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geben war. Dieses Thema tauchte in vielen Variationen in unseren Gesprächen auf, Erinnerungen an die Kindheit nehmen in Elisabeth Freundlichs Autobiografie „Die fahrenden Jahre“ breiten Raum ein, und im belletristischen Werk ist eigenständige politische Courage beispielsweise stets ans Geliebtwerden und die Liebesfähigkeit der Figuren gekoppelt. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist Elisabeth Freundlich acht Jahre alt, das Geschehen hauptsächlich mit Schulfeiern zum Siege der k.u.k.-Armee verbunden, wo sie als Rezitatorin von Heldengedichten sehr gefragt ist. Die Erzählungen ihres Vaters, der im November 1917 verwundet heimkehrte, hätten dann wohl den ersten Keim für ihre pazifistische Überzeugung gelegt - meinte sie rückblickend. Einige der Lehrer im Realgymnasium, derer Elisabeth Freundlich in der Autobiografie liebevoll gedenkt, bestimmte Bücher werden das Ihre dazu getan haben. Doch das Interesse an der Politik und ihr Pazifismus blieben im Vergleich zur Passion fürs Theater äußerst zarte Pflänzchen. Sie studierte Germanistik und Theaterwissenschaft, hospitierte als Dramaturgin und dissertierte über „Clemens Brentano und die Bühne“, wobei sie anhand seiner Regieanweisungen seine angebliche Bühnenfremdheit widerlegte. „Dazu war ich ja berüfen“, spottete sie, ihre eigenen Regieversuche seien nämlich entsetzlich gewesen. So habe sie beispielsweise Grillparzers Komödie „‚Weh dem, der lügt‘ mit der Musik Bartoks in Szene gesetzt... 1934 wird Elisabeth Freundlichs Vater — unter haltlosen Anschuldigungen — von den Austrofaschisten verhaftet: das ist Auslöser ihrer Politisierung, ihres antifaschistischen und pazifistischen Engagements. Ihre Erinnerungen daran waren jedoch sehr blaß, sie meinte, das meiste habe sie vergessen. Ich konnte mir das nicht vorstellen und bohrte öfters nach. „Weißt du“, erklärte sie mir, „was dann kam, war soviel prägender und soviel bedrohlicher, daß einem alles, was vorher gewesen war, plötzlich unwichtig vorkam.“ Das ist einleuchtend, ebenso bedeutsam erscheint mir aber, daß lange Zeit nicht einmal Interesse für das bestand, was danach kam und was „prägender“ war. Daß die Rückkehr Elisabeth Freundlichs nach Österreich zu keiner Heimkehr wurde, oder eben erst so spät, daß davor mindestens fünfundzwanzig Jahre der Ausgrenzung lagen. Eine lange Zeit der Bitternis und Einsamkeit. Ich bin nach jenem grauen Samstag noch oft nach Wien gefahren und nach vielen unserer Gespräche dachte ich wütend und traurig zugleich: Wenn ich sie nur früher kennengelernt hätte! Denn auch was die Zeit des Exils betraf, ließ das Gedächtnis sie manchmal im Stich. Viele Szenen hatte sie aber noch bis ins Detail vor Augen, konnte sie unglaublich witzig auf mehrere Rollen verteilt erzählen. Vor allem gab es über die Aktivitäten im Exil schriftliche Dokumente, die ihre Erinnerung anregten. Ihrem vielseitigen Wirken im Exil auch nur ansatzweise gerecht zu werden, ist hier nicht genügend Raum. Die Stationen sind bekannt: unmittelbar nach der Annexion Österreichs durch die Hitlertruppen flieht sie mit ihren Eltern über Zürich nach Paris, wo sie mit Arpad Haas, Emil Alphons Reinhardt und Conrad H. Lester die ,,Ligue de |’ Autriche vivante“ gründet. 1940 Weiterflucht nach Siidfrankreich, von wo sie mit einem Notvisum nach New York entkommen, wo Elisabeth Freundlich fiir die Kulturbeilage der ,,Austro American Tribune“ zustiandig ist. Die kulturpolitische Arbeit kann die materielle Existenz natürlich nicht sichern, so schlägt sie sich anfänglich mit Vorträgen an den Theaterdepartments von Colleges durch, macht dann noch die Ausbildung zum Librarian, wird Sachbearbeiterin am Metropolitan Museum of Arts. Und beginnt zu schreiben. „Invasion Day“ entsteht, eine Erzählung, die 1944 spielt, dem Zeitpunkt der Landung der Alliierten in Nordfrankreich. Dieses Ereignis löst in der Protagonistin vielschichtige Erinnerungen aus, die schließlich den Entschluß zur Rückkehr in die Heimat bewirken, obwohl dies die Aufgabe einer gesicherten, ruhigen Existenz bedeutet. Invasion Day“ wurde 1948 im Werner Wulff Verlag in Überlingen publiziert. Aber wie viele kleine Verlage ging er im Zuge der Währungsreform unter. (Ein Ausschnitt aus dem Buch, „Paris, am Rande der Spanischen Republik“, wurde in MdZ Nr. 3/1992 wieder abgedruckt). Die Geschichte enthält etliche Motive, die in späteren Werken erneut auftauchen werden, und sie enthält eine programmatische Wendung: Den Verhältnissen zum Trotz das zu tun, was einem Überzeugung und Verantwortlichkeit auftragen. Das ist Grundlage des positiven Menschenbilds, wobei die Figuren nie in einen starren ideologischen Rahmen gestellt werden, sondern immer in ein Netz widersprüchlicher Beziehungen zwischen Individuum und Außenwelt, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Wünschen und Einsichten. Als Elisabeth Freundlich 1950 mit ihrem Mann, dem Philosophen Günther Anders, nach Österreich kam, hatte sie ein Manuskript im Gepäck, das von allen Verlagen mit höflichen Worten zurückkam. Das Werk trug den Titel „Der Seelenvogel“. Was ist denn ein Seelenvogel? „Bei Paulus Diaconus heißt es, daß die Langobarden über ihren Familiengräbern eine lange Stange errichteten, auf deren Spitze ein geschnitzter Vogel saß, der sich in die Richtung drehte, in der die Länder lagen, wo die Verwandten verstorben waren, wo man sie verscharrt hatte; es war der Vogel, der ihre Seelen zurückrief, damit sie Ruhe und Frieden im Familiengrab fänden.“ Der Seelenvogel ist lästig, er will erinnern, dem Vergessen entreißen, will keine „Gräben zuschütten“, übersieht nicht höflich den österreichischen Antisemitismus, der der „Zäsur der Hitlerjahre“ nicht bedurfte, einer Zäsur, der viele Österreicher jubelnd zum „Opfer“ gefallen waren. Genauso lästig sind die Figuren in dem Erzählband „Finstere Zeiten“. Die in den 1950er Jahren entstandenen Geschichten thematisieren die allgemeine Verdrängung der jüngeren Vergangenheit, sowie die Enttäuschung über den Zerfall alter Bündnisse. Da Elisabeth Freundlich sich als Schriftstellerin vorerst nicht etablieren konnte, wandte sie sich dem Journalismus zu. Als Theaterkritikerin und Kulturkorrespondentin arbeitete sie hauptsächlich für den „Mannheimer Morgen“, Beiträge zu NSProzessen erschienen in der Zeitschrift „Die Gemeinde“, in den „Frankfurter Heften“, im „Jahrbuch“ des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Tel-Aviv, seltener im ORF. In Sammelbänden kam sie ab den späten siebziger Jahren endlich auch zu „ihrem“ Thema zu Wort, zum Exil. Das Werk, auch wenn es zerstreut ist, ist so umfangreich, daß es hier nur ansatzweise erwähnt werden kann. Es zeugt letztlich von einer gelungenen schriftstellerischen Existenz. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die verspätete Rezeption einen breiteren Bekanntheitsgrad der Autorin verhinderte, und es konnte Elisabeth Freundlich nicht darüber hinwegtrösten, daß mehrere Manuskripte unvollendet