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blieben, weil ihr die journalistischen Kleinarbeiten, die Geld einbrachten, keine Zeit dazu ließen. 1992 erschien im Otto Müller-Verlag ihre Autobiografie „Die fahrenden Jahre“. Die Präsentation des Buches fand in den Räumen der BAWAG statt, der ehemaligen Arbeiterbank, deren Direktor ihr Vater gewesen war, bis die Austrofaschisten ihm Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung unterstellten. Die Laudatio hielt Prof. Hans Mayer, der ihren bislang noch unerwähnten Roman „Der eherne Reiter“ 1982 im Insel-Verlag untergebracht hatte und die Bedeutung ihres „Seelenvogels“ neben die „Buddenbrooks“ stellte. Den schönen Rahmen für die Vorstellung ihrer Lebenserinnerungen genoß Elisabeth Freundlich, und darüber war ich als Herausgeberin dieses Werks sehr glücklich, weil mir der festliche Abend wie eine späte Genugtuung für ihre lange Ausgrenzung erschien. Sie lebte 1992, wie auch Günther Anders, schon seit einiger Zeit im Altersheim Confraternität. Ihre Zimmertür war, wenn ich zu Besuch kam, fast immer offen und fast immer war eine der Hauskatzen bei ihr zu Besuch. Nach dem Tod von Günther Anders wurde es noch einsamer um sie, und ihr Geist begann langsam, dann immer merklicher sich zurückzuziehen. Ihre Tür blieb offen, die Katzen traf man noch immer bei ihr an, das Gefühl, daß sie von Frau Traxler, der Direktorin, und ebenso von den Schwestern gemocht und geachtet wurde, war beruhigend. Ein inneres Band, das bis zuletzt nicht abriß, bestand zu Hanna Bubenicek, die seit Jahren in allem Auf und Ab kontinuierliche Nähe zu Elisabeth Freundlich behielt und den langen Prozeß des Abschieds geduldig begleitete. Sie war in den letzten Jahren diejenige, über die der Kontakt gehalten werden konnte. Am 25. Jänner 2001 ist Elisabeth Freundlich gestorben. Susanne Alge, in Lustenau geboren, Studium der Germanistik und Romanistik in Salzburg, Dissertation zum Thema Rezeption der Exilliteratur am Beispiel der österreichischen Schriftstellerin Elisabeth Freundlich. Schreibt für Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Anthologien, Sammelbände; außerdem Belletristik. Zuletzt: Hans Siemsen in „Deutschsprachige Exilliteratur“, hg. von John Spalek; „Großmutter und Lebensweisheiten und ich“ (Roman, DVA). — In MdZ wurde von Elisabeth Freundlich u.a. veröffentlicht: Grimm’s Märchen. Ein Beweis deutschen Nationalcharakters? (Nr. 3/1992); Die im Lande blieben — Arnolt Bronnen, Rudolf Brunngraber (Nr. 3/1995); Nicht jeder Mensch ist erreichbar. Meinungsbefragung anläßlich der Ausstellung „Warschauer Ghettoaufstand 1943“ (Nr. 2/1996). Würdigungen Elisabeth Freundlichs von Siglinde Bolbecher und Susanne Alge erschienen in Nr. 3/1992 bzw. Nr. 3/1995. — Das Jahrbuch Zwischenwelt 8 der Theodor Kramer Gesellschaft, „Frauen im Exil“, wird einen umfangreicher Beitrag Susanne Alges über das publizistische Werk Elisabeth Freundlichs enthalten. „Soll dir aus einem Schmerz etwas zuwachsen, muß er durchlebt, nicht ersäuft werden, ob in Alkohol oder in Arbeit, macht da keinen Unterschied“, heißt es in Elisabeth Freundlichs erstem Buch „Invasion Day“, das 1948 unter dem Pseudonym Elisabeth Lanzer (dem Namen ihrer Großmutter) erschien. Dieser Satz könnte als Motto über dem Schreiben von Elisabeth Freundlich stehen. Schmerz über die Grausamkeiten der Nationalsozialisten, Schmerz über den gewaltsamen Tod geliebter Menschen, Schmerz über den Verlust ihrer Heimat Wien und Schmerz über den Umgang mit diesen Verlusten im Nachkriegsösterreich waren Anlaß zu schreiben. Elisabeth Freundlich wurde 1906 in Wien geboren. Ihr Vater war Jurist, Sozialdemokrat, Präsident der „Arbeiterbank“ und Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. Einziges Kind lie. bevoller Eltern, erlebte sie eine behütete Kindheit und Jugend. Die behütete Jugend endet 1934. Nach der Niederschlagung des Februaraufstandes wird der Vater verhaftet. Die Verhaftung des Vaters und das stundenlange Warten mit der Mutter vor den Toren des Landesgerichts, sollte Elisabeth Freundlich später feststellen, waren der Beginn ihrer Politisierung. Als österreichische Vertreterin einer internationalen Friedensorganisation reist sie zwischen 1934 und 1938 wiederholt nach Paris. 1938, als die Familie aus Wien fliehen muß, kann Elisabeth Freundlich im französischen Exil an bereits bestehende Kontakte anknüpfen. 1938 ist Elisabeth Freundlich Mitbegründerin der „Ligue de l’ Autriche Vivante‘. Ziel der „Liga“, die unter dem Patronat des Bürgermeisters von Lyon, Edouard Herriot, stand, war die Darstellung und Förderung österreichischer Kultur sowie die Wiederherstellung Österreichs, das seit März 1938 ja nur mehr als „Ostmark“ bestand. „Gleichsam als Auftakt für die Gründung der Liga“, schreibt Elisabeth Freundlich in dem Aufsatz „Warnen und Warten“, „wollten wir eine Vorlesung von Franz. Werfel veranstalten, wobei sich aber sofort gewisse Schwierigkeiten ergaben. Werfel, damals der wohl auch im Ausland bekannteste und am meisten übersetzte österreichische Schriftsteller, erklärte sich zwar sofort zu einer Vorlesung bereit, und äußerlich betrachtet wurde sie auch ein großer Erfolg — der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, und es war auch eine ganze Reihe prominenter Franzosen gekommen -, aber die österreichischen Sozialdemokraten boykottierten den Abend: Franz Werfel war ein enger Freund Schuschniggs und also des Ständestaates, und die österreichischen Sozialdemokraten meinten, und das wohl mit Recht, durch ihre Teilnahme an einer solchen Veranstaltung für ihre Genossen im Lande nicht länger glaubwürdig bleiben zu können. Werfel hatte einleitend gesagt (ich zitiere frei nach dem Gedächtnis): ‚das geknebelte, aber lebendige Österreich rechnet mit der tapferen Treue seiner Söhne im Exil. Wien blickt sehnsüchtig nach der Freundin Frankreich, die seine mächtige Schwester ist.‘ So sprach Franz Werfel im Herbst 1938, nur wenige Monate nach der Annexion. Wir, die Initiatoren der Veranstaltung, eine Handvoll junger Leute, meist Studenten, die aus ihrem Studium herausgerissen worden waren oder eine eben erst begonnene Laufbahn hatten abbrechen müssen, buchten diesen Abend zunächst als einen vollen Erfolg für unsere Absichten. Kaum einer der Anwesenden dürfte damals vorausgesehen haben,