FPÖ und ÖVP, wurden die Anwesenden in ei¬
nem kurzen satirisch-humoristischen Gedicht aufgefordert, auf
die Regierung wie auf alles Widerwärtige in dem Land zu
scheißen. Das Gedicht bestand eigentlich nur aus dieser wie¬
derholten Aufforderung.
„Scheiß drauf“, ist umgangssprachlich die nette Aufforde¬
rung, eine unangenehme Sache nicht allzu ernst zu nehmen.
Auf etwas oder jemanden scheißen zu können, ist aber auch
Ausdruck einer kindlich anmutenden Machtphantasie, der in
der Phantasie erfüllte Wunsch, dieses Widerwärtige zu be¬
schmutzen, niederzuwerfen, in den Dreck zu treten. Der Vor¬
satz, es auf die leichte Schulter zu nehmen (weil man es
ohnehin nicht ändern kann), und die zugleich artikulierte
Machtphantasie widersprechen einander. Die Machtphantasie
des „darauf Scheißens‘ nährt sich aus einem bitteren Gefühl
der Ohnmacht, über das in Wahrheit nicht so leicht hinweg¬
zukommen ist. Sie reproduziert sich aus dieser Erfahrung im¬
mer von neuem, ohne gegen den Zustand der Ohnmacht
etwas unternehmen, also Widerstand leisten zu können, wor¬
auf ja mit dem „Scheiß drauf“ ohnehin verzichtet wurde. Man
hat sich früher sehr stark mit Österreich, seiner Geschichte
und Kultur identifiziert, ist nun durch die politische
Entwicklung, die das Land genommen hat, narzißtisch ge¬
kränkt und sucht sich dem durch eine rasche und globale
Distanzierung zu entwinden.
Über narzißtische Kränkungen wird man nicht hinweg¬
kommen, indem man sie sich verbietet. Aber ein Gedicht, das
fünftausend ZuhörerInnen vorgetragen wird, sollte der nar¬
zißtischen Kränkung nicht nur sonoren Ausdruck verleihen,
sondern sie in einen Zusammenhang stellen, aus ihrer Isolation
herausführen, ihre Ursachen benennen, so schwer das sein
mag. Das Bertolt Brecht-Prinzip „Gib das Billigste her“ ist hier
verfehlt. (Wer Brechts Exil- und Widerstands-Gedichte kennt,
wird anerkennen müssen, daß Brecht in ihnen vielmehr sein
Bestes, sein ‚Teuerstes’ gegeben hat.) In einem anderen Zusam¬
menhang hat uns der Dichter Michael Guttenbrunner, der 1944
von einem deutschen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und
dann „zur Frontbewährung“ bei einer Strafeinheit begnadigt
wurde, geschrieben:
Gesinnungsgenossenschaft wird dem Kunsturteil immer
wieder gefährlich, weil wir gelten lassen, was nicht gut ist. So
begeht ja auch ein Autor oder ein Skribent, der ausschließlich
für die Erniedrigten und Beleidigten die Saiten der Leier rührt,
aber schlecht singt, ein Unrecht, weil er mich hindert, ihn zu
kritisieren und seine „Gedichte“ abzuweisen.
Eine Literatur, die nicht bloß auf Widerstand macht, sondern
sich an ihm beteiligt, wird sich auch nicht darauf berufen kön¬
nen, daß Literatur kraft ihrer gesellschaftlich institutionali¬
sierten Autonomie an sich in einem Widerspruch zum
Konformismus der Warenwelt, der Mittel-Zweck-Relationen
und aller darin nistenden Sauberfrauen und -männer stehe und
damit schon eine Form von Widerstand sei.
Wir befinden uns in Österreich in einer Phase der ‚Norma¬
lisierung’, d.h. der Gewöhnung und Abstumpfung. Der erste
Zorn über die Beteiligung der Partei der „geistigen Überlegen¬
heit‘ an einer demokratischen Regierung hat diese nicht hin¬
weggefegt. Das Ritual der Donnerstagsdemonstrationen läuft
Gefahr, sich in eine Art Stadtfolklore zu verwandeln, deren
Kriterium nicht mehr ein erreichbares politisches Ziel, sondern
ein unbestimmtes Wohlbehagen des Dabeiseins ist. Anstelle
der „Zivilgesellschaft“ macht sich zwischen den Polen fami¬
liärer Privatheit und reiner Kunst eine „Bürgergesellschaft“
breit, die heute vor allem die Bildungseinrichtungen, die
Universitäten und die medizinische Versorgung mit ihrem auf
„Service orientierten“ Gattungsleben bedroht. Beim Franz
Kain Kolloquium im Oktober 2001 in Innsbruck werden wir
über das Thema der Ohnmacht in der Literatur sprechen. So
aktuell hätte es gar nicht sein müssen.
Konstantin Kaiser
Verleihung des Theodor Kramer Preises an
Stella Rotenberg
Da Stella Rotenberg erkrankt war, mußte der Termin auf den Montag,
23. April 2001, 19 Uhr 30 verschoben werden. Ort, wie schon be¬
kanntgegeben: ESRA, 1020 Wien, Tempelgasse 5. Einladungen werden
noch ausgesandt.
Am 26. Februar, 20 Uhr, findet bzw. fand in der Österreichischen
Gesellschaft für Literatur, 1010 Wien, Herrengasse 5, die Präsentation
des vorliegenden Shanghai-Schwerpunktheftes von ZW statt. (Davor
am selben Ort ab 17 Uhr 30, die ordentliche Generalversammlung des
Vereins Theodor Kramer Gesellschaft).